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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform des Personentarifs der preußischen Lisenbahnen

auch die Schülerkarten zu zählen sind, mag für die Verwaltung auch der kauf¬
männische Grundsatz maßgebend sein, daß bei regelmäßiger und dauernder Be¬
nutzung der angebotnen Leistungen eine Preisermäßigung gewährt werden kann.
Ähnlich liegt die Sache bei den Gesellschafts- und Studienreisen, weil hier die
größere Zahl der Teilnehmer und die volle Ausnutzung der im voraus be¬
stellten Plätze der Eisenbahn eine angemessene Einnahme auch bei niedrigern
Preisen sichert. Bei den Studienreisen tritt außerdem noch das "odilv "Mowin,
des Staates hinzu, das Bildungsstreben nach Möglichkeit zu unterstütze". Von
allen diesen Ausnahmen, auch von den Kinder- und Soldatenkarten, von den
Sonntagsausflugkarten, von den außerordentlichen Ermäßigungen zum Besuche
von Ausstellungen und "Tagen" aller Art soll hier nicht weiter die Rede sein.
Sie lassen sich alle mit diesem oder jenem Grunde rechtfertigen und spielen
auf dem Gebiete des eigentlichen Reiseverkehrs für einzelne Personen und Fa¬
milien keine besondre Rolle, haben anch mehr oder weniger Beziehung zu dem
Berufs- und Erwerbsleben und sind somit mehr als bloße Eigentümlichkeiten
hiervon und weniger als besondre Erscheinungen des gewöhnlichen Reise¬
verkehrs zu betrachten. Alle diese Ausnahmen von der Regel sind zu ertragen,
wenn nur im übrigen die Einfachheit und die allgemeine Giltigkeit des Tarifs
herbeigeführt wird, die in dem geltenden System fehlt.

Die gewöhnliche Rückfahrkarte hat Giltigkeit nur für drei Kalendertage,
sofern das Reiseziel von dem Ausgangspunkte nicht mehr als zweihundert
Kilometer entfernt ist. Weiß ich beim Beginn der Reise nicht gewiß, ob ich
die Rückreise vor dem Ablauf des dritten Tages antreten werde, so setzt mich
die Frage, ob ich eine Rückfahrkarte losen soll oder nicht, in Verlegenheit.
Nehme ich z. B. zur Reise nach einem fünfzig Kilometer entfernten Orte eine
einfache Karte zweiter Klasse für 3 Mark, und erlauben meine Geschäfte
nachher, daß ich die Rückfahrt vor Ablauf des dritten Kalendertages antreten
kann, so kostet mich die Reise, da ich für die Rückfahrt auch 3 Mark bezahlen
muß, 1,50 Mark mehr, als wenn ich eine Rückfahrkarte für 4.50 Mark ge¬
nommen hätte. Löhe ich dagegen bei Antritt der Reise eine Rückfahrkarte für
4,50 Mark, und nötigen mich meine Geschäfte länger als drei Tage wegzu¬
bleiben, so wird die Karte für die Rückfahrt uugiltig, und ich muß eine neue
Karte für 3 Mark lösen, die Reise kostet also 7,50 Mark, d. h. wieder
1,50 Mark mehr, als wenn ich für die Hinfahrt eine einfache Karte genommen
hätte. Die gleiche Schwierigkeit entsteht, wenn ich zwar sicher bin, die Reise
innerhalb dreier Tage vollenden zu können, aber nicht bestimmt weiß, ob ich
die Rückfahrt auf dem für die Rückfahrkarte zulässigen Wege werde ausführen
können. Die Verwaltung verlangt zwar nicht immer, daß die Rückfahrt auf
demselben Wege stattfinde wie die Hinfahrt, sondern sie erlaubt überall da,
wo mehr oder weniger parallel laufende Nebenstrecken vorhanden sind, die
Wahl zwischen diesen Strecken. Trotz dieser Vergünstigung kann es doch vor-


Zur Reform des Personentarifs der preußischen Lisenbahnen

auch die Schülerkarten zu zählen sind, mag für die Verwaltung auch der kauf¬
männische Grundsatz maßgebend sein, daß bei regelmäßiger und dauernder Be¬
nutzung der angebotnen Leistungen eine Preisermäßigung gewährt werden kann.
Ähnlich liegt die Sache bei den Gesellschafts- und Studienreisen, weil hier die
größere Zahl der Teilnehmer und die volle Ausnutzung der im voraus be¬
stellten Plätze der Eisenbahn eine angemessene Einnahme auch bei niedrigern
Preisen sichert. Bei den Studienreisen tritt außerdem noch das »odilv «Mowin,
des Staates hinzu, das Bildungsstreben nach Möglichkeit zu unterstütze«. Von
allen diesen Ausnahmen, auch von den Kinder- und Soldatenkarten, von den
Sonntagsausflugkarten, von den außerordentlichen Ermäßigungen zum Besuche
von Ausstellungen und „Tagen" aller Art soll hier nicht weiter die Rede sein.
Sie lassen sich alle mit diesem oder jenem Grunde rechtfertigen und spielen
auf dem Gebiete des eigentlichen Reiseverkehrs für einzelne Personen und Fa¬
milien keine besondre Rolle, haben anch mehr oder weniger Beziehung zu dem
Berufs- und Erwerbsleben und sind somit mehr als bloße Eigentümlichkeiten
hiervon und weniger als besondre Erscheinungen des gewöhnlichen Reise¬
verkehrs zu betrachten. Alle diese Ausnahmen von der Regel sind zu ertragen,
wenn nur im übrigen die Einfachheit und die allgemeine Giltigkeit des Tarifs
herbeigeführt wird, die in dem geltenden System fehlt.

Die gewöhnliche Rückfahrkarte hat Giltigkeit nur für drei Kalendertage,
sofern das Reiseziel von dem Ausgangspunkte nicht mehr als zweihundert
Kilometer entfernt ist. Weiß ich beim Beginn der Reise nicht gewiß, ob ich
die Rückreise vor dem Ablauf des dritten Tages antreten werde, so setzt mich
die Frage, ob ich eine Rückfahrkarte losen soll oder nicht, in Verlegenheit.
Nehme ich z. B. zur Reise nach einem fünfzig Kilometer entfernten Orte eine
einfache Karte zweiter Klasse für 3 Mark, und erlauben meine Geschäfte
nachher, daß ich die Rückfahrt vor Ablauf des dritten Kalendertages antreten
kann, so kostet mich die Reise, da ich für die Rückfahrt auch 3 Mark bezahlen
muß, 1,50 Mark mehr, als wenn ich eine Rückfahrkarte für 4.50 Mark ge¬
nommen hätte. Löhe ich dagegen bei Antritt der Reise eine Rückfahrkarte für
4,50 Mark, und nötigen mich meine Geschäfte länger als drei Tage wegzu¬
bleiben, so wird die Karte für die Rückfahrt uugiltig, und ich muß eine neue
Karte für 3 Mark lösen, die Reise kostet also 7,50 Mark, d. h. wieder
1,50 Mark mehr, als wenn ich für die Hinfahrt eine einfache Karte genommen
hätte. Die gleiche Schwierigkeit entsteht, wenn ich zwar sicher bin, die Reise
innerhalb dreier Tage vollenden zu können, aber nicht bestimmt weiß, ob ich
die Rückfahrt auf dem für die Rückfahrkarte zulässigen Wege werde ausführen
können. Die Verwaltung verlangt zwar nicht immer, daß die Rückfahrt auf
demselben Wege stattfinde wie die Hinfahrt, sondern sie erlaubt überall da,
wo mehr oder weniger parallel laufende Nebenstrecken vorhanden sind, die
Wahl zwischen diesen Strecken. Trotz dieser Vergünstigung kann es doch vor-


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[0311] Zur Reform des Personentarifs der preußischen Lisenbahnen auch die Schülerkarten zu zählen sind, mag für die Verwaltung auch der kauf¬ männische Grundsatz maßgebend sein, daß bei regelmäßiger und dauernder Be¬ nutzung der angebotnen Leistungen eine Preisermäßigung gewährt werden kann. Ähnlich liegt die Sache bei den Gesellschafts- und Studienreisen, weil hier die größere Zahl der Teilnehmer und die volle Ausnutzung der im voraus be¬ stellten Plätze der Eisenbahn eine angemessene Einnahme auch bei niedrigern Preisen sichert. Bei den Studienreisen tritt außerdem noch das »odilv «Mowin, des Staates hinzu, das Bildungsstreben nach Möglichkeit zu unterstütze«. Von allen diesen Ausnahmen, auch von den Kinder- und Soldatenkarten, von den Sonntagsausflugkarten, von den außerordentlichen Ermäßigungen zum Besuche von Ausstellungen und „Tagen" aller Art soll hier nicht weiter die Rede sein. Sie lassen sich alle mit diesem oder jenem Grunde rechtfertigen und spielen auf dem Gebiete des eigentlichen Reiseverkehrs für einzelne Personen und Fa¬ milien keine besondre Rolle, haben anch mehr oder weniger Beziehung zu dem Berufs- und Erwerbsleben und sind somit mehr als bloße Eigentümlichkeiten hiervon und weniger als besondre Erscheinungen des gewöhnlichen Reise¬ verkehrs zu betrachten. Alle diese Ausnahmen von der Regel sind zu ertragen, wenn nur im übrigen die Einfachheit und die allgemeine Giltigkeit des Tarifs herbeigeführt wird, die in dem geltenden System fehlt. Die gewöhnliche Rückfahrkarte hat Giltigkeit nur für drei Kalendertage, sofern das Reiseziel von dem Ausgangspunkte nicht mehr als zweihundert Kilometer entfernt ist. Weiß ich beim Beginn der Reise nicht gewiß, ob ich die Rückreise vor dem Ablauf des dritten Tages antreten werde, so setzt mich die Frage, ob ich eine Rückfahrkarte losen soll oder nicht, in Verlegenheit. Nehme ich z. B. zur Reise nach einem fünfzig Kilometer entfernten Orte eine einfache Karte zweiter Klasse für 3 Mark, und erlauben meine Geschäfte nachher, daß ich die Rückfahrt vor Ablauf des dritten Kalendertages antreten kann, so kostet mich die Reise, da ich für die Rückfahrt auch 3 Mark bezahlen muß, 1,50 Mark mehr, als wenn ich eine Rückfahrkarte für 4.50 Mark ge¬ nommen hätte. Löhe ich dagegen bei Antritt der Reise eine Rückfahrkarte für 4,50 Mark, und nötigen mich meine Geschäfte länger als drei Tage wegzu¬ bleiben, so wird die Karte für die Rückfahrt uugiltig, und ich muß eine neue Karte für 3 Mark lösen, die Reise kostet also 7,50 Mark, d. h. wieder 1,50 Mark mehr, als wenn ich für die Hinfahrt eine einfache Karte genommen hätte. Die gleiche Schwierigkeit entsteht, wenn ich zwar sicher bin, die Reise innerhalb dreier Tage vollenden zu können, aber nicht bestimmt weiß, ob ich die Rückfahrt auf dem für die Rückfahrkarte zulässigen Wege werde ausführen können. Die Verwaltung verlangt zwar nicht immer, daß die Rückfahrt auf demselben Wege stattfinde wie die Hinfahrt, sondern sie erlaubt überall da, wo mehr oder weniger parallel laufende Nebenstrecken vorhanden sind, die Wahl zwischen diesen Strecken. Trotz dieser Vergünstigung kann es doch vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/311>, abgerufen am 23.07.2024.