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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Zukunft Deutsch-Südwestafrikas

aufnehmen wollen, von ihnen hängt es ab, ob und unter welchen Bedingungen
sie deutschen Staatsangehörigen gestatten wollen, an der Förderung der Mineral¬
schätze unsers Schutzgebiets teil zu nehmen. Mußte nicht der Hinblick auf die
großartige wirtschaftliche Entwicklung der südafrikanischen Nachbarstaaten unsre
Regierung bei der Vergebung unsers Landbesitzes zur größten Vorsicht mahnen? --
wenn man bedenkt, welche Entwicklung z. B. der Oranjefreistaat in den letzten
fünfzig Jahren gewonnen hat. Dieser Staat, der nach einer Schilderung unsers
Experten Rehbock eine auffallende Ähnlichkeit mit großen Teilen des Schutz¬
gebiets hat, stand im Jahre 1845 etwa auf der jetzigen Kulturstufe des deutschen
Schutzgebiets. Im Jahre 1890 hatte das Land schon einen Bodenwert von
800 Millionen Mark und einen Viehbestand von 900000 Stück Großvieh.
7500000 Stück Kleinvieh und 270000 Pferden und Maultieren. Es er¬
zeugte im Jahre 39 Millionen Kilo Getreide und 11 Millionen Kilo Wolle
und konnte 17400 waffenfähige Bürger zur Verteidigung seiner Grenzen stellen.
Findet in Deutsch-Südwestafrika auch nur eine ähnliche Entwicklung statt, so
können nach Rehbock die Ausfuhrwerte die zur Erhaltung selbst einer großen
weißen Bevölkerung erforderliche Einfuhr reichlich decken. Eine deutsche Be¬
völkerung kann dort leben und gedeihen, sie kann sich ohne Unterstützung vom
Mutterlande erhalten und schützen und wird berufen sein, bei der weitern Ge¬
staltung der südafrikanischen Verhältnisse eine wichtige Rolle zu spielen.

Hätte die Regierung von vornherein die Ansiedlung kleiner Leute be¬
günstigt und ihnen das -- im Verhältnis zu den von den Gesellschaften projek¬
tierten Riesenfarmen von 20000 Morgen für den Kopf -- verschwindend kleine
Stück Land geschenkt, dessen sie zur Begründung ihrer Existenz bedürfen, hätte
die Negierung, wie ich wiederholt vorgeschlagen habe, diese Parzellen sür ihre zu¬
künftige landwirtschaftliche Bestimmung durch deportierte Sträflinge vorbereiten
lassen, so würde sie heute von den Erwerbsgesellschaften unabhängig sein und,
was nicht zu unterschätzen ist, auch bei den breiten Schichten der Bevölkerung
mehr Verständnis, Liebe, ja sogar Begeisterung für ihre kolonialen Bestrebungen
finden.

Mußte nicht die Thatsache, daß in den Nachbarstaaten reiche Mineral¬
schätze aufgedeckt wurden (wie die Goldfunde in Transvaal, die Diamantfelder
bei Kimberley) für die Regierung ein Beweggrund mehr sein, vor der Ver¬
gebung der Minengerechtigkeiten über das ganze ungeheure Land an einige
wenige englische Gesellschaften erst die weitere Entwicklung abzuwarten? Fehlte
es doch nie an Anzeichen für ein gleiches Vorkommen im Schutzgebiete. Und
welche Perspektive eröffnete sich dem Reich in finanzieller Hinsicht, wenn es
sich, belehrt durch die Entwicklung in Transvaal, die ausschließliche Förde¬
rung dieser Schätze vorbehalten hätte!

Nach jahrhundertelangem Warten ist die deutsche Nation jetzt zum
erstenmale in den Besitz eines Koloniallandes gelangt, das wie kein andres


Die Zukunft Deutsch-Südwestafrikas

aufnehmen wollen, von ihnen hängt es ab, ob und unter welchen Bedingungen
sie deutschen Staatsangehörigen gestatten wollen, an der Förderung der Mineral¬
schätze unsers Schutzgebiets teil zu nehmen. Mußte nicht der Hinblick auf die
großartige wirtschaftliche Entwicklung der südafrikanischen Nachbarstaaten unsre
Regierung bei der Vergebung unsers Landbesitzes zur größten Vorsicht mahnen? —
wenn man bedenkt, welche Entwicklung z. B. der Oranjefreistaat in den letzten
fünfzig Jahren gewonnen hat. Dieser Staat, der nach einer Schilderung unsers
Experten Rehbock eine auffallende Ähnlichkeit mit großen Teilen des Schutz¬
gebiets hat, stand im Jahre 1845 etwa auf der jetzigen Kulturstufe des deutschen
Schutzgebiets. Im Jahre 1890 hatte das Land schon einen Bodenwert von
800 Millionen Mark und einen Viehbestand von 900000 Stück Großvieh.
7500000 Stück Kleinvieh und 270000 Pferden und Maultieren. Es er¬
zeugte im Jahre 39 Millionen Kilo Getreide und 11 Millionen Kilo Wolle
und konnte 17400 waffenfähige Bürger zur Verteidigung seiner Grenzen stellen.
Findet in Deutsch-Südwestafrika auch nur eine ähnliche Entwicklung statt, so
können nach Rehbock die Ausfuhrwerte die zur Erhaltung selbst einer großen
weißen Bevölkerung erforderliche Einfuhr reichlich decken. Eine deutsche Be¬
völkerung kann dort leben und gedeihen, sie kann sich ohne Unterstützung vom
Mutterlande erhalten und schützen und wird berufen sein, bei der weitern Ge¬
staltung der südafrikanischen Verhältnisse eine wichtige Rolle zu spielen.

Hätte die Regierung von vornherein die Ansiedlung kleiner Leute be¬
günstigt und ihnen das — im Verhältnis zu den von den Gesellschaften projek¬
tierten Riesenfarmen von 20000 Morgen für den Kopf — verschwindend kleine
Stück Land geschenkt, dessen sie zur Begründung ihrer Existenz bedürfen, hätte
die Negierung, wie ich wiederholt vorgeschlagen habe, diese Parzellen sür ihre zu¬
künftige landwirtschaftliche Bestimmung durch deportierte Sträflinge vorbereiten
lassen, so würde sie heute von den Erwerbsgesellschaften unabhängig sein und,
was nicht zu unterschätzen ist, auch bei den breiten Schichten der Bevölkerung
mehr Verständnis, Liebe, ja sogar Begeisterung für ihre kolonialen Bestrebungen
finden.

Mußte nicht die Thatsache, daß in den Nachbarstaaten reiche Mineral¬
schätze aufgedeckt wurden (wie die Goldfunde in Transvaal, die Diamantfelder
bei Kimberley) für die Regierung ein Beweggrund mehr sein, vor der Ver¬
gebung der Minengerechtigkeiten über das ganze ungeheure Land an einige
wenige englische Gesellschaften erst die weitere Entwicklung abzuwarten? Fehlte
es doch nie an Anzeichen für ein gleiches Vorkommen im Schutzgebiete. Und
welche Perspektive eröffnete sich dem Reich in finanzieller Hinsicht, wenn es
sich, belehrt durch die Entwicklung in Transvaal, die ausschließliche Förde¬
rung dieser Schätze vorbehalten hätte!

Nach jahrhundertelangem Warten ist die deutsche Nation jetzt zum
erstenmale in den Besitz eines Koloniallandes gelangt, das wie kein andres


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[0306] Die Zukunft Deutsch-Südwestafrikas aufnehmen wollen, von ihnen hängt es ab, ob und unter welchen Bedingungen sie deutschen Staatsangehörigen gestatten wollen, an der Förderung der Mineral¬ schätze unsers Schutzgebiets teil zu nehmen. Mußte nicht der Hinblick auf die großartige wirtschaftliche Entwicklung der südafrikanischen Nachbarstaaten unsre Regierung bei der Vergebung unsers Landbesitzes zur größten Vorsicht mahnen? — wenn man bedenkt, welche Entwicklung z. B. der Oranjefreistaat in den letzten fünfzig Jahren gewonnen hat. Dieser Staat, der nach einer Schilderung unsers Experten Rehbock eine auffallende Ähnlichkeit mit großen Teilen des Schutz¬ gebiets hat, stand im Jahre 1845 etwa auf der jetzigen Kulturstufe des deutschen Schutzgebiets. Im Jahre 1890 hatte das Land schon einen Bodenwert von 800 Millionen Mark und einen Viehbestand von 900000 Stück Großvieh. 7500000 Stück Kleinvieh und 270000 Pferden und Maultieren. Es er¬ zeugte im Jahre 39 Millionen Kilo Getreide und 11 Millionen Kilo Wolle und konnte 17400 waffenfähige Bürger zur Verteidigung seiner Grenzen stellen. Findet in Deutsch-Südwestafrika auch nur eine ähnliche Entwicklung statt, so können nach Rehbock die Ausfuhrwerte die zur Erhaltung selbst einer großen weißen Bevölkerung erforderliche Einfuhr reichlich decken. Eine deutsche Be¬ völkerung kann dort leben und gedeihen, sie kann sich ohne Unterstützung vom Mutterlande erhalten und schützen und wird berufen sein, bei der weitern Ge¬ staltung der südafrikanischen Verhältnisse eine wichtige Rolle zu spielen. Hätte die Regierung von vornherein die Ansiedlung kleiner Leute be¬ günstigt und ihnen das — im Verhältnis zu den von den Gesellschaften projek¬ tierten Riesenfarmen von 20000 Morgen für den Kopf — verschwindend kleine Stück Land geschenkt, dessen sie zur Begründung ihrer Existenz bedürfen, hätte die Negierung, wie ich wiederholt vorgeschlagen habe, diese Parzellen sür ihre zu¬ künftige landwirtschaftliche Bestimmung durch deportierte Sträflinge vorbereiten lassen, so würde sie heute von den Erwerbsgesellschaften unabhängig sein und, was nicht zu unterschätzen ist, auch bei den breiten Schichten der Bevölkerung mehr Verständnis, Liebe, ja sogar Begeisterung für ihre kolonialen Bestrebungen finden. Mußte nicht die Thatsache, daß in den Nachbarstaaten reiche Mineral¬ schätze aufgedeckt wurden (wie die Goldfunde in Transvaal, die Diamantfelder bei Kimberley) für die Regierung ein Beweggrund mehr sein, vor der Ver¬ gebung der Minengerechtigkeiten über das ganze ungeheure Land an einige wenige englische Gesellschaften erst die weitere Entwicklung abzuwarten? Fehlte es doch nie an Anzeichen für ein gleiches Vorkommen im Schutzgebiete. Und welche Perspektive eröffnete sich dem Reich in finanzieller Hinsicht, wenn es sich, belehrt durch die Entwicklung in Transvaal, die ausschließliche Förde¬ rung dieser Schätze vorbehalten hätte! Nach jahrhundertelangem Warten ist die deutsche Nation jetzt zum erstenmale in den Besitz eines Koloniallandes gelangt, das wie kein andres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/306>, abgerufen am 23.07.2024.