Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches hat sie nicht weiter berücksichtigt. Eine dahin gerichtete Kritik lag eben außerhalb Übertragen wir das Fremdwort: "Taktilität" ins Deutsche: Belastbarkeit, so Es ist also unrichtig, wenn Berenson behauptet: "Die Empfindung von der Wollte man also statt der speziellen Bezeichnungen der Dimensionsempfinduugen M. B, Freund Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Maßgebliches und Unmaßgebliches hat sie nicht weiter berücksichtigt. Eine dahin gerichtete Kritik lag eben außerhalb Übertragen wir das Fremdwort: „Taktilität" ins Deutsche: Belastbarkeit, so Es ist also unrichtig, wenn Berenson behauptet: „Die Empfindung von der Wollte man also statt der speziellen Bezeichnungen der Dimensionsempfinduugen M. B, Freund Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229982"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1218" prev="#ID_1217"> hat sie nicht weiter berücksichtigt. Eine dahin gerichtete Kritik lag eben außerhalb<lb/> des Zwecks der Abhandlung. Aber es ist doch wohl nicht ohne Interesse, zu<lb/> zeigen, wie Berenson mit einer physiologisch durchaus irrigen Vorstellung operiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1219"> Übertragen wir das Fremdwort: „Taktilität" ins Deutsche: Belastbarkeit, so<lb/> wird sofort klar, eine wie unbestimmte Eigenschaft von Gemälden Berenson statt<lb/> der bestimmten Qualitäten (wie Rundung, Körperlichkeit u. tgi.), die durch das<lb/> Tasten (wenn es überhaupt ein solches wäre) erkannt werden, angiebt — so<lb/> unbestimmt, daß sie ohne nähere Bezeichnung gar nicht verständlich ist. Aber<lb/> — abgesehen davon — ist „Taktilität," Belastbarkeit, vor allem darum verfehlt,<lb/> weil es eine falsche Vorstellung des innern physiologischen Vorganges erweckt,<lb/> durch den wir der Dimensionen nicht nur gemalter Gegenstände, sondern aller<lb/> körperlichen Dinge inne werden. Und diese irrige Vorstellung war es auch, die<lb/> Berenson zu seiner Taktilität verleitet hat. Es ist nicht der Tastsinn, der uns<lb/> die Vorstellung von den Dimensionen der Dinge vermittelt, der hat nichts damit<lb/> zu thun, sein Bereich ist — ganz allgemein ausgedrückt — der Widerstand des<lb/> Körperlichen (die Kohttsion, der Aggregatszustand), sowie die Beschaffenheit der<lb/> Oberfläche (Rauhigkeit, Glätte); es ist vielmehr lediglich der Muskelsinn, der uns<lb/> durch das Maß der Bewegung, das eine bestimmte Muskelgruppe ausführen muß,<lb/> um einen Gegenstand in seinen Dimensionen, d. h. in der gegenseitigen Entfernung<lb/> seiner verschiednen Grenzen zu erfassen, seine Höhe, Breite und Tiefe kennen lehrt,<lb/> indem dieses Bewegungsmaß nach dem Muskelzentrum gemeldet wird. Dieser<lb/> Muskelsinn ist allen Muskeln eigen, je nach der Übung verschiednen Gruppen in<lb/> verschiednen Grade, also auch den Augenmuskeln, und zwar diesen sowie den<lb/> Handmuskeln am meisten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1220"> Es ist also unrichtig, wenn Berenson behauptet: „Die Empfindung von der<lb/> dritten Dimension (der Tiefe) giebt uns als Kindern nicht das Auge, sondern<lb/> der Tastsinn; später vergessen wir den Ursprung und sehen auch mit den Augen<lb/> dreidimensional. Diese großen florentinischen Figurenmaler regen also unsre<lb/> Tastvorstelluug an, sie veranlassen uns, unsern Netzhautempfindungen »Taktil-<lb/> werte« zu geben, wir erkennen Greifbares, also Wirklichkeit." Weder das Auge<lb/> noch der Tastsinn giebt uns diese Empfindung, sondern eben der Muskelsinn der<lb/> Augenmuskeln, wir vergessen den Ursprung der Empfindung der dritten Dimension<lb/> aus dem Tastsinn nicht, weil sie nie darin ihren Ursprung hatte, und wir verlegen<lb/> diese Empfindung nicht in die Netzhaut, sondern ins Muskelzentrum. Und endlich<lb/> ist es nicht nur die dritte Dimension, die die Berensonsche Taktilität, iüig.« der<lb/> Mnskelsinn, vermittelt, sondern es sind alle drei Dimensionen. Dabei ist es für<lb/> den physiologischen Borgang gleichgiltig, ob die Dimensionen wirklich sind oder nur<lb/> scheinbar, durch die Kunst hervorgebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1221"> Wollte man also statt der speziellen Bezeichnungen der Dimensionsempfinduugen<lb/> als hoch, breit, tief ein diese drei zusammenfassendes Wort, der Berensonschen Tak¬<lb/> tilität entsprechend, schaffen, so würde es etwa Mensurabilität lauten, womit, was<lb/> ja thatsächlich der Fall ist, wenn auch wieder zu allgemein, ausgedrückt würde,<lb/> daß ein Gemälde auch in seiner dritten, der Tiefendimension (mittels der Augen¬<lb/> muskeln), „gemessen" werden kann. Aber wozu das? Körperlichkeit, perspektivische<lb/> Vertiefung u. tgi. sind viel bezeichnender.</p><lb/> <note type="byline"> M. B, Freund</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0296]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
hat sie nicht weiter berücksichtigt. Eine dahin gerichtete Kritik lag eben außerhalb
des Zwecks der Abhandlung. Aber es ist doch wohl nicht ohne Interesse, zu
zeigen, wie Berenson mit einer physiologisch durchaus irrigen Vorstellung operiert.
Übertragen wir das Fremdwort: „Taktilität" ins Deutsche: Belastbarkeit, so
wird sofort klar, eine wie unbestimmte Eigenschaft von Gemälden Berenson statt
der bestimmten Qualitäten (wie Rundung, Körperlichkeit u. tgi.), die durch das
Tasten (wenn es überhaupt ein solches wäre) erkannt werden, angiebt — so
unbestimmt, daß sie ohne nähere Bezeichnung gar nicht verständlich ist. Aber
— abgesehen davon — ist „Taktilität," Belastbarkeit, vor allem darum verfehlt,
weil es eine falsche Vorstellung des innern physiologischen Vorganges erweckt,
durch den wir der Dimensionen nicht nur gemalter Gegenstände, sondern aller
körperlichen Dinge inne werden. Und diese irrige Vorstellung war es auch, die
Berenson zu seiner Taktilität verleitet hat. Es ist nicht der Tastsinn, der uns
die Vorstellung von den Dimensionen der Dinge vermittelt, der hat nichts damit
zu thun, sein Bereich ist — ganz allgemein ausgedrückt — der Widerstand des
Körperlichen (die Kohttsion, der Aggregatszustand), sowie die Beschaffenheit der
Oberfläche (Rauhigkeit, Glätte); es ist vielmehr lediglich der Muskelsinn, der uns
durch das Maß der Bewegung, das eine bestimmte Muskelgruppe ausführen muß,
um einen Gegenstand in seinen Dimensionen, d. h. in der gegenseitigen Entfernung
seiner verschiednen Grenzen zu erfassen, seine Höhe, Breite und Tiefe kennen lehrt,
indem dieses Bewegungsmaß nach dem Muskelzentrum gemeldet wird. Dieser
Muskelsinn ist allen Muskeln eigen, je nach der Übung verschiednen Gruppen in
verschiednen Grade, also auch den Augenmuskeln, und zwar diesen sowie den
Handmuskeln am meisten.
Es ist also unrichtig, wenn Berenson behauptet: „Die Empfindung von der
dritten Dimension (der Tiefe) giebt uns als Kindern nicht das Auge, sondern
der Tastsinn; später vergessen wir den Ursprung und sehen auch mit den Augen
dreidimensional. Diese großen florentinischen Figurenmaler regen also unsre
Tastvorstelluug an, sie veranlassen uns, unsern Netzhautempfindungen »Taktil-
werte« zu geben, wir erkennen Greifbares, also Wirklichkeit." Weder das Auge
noch der Tastsinn giebt uns diese Empfindung, sondern eben der Muskelsinn der
Augenmuskeln, wir vergessen den Ursprung der Empfindung der dritten Dimension
aus dem Tastsinn nicht, weil sie nie darin ihren Ursprung hatte, und wir verlegen
diese Empfindung nicht in die Netzhaut, sondern ins Muskelzentrum. Und endlich
ist es nicht nur die dritte Dimension, die die Berensonsche Taktilität, iüig.« der
Mnskelsinn, vermittelt, sondern es sind alle drei Dimensionen. Dabei ist es für
den physiologischen Borgang gleichgiltig, ob die Dimensionen wirklich sind oder nur
scheinbar, durch die Kunst hervorgebracht.
Wollte man also statt der speziellen Bezeichnungen der Dimensionsempfinduugen
als hoch, breit, tief ein diese drei zusammenfassendes Wort, der Berensonschen Tak¬
tilität entsprechend, schaffen, so würde es etwa Mensurabilität lauten, womit, was
ja thatsächlich der Fall ist, wenn auch wieder zu allgemein, ausgedrückt würde,
daß ein Gemälde auch in seiner dritten, der Tiefendimension (mittels der Augen¬
muskeln), „gemessen" werden kann. Aber wozu das? Körperlichkeit, perspektivische
Vertiefung u. tgi. sind viel bezeichnender.
M. B, Freund
Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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