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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

die der erste Kauf seinen Feldherren mitgab, besagt: "Kämpfet tapfer, aber gesetz¬
müßig, begeht keine Treulosigkeit gegen eure Feinde, verstümmelt die Besiegten
nicht, tötet weder Greise, noch Kinder, noch Frauen. Haut nicht fruchttragende
Bäume um, schont namentlich die Palmen und brennt die Ernte nicht nieder.
Erwürget auch kein Vieh, mit Ausnahme dessen, was ihr zu eurer Nahrung
bedürft. Ihr werdet auf euerm Marsche Menschen antreffen, die in der Ein¬
samkeit frommer Betrachtung leben, in die Anbetung Gottes versenkt; thut
ihnen nichts zu Leide. Dagegen werdet ihr auch solche finden, deren geschorner
Kopf einen Kranz von Haaren trägt -- die schlagt nieder und gebt ihnen keine
Gnade."

Bis zu den Kreuzzügen haben im Morgenlande Christen und Muhamme-
daner friedlich neben einander gelebt; die Christen waren im Reiche der Kalifen
weder unterdrückt noch rechtlos, hatten selbst am Hofe Zutritt und nahmen
nicht selten hohe Ämter und wichtige Vertrauensposten ein. In den Gebieten,
in denen sich die Araber dauernd behaupten wollten, wurden die christlichen
Kirchen geschont und erhalten. Harun al Raschid erklärte aus Courtoisie sogar
Jerusalem für eine Karl dem Großen unterthcinige Stadt. Die Christen be¬
fanden sich nicht schlecht unter der maurischen Herrschaft, die sizilianischen weit
besser als z. V. die italischen Bewohner unter den Lombarden oder Franken.
Als die Normannen die Insel eroberten, fanden sie trotz der dreihundertjährigen
maurischen Herrschaft große Mengen von Christen, die unbedrückt und ruhig
ihrem Glauben lebten.

Sehr ungünstig sticht gegen diese Toleranz das Verhalten der Abendländer
ab. Zumal in den spätern Zeiten der Kreuzzüge waren die Christen grund¬
sätzlich der Meinung, daß ein Christ dem Ungläubigen sein Wort zu halten
nicht verbunden sei. Die Berichte besagen übereinstimmend, daß Wortbrüchig¬
keit, Habgier, Wollust, Spiel und schlechte Leidenschaften aller Art von ihnen
geübt worden seien, schon weil sie sich als anserwühlte Streiter Gottes gegen¬
über den Ungläubigen zu allem für befugt gehalten hätten; diese galten als
Verdammte für rechtlos. Die schlimmsten Frevel wurde" durch diese Auffassung
gedeckt; Nachbarn und Einheimischen kamen die Franken wie ein Volk von
Räubern vor, sodaß man nicht selten an das Verhalten der spanischen Kon¬
quistadoren in Amerika erinnert wird.

Wie die Ausgestaltung der muhammedanischen Dogmatik unter christlichem
Einfluß erfolgt ist, so sind namentlich auch die politischen und militärischen
Institutionen des Kalifats in Abhängigkeit von der byzantinischen Kultur ge¬
staltet worden, und das byzantinische Reich ist zweifellos als der Aufbewahrer
und Übermittler der antiken Kultur während der ersten Jahrhunderte des
Mittelalters anzusehen. Von den Byzantinern übernahmen die Araber zugleich
mit den eroberten Pro.vin.zen die politische Einteilung und die administrative
Ordnung. Byzantinisch war das Besteuerungssystem mit seiner Kopf- und


Islam und Zivilisation

die der erste Kauf seinen Feldherren mitgab, besagt: „Kämpfet tapfer, aber gesetz¬
müßig, begeht keine Treulosigkeit gegen eure Feinde, verstümmelt die Besiegten
nicht, tötet weder Greise, noch Kinder, noch Frauen. Haut nicht fruchttragende
Bäume um, schont namentlich die Palmen und brennt die Ernte nicht nieder.
Erwürget auch kein Vieh, mit Ausnahme dessen, was ihr zu eurer Nahrung
bedürft. Ihr werdet auf euerm Marsche Menschen antreffen, die in der Ein¬
samkeit frommer Betrachtung leben, in die Anbetung Gottes versenkt; thut
ihnen nichts zu Leide. Dagegen werdet ihr auch solche finden, deren geschorner
Kopf einen Kranz von Haaren trägt — die schlagt nieder und gebt ihnen keine
Gnade."

Bis zu den Kreuzzügen haben im Morgenlande Christen und Muhamme-
daner friedlich neben einander gelebt; die Christen waren im Reiche der Kalifen
weder unterdrückt noch rechtlos, hatten selbst am Hofe Zutritt und nahmen
nicht selten hohe Ämter und wichtige Vertrauensposten ein. In den Gebieten,
in denen sich die Araber dauernd behaupten wollten, wurden die christlichen
Kirchen geschont und erhalten. Harun al Raschid erklärte aus Courtoisie sogar
Jerusalem für eine Karl dem Großen unterthcinige Stadt. Die Christen be¬
fanden sich nicht schlecht unter der maurischen Herrschaft, die sizilianischen weit
besser als z. V. die italischen Bewohner unter den Lombarden oder Franken.
Als die Normannen die Insel eroberten, fanden sie trotz der dreihundertjährigen
maurischen Herrschaft große Mengen von Christen, die unbedrückt und ruhig
ihrem Glauben lebten.

Sehr ungünstig sticht gegen diese Toleranz das Verhalten der Abendländer
ab. Zumal in den spätern Zeiten der Kreuzzüge waren die Christen grund¬
sätzlich der Meinung, daß ein Christ dem Ungläubigen sein Wort zu halten
nicht verbunden sei. Die Berichte besagen übereinstimmend, daß Wortbrüchig¬
keit, Habgier, Wollust, Spiel und schlechte Leidenschaften aller Art von ihnen
geübt worden seien, schon weil sie sich als anserwühlte Streiter Gottes gegen¬
über den Ungläubigen zu allem für befugt gehalten hätten; diese galten als
Verdammte für rechtlos. Die schlimmsten Frevel wurde» durch diese Auffassung
gedeckt; Nachbarn und Einheimischen kamen die Franken wie ein Volk von
Räubern vor, sodaß man nicht selten an das Verhalten der spanischen Kon¬
quistadoren in Amerika erinnert wird.

Wie die Ausgestaltung der muhammedanischen Dogmatik unter christlichem
Einfluß erfolgt ist, so sind namentlich auch die politischen und militärischen
Institutionen des Kalifats in Abhängigkeit von der byzantinischen Kultur ge¬
staltet worden, und das byzantinische Reich ist zweifellos als der Aufbewahrer
und Übermittler der antiken Kultur während der ersten Jahrhunderte des
Mittelalters anzusehen. Von den Byzantinern übernahmen die Araber zugleich
mit den eroberten Pro.vin.zen die politische Einteilung und die administrative
Ordnung. Byzantinisch war das Besteuerungssystem mit seiner Kopf- und


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[0319] Islam und Zivilisation die der erste Kauf seinen Feldherren mitgab, besagt: „Kämpfet tapfer, aber gesetz¬ müßig, begeht keine Treulosigkeit gegen eure Feinde, verstümmelt die Besiegten nicht, tötet weder Greise, noch Kinder, noch Frauen. Haut nicht fruchttragende Bäume um, schont namentlich die Palmen und brennt die Ernte nicht nieder. Erwürget auch kein Vieh, mit Ausnahme dessen, was ihr zu eurer Nahrung bedürft. Ihr werdet auf euerm Marsche Menschen antreffen, die in der Ein¬ samkeit frommer Betrachtung leben, in die Anbetung Gottes versenkt; thut ihnen nichts zu Leide. Dagegen werdet ihr auch solche finden, deren geschorner Kopf einen Kranz von Haaren trägt — die schlagt nieder und gebt ihnen keine Gnade." Bis zu den Kreuzzügen haben im Morgenlande Christen und Muhamme- daner friedlich neben einander gelebt; die Christen waren im Reiche der Kalifen weder unterdrückt noch rechtlos, hatten selbst am Hofe Zutritt und nahmen nicht selten hohe Ämter und wichtige Vertrauensposten ein. In den Gebieten, in denen sich die Araber dauernd behaupten wollten, wurden die christlichen Kirchen geschont und erhalten. Harun al Raschid erklärte aus Courtoisie sogar Jerusalem für eine Karl dem Großen unterthcinige Stadt. Die Christen be¬ fanden sich nicht schlecht unter der maurischen Herrschaft, die sizilianischen weit besser als z. V. die italischen Bewohner unter den Lombarden oder Franken. Als die Normannen die Insel eroberten, fanden sie trotz der dreihundertjährigen maurischen Herrschaft große Mengen von Christen, die unbedrückt und ruhig ihrem Glauben lebten. Sehr ungünstig sticht gegen diese Toleranz das Verhalten der Abendländer ab. Zumal in den spätern Zeiten der Kreuzzüge waren die Christen grund¬ sätzlich der Meinung, daß ein Christ dem Ungläubigen sein Wort zu halten nicht verbunden sei. Die Berichte besagen übereinstimmend, daß Wortbrüchig¬ keit, Habgier, Wollust, Spiel und schlechte Leidenschaften aller Art von ihnen geübt worden seien, schon weil sie sich als anserwühlte Streiter Gottes gegen¬ über den Ungläubigen zu allem für befugt gehalten hätten; diese galten als Verdammte für rechtlos. Die schlimmsten Frevel wurde» durch diese Auffassung gedeckt; Nachbarn und Einheimischen kamen die Franken wie ein Volk von Räubern vor, sodaß man nicht selten an das Verhalten der spanischen Kon¬ quistadoren in Amerika erinnert wird. Wie die Ausgestaltung der muhammedanischen Dogmatik unter christlichem Einfluß erfolgt ist, so sind namentlich auch die politischen und militärischen Institutionen des Kalifats in Abhängigkeit von der byzantinischen Kultur ge¬ staltet worden, und das byzantinische Reich ist zweifellos als der Aufbewahrer und Übermittler der antiken Kultur während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters anzusehen. Von den Byzantinern übernahmen die Araber zugleich mit den eroberten Pro.vin.zen die politische Einteilung und die administrative Ordnung. Byzantinisch war das Besteuerungssystem mit seiner Kopf- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/319>, abgerufen am 23.07.2024.