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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

sei, und daß wir uns auf diesem Punkte der Geistesbildung befinden, das
beweist der gegenwärtige Zustand der Erziehungsanstalten, der Universitäten
und der belletristischen Litteratur."

Ferner dürfte hier das Ergebnis der Untersuchungen Dr. Paul Kaufmanns
in seiner "Geschichte der Familie Kaufmann ans Bonn und von Pelzer ans
Köln" (Bonn, 1897) hervorzuheben sein: "Man hat, sagt er, in jüngerer Zeit
öfter behauptet, im damaligen Bonn habe gar kein Sinn für die aufwachende
deutsche Litteratur geherrscht. Dies ist jedoch nur mit großer Einschränkung
zuzugeben. Unser Großvater") schaffte alle damaligen Novitäten an: Hagedorn,
Gellert, Rabener usw. Sein vertrautester Freund, der Hofkammerrat Boosfeld,
beschäftigte sich sogar sehr lebhaft mit allen neuen Erscheinungen dieser Art;
mit gleicher Lebendigkeit verfolgte sie unsers Großvaters Nichte, Amalie von
Masticiux, die spätere Frau von Grub. Ein großer Freund der Litteratur
war endlich der damalige Professor Fischenich, später Staatsrat und Präsident
in Berlin, der als Jenenser Student im Schillerschen Hause gelebt hatte und
mit Charlotte von Schiller fortwährend in Briefwechsel blieb. Unsre Mutter
erzählte, Fischenich habe, als Frau von Schiller ihm das Lied von der Glocke
zugeschickt, seine juristischen Vorträge für eine Stunde Wert und statt dessen
zu größtem Entzücken seiner Zuhörer das Schillersche Meistergedicht vorgelesen.
Wie sehr Oper, Schauspiel und Musik in dem damaligen Bonn blühten, ist
zu bekannt, als daß man darüber noch zu sprechen brauchte, und die Einrich¬
tung der kurfürstlichen Universität ist ein hinlänglicher Beweis, daß der Sinn
für Bildung und Wissenschaft in den höhern Kreisen der Gesellschaft nicht
mangelte. An dem Professor Eulogius Schneider besaß die Stadt auch einen
später freilich sehr berüchtigt gewordnen Dichter. Boosfeld dichtete gleichfalls,
und auch unser Großvater Pelzer hat sich in Versen versucht. Geistige Le¬
thargie trat erst in der unglücklichen französischen Periode ein, und dies war
ganz natürlich, da der größte Teil des gebildeten Publikums die Stadt ver¬
lassen hatte. Die wenigen Zurückgebliebnen, wie Boosfeld, der Geheimrat
von Gerold, Frau von Grub, ihre Freundin, die schöne Gräfin Belderbusch u.a.
konnten dagegen nicht in die Wagschale sollen. Auch des kunstsinnigen Kano¬
nikus Pick (geb. 1750 zu Bonn), des "heitern, geistreichen Mannes", dessen
Sammlungen Goethe (Kunst und Altertum am Rhein und Main, Erstes Heft,
Stuttgart, Cottasche Buchhandlung, 1816. S. 31 ff.) eingehend beschreibt, ist
hier zu gedenken. -- Eine ins Absurde gehende Übertreibung ist es, wenn Adolph
Freimund in seiner 1845 erschienenen Schrift: "Die historisch-politische Schule
und Böhmers geschichtliche Ansichten" behauptet, in der ganzen verarmten und



Der Verfasser dieser Studie fand in der Bibliothek seines Großvaters, der um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts geboren wurde und Richter des bergischen Amtes Windeck
an der Sieg war, auch einen großen Schatz von litterarischen klassischen Werken vor.
Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

sei, und daß wir uns auf diesem Punkte der Geistesbildung befinden, das
beweist der gegenwärtige Zustand der Erziehungsanstalten, der Universitäten
und der belletristischen Litteratur."

Ferner dürfte hier das Ergebnis der Untersuchungen Dr. Paul Kaufmanns
in seiner „Geschichte der Familie Kaufmann ans Bonn und von Pelzer ans
Köln" (Bonn, 1897) hervorzuheben sein: „Man hat, sagt er, in jüngerer Zeit
öfter behauptet, im damaligen Bonn habe gar kein Sinn für die aufwachende
deutsche Litteratur geherrscht. Dies ist jedoch nur mit großer Einschränkung
zuzugeben. Unser Großvater") schaffte alle damaligen Novitäten an: Hagedorn,
Gellert, Rabener usw. Sein vertrautester Freund, der Hofkammerrat Boosfeld,
beschäftigte sich sogar sehr lebhaft mit allen neuen Erscheinungen dieser Art;
mit gleicher Lebendigkeit verfolgte sie unsers Großvaters Nichte, Amalie von
Masticiux, die spätere Frau von Grub. Ein großer Freund der Litteratur
war endlich der damalige Professor Fischenich, später Staatsrat und Präsident
in Berlin, der als Jenenser Student im Schillerschen Hause gelebt hatte und
mit Charlotte von Schiller fortwährend in Briefwechsel blieb. Unsre Mutter
erzählte, Fischenich habe, als Frau von Schiller ihm das Lied von der Glocke
zugeschickt, seine juristischen Vorträge für eine Stunde Wert und statt dessen
zu größtem Entzücken seiner Zuhörer das Schillersche Meistergedicht vorgelesen.
Wie sehr Oper, Schauspiel und Musik in dem damaligen Bonn blühten, ist
zu bekannt, als daß man darüber noch zu sprechen brauchte, und die Einrich¬
tung der kurfürstlichen Universität ist ein hinlänglicher Beweis, daß der Sinn
für Bildung und Wissenschaft in den höhern Kreisen der Gesellschaft nicht
mangelte. An dem Professor Eulogius Schneider besaß die Stadt auch einen
später freilich sehr berüchtigt gewordnen Dichter. Boosfeld dichtete gleichfalls,
und auch unser Großvater Pelzer hat sich in Versen versucht. Geistige Le¬
thargie trat erst in der unglücklichen französischen Periode ein, und dies war
ganz natürlich, da der größte Teil des gebildeten Publikums die Stadt ver¬
lassen hatte. Die wenigen Zurückgebliebnen, wie Boosfeld, der Geheimrat
von Gerold, Frau von Grub, ihre Freundin, die schöne Gräfin Belderbusch u.a.
konnten dagegen nicht in die Wagschale sollen. Auch des kunstsinnigen Kano¬
nikus Pick (geb. 1750 zu Bonn), des »heitern, geistreichen Mannes«, dessen
Sammlungen Goethe (Kunst und Altertum am Rhein und Main, Erstes Heft,
Stuttgart, Cottasche Buchhandlung, 1816. S. 31 ff.) eingehend beschreibt, ist
hier zu gedenken. — Eine ins Absurde gehende Übertreibung ist es, wenn Adolph
Freimund in seiner 1845 erschienenen Schrift: »Die historisch-politische Schule
und Böhmers geschichtliche Ansichten« behauptet, in der ganzen verarmten und



Der Verfasser dieser Studie fand in der Bibliothek seines Großvaters, der um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts geboren wurde und Richter des bergischen Amtes Windeck
an der Sieg war, auch einen großen Schatz von litterarischen klassischen Werken vor.
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[0277] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert sei, und daß wir uns auf diesem Punkte der Geistesbildung befinden, das beweist der gegenwärtige Zustand der Erziehungsanstalten, der Universitäten und der belletristischen Litteratur." Ferner dürfte hier das Ergebnis der Untersuchungen Dr. Paul Kaufmanns in seiner „Geschichte der Familie Kaufmann ans Bonn und von Pelzer ans Köln" (Bonn, 1897) hervorzuheben sein: „Man hat, sagt er, in jüngerer Zeit öfter behauptet, im damaligen Bonn habe gar kein Sinn für die aufwachende deutsche Litteratur geherrscht. Dies ist jedoch nur mit großer Einschränkung zuzugeben. Unser Großvater") schaffte alle damaligen Novitäten an: Hagedorn, Gellert, Rabener usw. Sein vertrautester Freund, der Hofkammerrat Boosfeld, beschäftigte sich sogar sehr lebhaft mit allen neuen Erscheinungen dieser Art; mit gleicher Lebendigkeit verfolgte sie unsers Großvaters Nichte, Amalie von Masticiux, die spätere Frau von Grub. Ein großer Freund der Litteratur war endlich der damalige Professor Fischenich, später Staatsrat und Präsident in Berlin, der als Jenenser Student im Schillerschen Hause gelebt hatte und mit Charlotte von Schiller fortwährend in Briefwechsel blieb. Unsre Mutter erzählte, Fischenich habe, als Frau von Schiller ihm das Lied von der Glocke zugeschickt, seine juristischen Vorträge für eine Stunde Wert und statt dessen zu größtem Entzücken seiner Zuhörer das Schillersche Meistergedicht vorgelesen. Wie sehr Oper, Schauspiel und Musik in dem damaligen Bonn blühten, ist zu bekannt, als daß man darüber noch zu sprechen brauchte, und die Einrich¬ tung der kurfürstlichen Universität ist ein hinlänglicher Beweis, daß der Sinn für Bildung und Wissenschaft in den höhern Kreisen der Gesellschaft nicht mangelte. An dem Professor Eulogius Schneider besaß die Stadt auch einen später freilich sehr berüchtigt gewordnen Dichter. Boosfeld dichtete gleichfalls, und auch unser Großvater Pelzer hat sich in Versen versucht. Geistige Le¬ thargie trat erst in der unglücklichen französischen Periode ein, und dies war ganz natürlich, da der größte Teil des gebildeten Publikums die Stadt ver¬ lassen hatte. Die wenigen Zurückgebliebnen, wie Boosfeld, der Geheimrat von Gerold, Frau von Grub, ihre Freundin, die schöne Gräfin Belderbusch u.a. konnten dagegen nicht in die Wagschale sollen. Auch des kunstsinnigen Kano¬ nikus Pick (geb. 1750 zu Bonn), des »heitern, geistreichen Mannes«, dessen Sammlungen Goethe (Kunst und Altertum am Rhein und Main, Erstes Heft, Stuttgart, Cottasche Buchhandlung, 1816. S. 31 ff.) eingehend beschreibt, ist hier zu gedenken. — Eine ins Absurde gehende Übertreibung ist es, wenn Adolph Freimund in seiner 1845 erschienenen Schrift: »Die historisch-politische Schule und Böhmers geschichtliche Ansichten« behauptet, in der ganzen verarmten und Der Verfasser dieser Studie fand in der Bibliothek seines Großvaters, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts geboren wurde und Richter des bergischen Amtes Windeck an der Sieg war, auch einen großen Schatz von litterarischen klassischen Werken vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/277>, abgerufen am 23.07.2024.