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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

kanzlei, 1784 Hofkammerrat, 1786 Mitglied des Bonner Magistrats, später
Maire der neuen Stadtverwaltung.

Der Bonner geistigen Lust entstammte, wie schon vorher bemerkt worden
ist, der dort am 2. August 1768 geborne, mit zweiundzwanzig Jahren (1791)
zum Professor der Rechte an der dortigen Universität ernannte, spätere Staatsrat
und Präsident in Berlin Bartholomäus Ludwig Fischenich, dem der Kurfürst
Urlaub zu seiner weitern Ausbildung an der Universität Jena erteilte. Schillers
Ruf war es, der ihn dahin zog; mit diesem wurde er bald zu innigster Freund¬
schaft verbunden, und Schiller war mit ihm tagtäglich in wissenschaftlichem
Verkehr. Fischenichs Briefwechsel mit Charlotte von Schiller (vgl. Fischenich
und Charlotte von Schiller von Dr. I. H. Hermes, Frankfurt a. M, 1875, und
Andenken an Bartholomäus Fischenich von demselben Verfasser, Stuttgart und
Tübingen, Cottas Verlag, 1841) giebt ein beredtes Zeugnis über dessen viel¬
seitige litterarische Bildung. In dem Buche "Schillers Sohn Ernst. Eine
Briefsammlung von Dr. Karl Schmidt, Oberlandesgerichtsrat zu Kolmar^
Paderborn, 1893" finden wir die Urteile über ihn und wie Schillers Gattin
über diesen Bonner denkt. Am 19. Dezember 1818 schreibt sie an ihren Sohn
Karl: "Ein solcher Umgang und ein Mann von einem solchen Charakter könnte
von der größten Wichtigkeit für Ernst sein."

Gehen wir um weiter den Rhein abwärts nach Köln, das schon 1388
die älteste, vom Papste Urban IV. mit Privilegien und Freiheiten ausgerüstete
Universität hatte. Trotz seiner Universität, trotz seiner vielen Gymnasien (schon
seit 1222) und Kollegien und Institute war Köln auf litterarischem Gebiete
nicht das, was es wirklich hätte sein können. Der Verfasser der "Reise auf
dem Rhein" (II. Band, S. 296) beklagt, "daß in den niedern Schulen noch
der alte Schlendrian herrsche und hundert Hindernisse, die der Kölner aus an¬
klebenden alten Vorurteilen nicht heben will und mag, das Ganze, das man
doch in den benachbarten Städten so gut und glücklich wirken sieht, in seiner
Schwungkraft hemmen." Auch Gercken (S. 273) meint, daß es mit dem Ruhm
der Kölnischen Universität nicht recht fort wolle, obgleich sie eine Tochter der
Pariser und eine Mutter der zu Löwen in Brabant sei. Es herrsche noch bei
ihr viel alter Schlendrian, der die Wissenschaften nicht aufkommen ließe.

Dr. C. Varrentrapp führt in seinen "Beitrügen zur Gründung der Kur-
kölnischen Universität Bonn" (Bonn, 1868) ein an Meusel aus Bonn gerichtetes
Schreiben vom 28. September 1784 an, worin es heißt: "Von der kläglichen Be¬
schaffenheit der Dorfschulen muß ich Ihnen doch einige besondre Beispiele
mitteilen. Zu Herzogsfrende ist eine Kapelle, die von einem Mönche bedient
wird und der auch die Schule besorgen soll, aber herzlich schlecht katechisiert.
Im Dörfchen Uckesdorf ist bei der dortigen Kapelle ein Bencfiziat, der Messe
liest, übrigens aber ein Stallausfeger, Buttermacher und Holzhacker ist. In
Jppendorf wurde vor einigen Jahren durch den wahrhaft patriotisch denkende".


Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

kanzlei, 1784 Hofkammerrat, 1786 Mitglied des Bonner Magistrats, später
Maire der neuen Stadtverwaltung.

Der Bonner geistigen Lust entstammte, wie schon vorher bemerkt worden
ist, der dort am 2. August 1768 geborne, mit zweiundzwanzig Jahren (1791)
zum Professor der Rechte an der dortigen Universität ernannte, spätere Staatsrat
und Präsident in Berlin Bartholomäus Ludwig Fischenich, dem der Kurfürst
Urlaub zu seiner weitern Ausbildung an der Universität Jena erteilte. Schillers
Ruf war es, der ihn dahin zog; mit diesem wurde er bald zu innigster Freund¬
schaft verbunden, und Schiller war mit ihm tagtäglich in wissenschaftlichem
Verkehr. Fischenichs Briefwechsel mit Charlotte von Schiller (vgl. Fischenich
und Charlotte von Schiller von Dr. I. H. Hermes, Frankfurt a. M, 1875, und
Andenken an Bartholomäus Fischenich von demselben Verfasser, Stuttgart und
Tübingen, Cottas Verlag, 1841) giebt ein beredtes Zeugnis über dessen viel¬
seitige litterarische Bildung. In dem Buche „Schillers Sohn Ernst. Eine
Briefsammlung von Dr. Karl Schmidt, Oberlandesgerichtsrat zu Kolmar^
Paderborn, 1893" finden wir die Urteile über ihn und wie Schillers Gattin
über diesen Bonner denkt. Am 19. Dezember 1818 schreibt sie an ihren Sohn
Karl: „Ein solcher Umgang und ein Mann von einem solchen Charakter könnte
von der größten Wichtigkeit für Ernst sein."

Gehen wir um weiter den Rhein abwärts nach Köln, das schon 1388
die älteste, vom Papste Urban IV. mit Privilegien und Freiheiten ausgerüstete
Universität hatte. Trotz seiner Universität, trotz seiner vielen Gymnasien (schon
seit 1222) und Kollegien und Institute war Köln auf litterarischem Gebiete
nicht das, was es wirklich hätte sein können. Der Verfasser der „Reise auf
dem Rhein" (II. Band, S. 296) beklagt, „daß in den niedern Schulen noch
der alte Schlendrian herrsche und hundert Hindernisse, die der Kölner aus an¬
klebenden alten Vorurteilen nicht heben will und mag, das Ganze, das man
doch in den benachbarten Städten so gut und glücklich wirken sieht, in seiner
Schwungkraft hemmen." Auch Gercken (S. 273) meint, daß es mit dem Ruhm
der Kölnischen Universität nicht recht fort wolle, obgleich sie eine Tochter der
Pariser und eine Mutter der zu Löwen in Brabant sei. Es herrsche noch bei
ihr viel alter Schlendrian, der die Wissenschaften nicht aufkommen ließe.

Dr. C. Varrentrapp führt in seinen „Beitrügen zur Gründung der Kur-
kölnischen Universität Bonn" (Bonn, 1868) ein an Meusel aus Bonn gerichtetes
Schreiben vom 28. September 1784 an, worin es heißt: „Von der kläglichen Be¬
schaffenheit der Dorfschulen muß ich Ihnen doch einige besondre Beispiele
mitteilen. Zu Herzogsfrende ist eine Kapelle, die von einem Mönche bedient
wird und der auch die Schule besorgen soll, aber herzlich schlecht katechisiert.
Im Dörfchen Uckesdorf ist bei der dortigen Kapelle ein Bencfiziat, der Messe
liest, übrigens aber ein Stallausfeger, Buttermacher und Holzhacker ist. In
Jppendorf wurde vor einigen Jahren durch den wahrhaft patriotisch denkende».


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[0279] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert kanzlei, 1784 Hofkammerrat, 1786 Mitglied des Bonner Magistrats, später Maire der neuen Stadtverwaltung. Der Bonner geistigen Lust entstammte, wie schon vorher bemerkt worden ist, der dort am 2. August 1768 geborne, mit zweiundzwanzig Jahren (1791) zum Professor der Rechte an der dortigen Universität ernannte, spätere Staatsrat und Präsident in Berlin Bartholomäus Ludwig Fischenich, dem der Kurfürst Urlaub zu seiner weitern Ausbildung an der Universität Jena erteilte. Schillers Ruf war es, der ihn dahin zog; mit diesem wurde er bald zu innigster Freund¬ schaft verbunden, und Schiller war mit ihm tagtäglich in wissenschaftlichem Verkehr. Fischenichs Briefwechsel mit Charlotte von Schiller (vgl. Fischenich und Charlotte von Schiller von Dr. I. H. Hermes, Frankfurt a. M, 1875, und Andenken an Bartholomäus Fischenich von demselben Verfasser, Stuttgart und Tübingen, Cottas Verlag, 1841) giebt ein beredtes Zeugnis über dessen viel¬ seitige litterarische Bildung. In dem Buche „Schillers Sohn Ernst. Eine Briefsammlung von Dr. Karl Schmidt, Oberlandesgerichtsrat zu Kolmar^ Paderborn, 1893" finden wir die Urteile über ihn und wie Schillers Gattin über diesen Bonner denkt. Am 19. Dezember 1818 schreibt sie an ihren Sohn Karl: „Ein solcher Umgang und ein Mann von einem solchen Charakter könnte von der größten Wichtigkeit für Ernst sein." Gehen wir um weiter den Rhein abwärts nach Köln, das schon 1388 die älteste, vom Papste Urban IV. mit Privilegien und Freiheiten ausgerüstete Universität hatte. Trotz seiner Universität, trotz seiner vielen Gymnasien (schon seit 1222) und Kollegien und Institute war Köln auf litterarischem Gebiete nicht das, was es wirklich hätte sein können. Der Verfasser der „Reise auf dem Rhein" (II. Band, S. 296) beklagt, „daß in den niedern Schulen noch der alte Schlendrian herrsche und hundert Hindernisse, die der Kölner aus an¬ klebenden alten Vorurteilen nicht heben will und mag, das Ganze, das man doch in den benachbarten Städten so gut und glücklich wirken sieht, in seiner Schwungkraft hemmen." Auch Gercken (S. 273) meint, daß es mit dem Ruhm der Kölnischen Universität nicht recht fort wolle, obgleich sie eine Tochter der Pariser und eine Mutter der zu Löwen in Brabant sei. Es herrsche noch bei ihr viel alter Schlendrian, der die Wissenschaften nicht aufkommen ließe. Dr. C. Varrentrapp führt in seinen „Beitrügen zur Gründung der Kur- kölnischen Universität Bonn" (Bonn, 1868) ein an Meusel aus Bonn gerichtetes Schreiben vom 28. September 1784 an, worin es heißt: „Von der kläglichen Be¬ schaffenheit der Dorfschulen muß ich Ihnen doch einige besondre Beispiele mitteilen. Zu Herzogsfrende ist eine Kapelle, die von einem Mönche bedient wird und der auch die Schule besorgen soll, aber herzlich schlecht katechisiert. Im Dörfchen Uckesdorf ist bei der dortigen Kapelle ein Bencfiziat, der Messe liest, übrigens aber ein Stallausfeger, Buttermacher und Holzhacker ist. In Jppendorf wurde vor einigen Jahren durch den wahrhaft patriotisch denkende».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/279>, abgerufen am 23.07.2024.