Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

Wiederbelebung des Nationaltheaters." Leopold Kaufmann, der Verfasser der
"Bilder aus dem Rheinland," führt als ein wichtiges Zeugnis für die da¬
maligen geistigen Bestrebungen den Schriftwechsel des Hoforganisten und Musik¬
direktors Reese an, der auch ein gebildeter Schriftsteller war. Danach
wurden in der ersten Wintersaison vom 3. Januar bis 23. Mai 1789 dreizehn
Opern aufgeführt von Venda, Pavsiello, Desaides, Mozart, Salieri, Gretry
und Cimarosa. In der zweiten Saison blieb dieselbe Zahl von Opern, dar¬
unter aber zwei von Mozart, und zwar Don Juan und die Hochzeit des
Figaro. Von der Aufführung der letzten berichtet Reese: "Sie gefiel ungemein;
Sänger und Orchester wetteiferten miteinander, dieser schonen Oper Genüge
zu thun. Auch waren die Kleider prächtig und geschmackvoll." Figaros Hoch¬
zeit wurde viermal, Don Juan dreimal, der Barbier von Sevilla von Paösiello
zweimal gegeben. In dem Zeitraum von vier Jahren, von 1788 bis 1792,
hat Ludwig van Beethoven hier als thätiges Mitglied des Opernorchesters
gewirkt. Die Mitteilungen aus dem Verzeichnisse der aufgeführten Opern
zeigen, daß die besten Schulen der Zeit vollständig von ihm in ihrer ganzen
Stärke und Schwäche bemeistert worden sein müssen. Bekannt ist, daß Beethoven
in dem Hause der Witwe des kurkölnischer Hofkammerrath Joseph von Breuning,
Helene von Kerich, die erste Bekanntschaft mit der dentschen Litteratur machte,
vorzüglich mit den Dichtern Lessing, Klopstock, Herder und Goethe. Wir ver¬
weisen dieserhalb auf die "Erzählungen eines rheinischen Chronisten" von
Wolfgang Müller von .Königswinter (Furioso, Seite 158), der als freier und
objektiver Mann über jeden Verdacht erhaben ist, daß er die Geschichte ein¬
seitig gefärbt hat.

Das frische, regsame, vor allem sich auf Wissenschaft und Kunst richtende
Leben in Bonn mußte auf die Bildung des Geistes und Charakters Beethovens
den nachhaltigsten Einfluß ausüben. Wie wir "bei ihm eine gewisse Vielseitig¬
keit der Interessen sein ganzes Leben hindurch beobachteten und zweifelsohne
auf die geselligen Einflüsse zurückzuführen haben, unter denen er sich entwickelte"
(vgl. Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, bearbeitet von H. Deiters, I,
S. 131 und 133), so müssen wir dieselbe vorteilhafte Eüiwirknng auf die litte¬
rarische Bildung der damaligen Bonner Kreise gleichfalls annehmen. Der
mainzische Bibliothekar, Hofrat Johann Georg Forster, der wie kein andrer
Schriftsteller das achtzehnte mit dem neunzehnten Jahrhundert, das Zeitalter
ausschließlich schöngeistigen und wissenschaftlichen Strebens mit dem Zeitalter
staatlicher und gesellschaftlicher Kämpfe vermittelt, sagt in seinen "Ansichten
vom Niederrhein" (1790) bei Besichtigung der Bibliothek des kurfürstlichen
Schlosses in Bonn, daß er "in den reichvergoldeten Schränken die besten
Schriftsteller unsrer Nation in jedem Fache der Litteratur, ganz ohne Vor¬
urteil, gesammelt" gefunden habe. Ferner meint er, "daß je reicher die Aus¬
bildung unsers Zeitalters, desto umfassender unser Denk- und Wirkungskreis


Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

Wiederbelebung des Nationaltheaters." Leopold Kaufmann, der Verfasser der
„Bilder aus dem Rheinland," führt als ein wichtiges Zeugnis für die da¬
maligen geistigen Bestrebungen den Schriftwechsel des Hoforganisten und Musik¬
direktors Reese an, der auch ein gebildeter Schriftsteller war. Danach
wurden in der ersten Wintersaison vom 3. Januar bis 23. Mai 1789 dreizehn
Opern aufgeführt von Venda, Pavsiello, Desaides, Mozart, Salieri, Gretry
und Cimarosa. In der zweiten Saison blieb dieselbe Zahl von Opern, dar¬
unter aber zwei von Mozart, und zwar Don Juan und die Hochzeit des
Figaro. Von der Aufführung der letzten berichtet Reese: „Sie gefiel ungemein;
Sänger und Orchester wetteiferten miteinander, dieser schonen Oper Genüge
zu thun. Auch waren die Kleider prächtig und geschmackvoll." Figaros Hoch¬
zeit wurde viermal, Don Juan dreimal, der Barbier von Sevilla von Paösiello
zweimal gegeben. In dem Zeitraum von vier Jahren, von 1788 bis 1792,
hat Ludwig van Beethoven hier als thätiges Mitglied des Opernorchesters
gewirkt. Die Mitteilungen aus dem Verzeichnisse der aufgeführten Opern
zeigen, daß die besten Schulen der Zeit vollständig von ihm in ihrer ganzen
Stärke und Schwäche bemeistert worden sein müssen. Bekannt ist, daß Beethoven
in dem Hause der Witwe des kurkölnischer Hofkammerrath Joseph von Breuning,
Helene von Kerich, die erste Bekanntschaft mit der dentschen Litteratur machte,
vorzüglich mit den Dichtern Lessing, Klopstock, Herder und Goethe. Wir ver¬
weisen dieserhalb auf die „Erzählungen eines rheinischen Chronisten" von
Wolfgang Müller von .Königswinter (Furioso, Seite 158), der als freier und
objektiver Mann über jeden Verdacht erhaben ist, daß er die Geschichte ein¬
seitig gefärbt hat.

Das frische, regsame, vor allem sich auf Wissenschaft und Kunst richtende
Leben in Bonn mußte auf die Bildung des Geistes und Charakters Beethovens
den nachhaltigsten Einfluß ausüben. Wie wir „bei ihm eine gewisse Vielseitig¬
keit der Interessen sein ganzes Leben hindurch beobachteten und zweifelsohne
auf die geselligen Einflüsse zurückzuführen haben, unter denen er sich entwickelte"
(vgl. Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, bearbeitet von H. Deiters, I,
S. 131 und 133), so müssen wir dieselbe vorteilhafte Eüiwirknng auf die litte¬
rarische Bildung der damaligen Bonner Kreise gleichfalls annehmen. Der
mainzische Bibliothekar, Hofrat Johann Georg Forster, der wie kein andrer
Schriftsteller das achtzehnte mit dem neunzehnten Jahrhundert, das Zeitalter
ausschließlich schöngeistigen und wissenschaftlichen Strebens mit dem Zeitalter
staatlicher und gesellschaftlicher Kämpfe vermittelt, sagt in seinen „Ansichten
vom Niederrhein" (1790) bei Besichtigung der Bibliothek des kurfürstlichen
Schlosses in Bonn, daß er „in den reichvergoldeten Schränken die besten
Schriftsteller unsrer Nation in jedem Fache der Litteratur, ganz ohne Vor¬
urteil, gesammelt" gefunden habe. Ferner meint er, „daß je reicher die Aus¬
bildung unsers Zeitalters, desto umfassender unser Denk- und Wirkungskreis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229962"/>
          <fw type="header" place="top"> Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102"> Wiederbelebung des Nationaltheaters." Leopold Kaufmann, der Verfasser der<lb/>
&#x201E;Bilder aus dem Rheinland," führt als ein wichtiges Zeugnis für die da¬<lb/>
maligen geistigen Bestrebungen den Schriftwechsel des Hoforganisten und Musik¬<lb/>
direktors Reese an, der auch ein gebildeter Schriftsteller war. Danach<lb/>
wurden in der ersten Wintersaison vom 3. Januar bis 23. Mai 1789 dreizehn<lb/>
Opern aufgeführt von Venda, Pavsiello, Desaides, Mozart, Salieri, Gretry<lb/>
und Cimarosa. In der zweiten Saison blieb dieselbe Zahl von Opern, dar¬<lb/>
unter aber zwei von Mozart, und zwar Don Juan und die Hochzeit des<lb/>
Figaro. Von der Aufführung der letzten berichtet Reese: &#x201E;Sie gefiel ungemein;<lb/>
Sänger und Orchester wetteiferten miteinander, dieser schonen Oper Genüge<lb/>
zu thun. Auch waren die Kleider prächtig und geschmackvoll." Figaros Hoch¬<lb/>
zeit wurde viermal, Don Juan dreimal, der Barbier von Sevilla von Paösiello<lb/>
zweimal gegeben. In dem Zeitraum von vier Jahren, von 1788 bis 1792,<lb/>
hat Ludwig van Beethoven hier als thätiges Mitglied des Opernorchesters<lb/>
gewirkt. Die Mitteilungen aus dem Verzeichnisse der aufgeführten Opern<lb/>
zeigen, daß die besten Schulen der Zeit vollständig von ihm in ihrer ganzen<lb/>
Stärke und Schwäche bemeistert worden sein müssen. Bekannt ist, daß Beethoven<lb/>
in dem Hause der Witwe des kurkölnischer Hofkammerrath Joseph von Breuning,<lb/>
Helene von Kerich, die erste Bekanntschaft mit der dentschen Litteratur machte,<lb/>
vorzüglich mit den Dichtern Lessing, Klopstock, Herder und Goethe. Wir ver¬<lb/>
weisen dieserhalb auf die &#x201E;Erzählungen eines rheinischen Chronisten" von<lb/>
Wolfgang Müller von .Königswinter (Furioso, Seite 158), der als freier und<lb/>
objektiver Mann über jeden Verdacht erhaben ist, daß er die Geschichte ein¬<lb/>
seitig gefärbt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1104" next="#ID_1105"> Das frische, regsame, vor allem sich auf Wissenschaft und Kunst richtende<lb/>
Leben in Bonn mußte auf die Bildung des Geistes und Charakters Beethovens<lb/>
den nachhaltigsten Einfluß ausüben. Wie wir &#x201E;bei ihm eine gewisse Vielseitig¬<lb/>
keit der Interessen sein ganzes Leben hindurch beobachteten und zweifelsohne<lb/>
auf die geselligen Einflüsse zurückzuführen haben, unter denen er sich entwickelte"<lb/>
(vgl. Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, bearbeitet von H. Deiters, I,<lb/>
S. 131 und 133), so müssen wir dieselbe vorteilhafte Eüiwirknng auf die litte¬<lb/>
rarische Bildung der damaligen Bonner Kreise gleichfalls annehmen. Der<lb/>
mainzische Bibliothekar, Hofrat Johann Georg Forster, der wie kein andrer<lb/>
Schriftsteller das achtzehnte mit dem neunzehnten Jahrhundert, das Zeitalter<lb/>
ausschließlich schöngeistigen und wissenschaftlichen Strebens mit dem Zeitalter<lb/>
staatlicher und gesellschaftlicher Kämpfe vermittelt, sagt in seinen &#x201E;Ansichten<lb/>
vom Niederrhein" (1790) bei Besichtigung der Bibliothek des kurfürstlichen<lb/>
Schlosses in Bonn, daß er &#x201E;in den reichvergoldeten Schränken die besten<lb/>
Schriftsteller unsrer Nation in jedem Fache der Litteratur, ganz ohne Vor¬<lb/>
urteil, gesammelt" gefunden habe. Ferner meint er, &#x201E;daß je reicher die Aus¬<lb/>
bildung unsers Zeitalters, desto umfassender unser Denk- und Wirkungskreis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert Wiederbelebung des Nationaltheaters." Leopold Kaufmann, der Verfasser der „Bilder aus dem Rheinland," führt als ein wichtiges Zeugnis für die da¬ maligen geistigen Bestrebungen den Schriftwechsel des Hoforganisten und Musik¬ direktors Reese an, der auch ein gebildeter Schriftsteller war. Danach wurden in der ersten Wintersaison vom 3. Januar bis 23. Mai 1789 dreizehn Opern aufgeführt von Venda, Pavsiello, Desaides, Mozart, Salieri, Gretry und Cimarosa. In der zweiten Saison blieb dieselbe Zahl von Opern, dar¬ unter aber zwei von Mozart, und zwar Don Juan und die Hochzeit des Figaro. Von der Aufführung der letzten berichtet Reese: „Sie gefiel ungemein; Sänger und Orchester wetteiferten miteinander, dieser schonen Oper Genüge zu thun. Auch waren die Kleider prächtig und geschmackvoll." Figaros Hoch¬ zeit wurde viermal, Don Juan dreimal, der Barbier von Sevilla von Paösiello zweimal gegeben. In dem Zeitraum von vier Jahren, von 1788 bis 1792, hat Ludwig van Beethoven hier als thätiges Mitglied des Opernorchesters gewirkt. Die Mitteilungen aus dem Verzeichnisse der aufgeführten Opern zeigen, daß die besten Schulen der Zeit vollständig von ihm in ihrer ganzen Stärke und Schwäche bemeistert worden sein müssen. Bekannt ist, daß Beethoven in dem Hause der Witwe des kurkölnischer Hofkammerrath Joseph von Breuning, Helene von Kerich, die erste Bekanntschaft mit der dentschen Litteratur machte, vorzüglich mit den Dichtern Lessing, Klopstock, Herder und Goethe. Wir ver¬ weisen dieserhalb auf die „Erzählungen eines rheinischen Chronisten" von Wolfgang Müller von .Königswinter (Furioso, Seite 158), der als freier und objektiver Mann über jeden Verdacht erhaben ist, daß er die Geschichte ein¬ seitig gefärbt hat. Das frische, regsame, vor allem sich auf Wissenschaft und Kunst richtende Leben in Bonn mußte auf die Bildung des Geistes und Charakters Beethovens den nachhaltigsten Einfluß ausüben. Wie wir „bei ihm eine gewisse Vielseitig¬ keit der Interessen sein ganzes Leben hindurch beobachteten und zweifelsohne auf die geselligen Einflüsse zurückzuführen haben, unter denen er sich entwickelte" (vgl. Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, bearbeitet von H. Deiters, I, S. 131 und 133), so müssen wir dieselbe vorteilhafte Eüiwirknng auf die litte¬ rarische Bildung der damaligen Bonner Kreise gleichfalls annehmen. Der mainzische Bibliothekar, Hofrat Johann Georg Forster, der wie kein andrer Schriftsteller das achtzehnte mit dem neunzehnten Jahrhundert, das Zeitalter ausschließlich schöngeistigen und wissenschaftlichen Strebens mit dem Zeitalter staatlicher und gesellschaftlicher Kämpfe vermittelt, sagt in seinen „Ansichten vom Niederrhein" (1790) bei Besichtigung der Bibliothek des kurfürstlichen Schlosses in Bonn, daß er „in den reichvergoldeten Schränken die besten Schriftsteller unsrer Nation in jedem Fache der Litteratur, ganz ohne Vor¬ urteil, gesammelt" gefunden habe. Ferner meint er, „daß je reicher die Aus¬ bildung unsers Zeitalters, desto umfassender unser Denk- und Wirkungskreis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/276>, abgerufen am 23.07.2024.