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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

werden derartige Wohnungen nicht allen hygienischen Forderungen an Luft¬
raum usw. entsprechen, aber sie werden wenigstens gesund und trocken gebaut
sein und dadurch, daß man den Bauplan gleich auf solche allerkleinsten Woh¬
nungen berechnet, auch frei von den Mißständen in der Wasserversorgung und
vor allem in den Aborten, die in den alten, ursprünglich auf ein oder zwei
Familien berechneten Häusern ost so unerträglich sind. Entweder hilft man
jenen ärmsten Volksschichten in dieser begrenzten Weise, oder man hilft ihnen
gar nicht, und es ist ein großes Verdienst Mangoldts, daß er dies nachdrücklich
betont und den Einwand, man dürfe doch nicht Wohnungen errichten, die
nach dem für sie geforderten Preis nur hygienisch mangelhaft sein können,
scharf zurückweist: "Gegenüber den elenden Löchern der Innenstadt und gegen¬
über der Not und Plage der Aftervermietuug wären solche Wohnungen immer
noch ein sehr großer Fortschritt, und man hüte sich, diesen Fortschritt unter
dem Deckmantel hygienischer Einwände verhindern zu wollen." Daß der
Ausdruck Löcher auch für Frankfurt keineswegs zu stark ist, dafür sei es mir
gestattet, einen Beweis aus den Erfahrungen, die ich persönlich als Teilnehmer
an der Erhebung gemacht habe, anzuführen.

Im dritten Stock eines alten Hanfes, das schon von außen einen bau¬
fälligen, ungesunden Eindruck machte, hatte sich die Familie eines Schuhmachers
eingemietet, der wegen einer Augenkrankheit schon seit längerer Zeit arbeits¬
unfähig war und damals gerade im Spital lag. Als Wohnraum, Küche
und Schlafraum für die Eltern und ein Kind diente ein kleines Zimmer,
das ursprünglich ohne Zweifel einmal als Mansarde verwandt wurde, jetzt
aber als selbständige Wohnung vermietet wird. Es faßte 23 Kubikmeter
Luftraum und empfing Licht und Luft durch ein einziges kleines Fenster
(68x59 Centimeter) ans einem ganz engen schmutzigen Hof oder vielmehr
Lichtschacht, der Hinter- und Vorderhaus trennte und unten großenteils durch
die Abortsaulage eingenommen wurde. Die beiden andern Kinder schliefen in
einem direkt unter dem Dach liegenden Gelaß, für das der Name Dachstübchen
zu gut wäre; es hatte 7 Kubikmeter Luftinhalt, für jedes Kind also Z^/s Kubik¬
meter, und in der Decke waren mehrere Nisse, durch die es nach der Aussage
des ältesten Töchterchens durchregnete und durchschneide: "Wenn ich morgens
aufwache, ist manchmal das Bett davon ganz naß!"

Noch schlimmer sah es aber in einer Parterrewohnung im Hinterhaus
aus, die aus zwei Räumen bestand. Der "bessere" der beiden, der zugleich
als Wohn- und Schlafraum und Küche diente, war ein kleines, total feuchtes


Verhandlungen der Stadtverordneten über das Wohnungselend ein Herr erklärte! es könne
doch nicht so schlimm sein, denn in den jetzt so geschmähten Häusern hätten unsre Vorfahren
doch ganz behaglich gewohnt! Freilich -- nur daß in Häusern, wo damals ein oder zwei
Familien wohnten, sich heute acht bis zehn Familien zusammendrängen, und ein Raum, der
damals z. B. als Mansarde oder Boden diente, heute einer ganzen Familie genügen muß.
Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

werden derartige Wohnungen nicht allen hygienischen Forderungen an Luft¬
raum usw. entsprechen, aber sie werden wenigstens gesund und trocken gebaut
sein und dadurch, daß man den Bauplan gleich auf solche allerkleinsten Woh¬
nungen berechnet, auch frei von den Mißständen in der Wasserversorgung und
vor allem in den Aborten, die in den alten, ursprünglich auf ein oder zwei
Familien berechneten Häusern ost so unerträglich sind. Entweder hilft man
jenen ärmsten Volksschichten in dieser begrenzten Weise, oder man hilft ihnen
gar nicht, und es ist ein großes Verdienst Mangoldts, daß er dies nachdrücklich
betont und den Einwand, man dürfe doch nicht Wohnungen errichten, die
nach dem für sie geforderten Preis nur hygienisch mangelhaft sein können,
scharf zurückweist: „Gegenüber den elenden Löchern der Innenstadt und gegen¬
über der Not und Plage der Aftervermietuug wären solche Wohnungen immer
noch ein sehr großer Fortschritt, und man hüte sich, diesen Fortschritt unter
dem Deckmantel hygienischer Einwände verhindern zu wollen." Daß der
Ausdruck Löcher auch für Frankfurt keineswegs zu stark ist, dafür sei es mir
gestattet, einen Beweis aus den Erfahrungen, die ich persönlich als Teilnehmer
an der Erhebung gemacht habe, anzuführen.

Im dritten Stock eines alten Hanfes, das schon von außen einen bau¬
fälligen, ungesunden Eindruck machte, hatte sich die Familie eines Schuhmachers
eingemietet, der wegen einer Augenkrankheit schon seit längerer Zeit arbeits¬
unfähig war und damals gerade im Spital lag. Als Wohnraum, Küche
und Schlafraum für die Eltern und ein Kind diente ein kleines Zimmer,
das ursprünglich ohne Zweifel einmal als Mansarde verwandt wurde, jetzt
aber als selbständige Wohnung vermietet wird. Es faßte 23 Kubikmeter
Luftraum und empfing Licht und Luft durch ein einziges kleines Fenster
(68x59 Centimeter) ans einem ganz engen schmutzigen Hof oder vielmehr
Lichtschacht, der Hinter- und Vorderhaus trennte und unten großenteils durch
die Abortsaulage eingenommen wurde. Die beiden andern Kinder schliefen in
einem direkt unter dem Dach liegenden Gelaß, für das der Name Dachstübchen
zu gut wäre; es hatte 7 Kubikmeter Luftinhalt, für jedes Kind also Z^/s Kubik¬
meter, und in der Decke waren mehrere Nisse, durch die es nach der Aussage
des ältesten Töchterchens durchregnete und durchschneide: „Wenn ich morgens
aufwache, ist manchmal das Bett davon ganz naß!"

Noch schlimmer sah es aber in einer Parterrewohnung im Hinterhaus
aus, die aus zwei Räumen bestand. Der „bessere" der beiden, der zugleich
als Wohn- und Schlafraum und Küche diente, war ein kleines, total feuchtes


Verhandlungen der Stadtverordneten über das Wohnungselend ein Herr erklärte! es könne
doch nicht so schlimm sein, denn in den jetzt so geschmähten Häusern hätten unsre Vorfahren
doch ganz behaglich gewohnt! Freilich — nur daß in Häusern, wo damals ein oder zwei
Familien wohnten, sich heute acht bis zehn Familien zusammendrängen, und ein Raum, der
damals z. B. als Mansarde oder Boden diente, heute einer ganzen Familie genügen muß.
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[0258] Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage werden derartige Wohnungen nicht allen hygienischen Forderungen an Luft¬ raum usw. entsprechen, aber sie werden wenigstens gesund und trocken gebaut sein und dadurch, daß man den Bauplan gleich auf solche allerkleinsten Woh¬ nungen berechnet, auch frei von den Mißständen in der Wasserversorgung und vor allem in den Aborten, die in den alten, ursprünglich auf ein oder zwei Familien berechneten Häusern ost so unerträglich sind. Entweder hilft man jenen ärmsten Volksschichten in dieser begrenzten Weise, oder man hilft ihnen gar nicht, und es ist ein großes Verdienst Mangoldts, daß er dies nachdrücklich betont und den Einwand, man dürfe doch nicht Wohnungen errichten, die nach dem für sie geforderten Preis nur hygienisch mangelhaft sein können, scharf zurückweist: „Gegenüber den elenden Löchern der Innenstadt und gegen¬ über der Not und Plage der Aftervermietuug wären solche Wohnungen immer noch ein sehr großer Fortschritt, und man hüte sich, diesen Fortschritt unter dem Deckmantel hygienischer Einwände verhindern zu wollen." Daß der Ausdruck Löcher auch für Frankfurt keineswegs zu stark ist, dafür sei es mir gestattet, einen Beweis aus den Erfahrungen, die ich persönlich als Teilnehmer an der Erhebung gemacht habe, anzuführen. Im dritten Stock eines alten Hanfes, das schon von außen einen bau¬ fälligen, ungesunden Eindruck machte, hatte sich die Familie eines Schuhmachers eingemietet, der wegen einer Augenkrankheit schon seit längerer Zeit arbeits¬ unfähig war und damals gerade im Spital lag. Als Wohnraum, Küche und Schlafraum für die Eltern und ein Kind diente ein kleines Zimmer, das ursprünglich ohne Zweifel einmal als Mansarde verwandt wurde, jetzt aber als selbständige Wohnung vermietet wird. Es faßte 23 Kubikmeter Luftraum und empfing Licht und Luft durch ein einziges kleines Fenster (68x59 Centimeter) ans einem ganz engen schmutzigen Hof oder vielmehr Lichtschacht, der Hinter- und Vorderhaus trennte und unten großenteils durch die Abortsaulage eingenommen wurde. Die beiden andern Kinder schliefen in einem direkt unter dem Dach liegenden Gelaß, für das der Name Dachstübchen zu gut wäre; es hatte 7 Kubikmeter Luftinhalt, für jedes Kind also Z^/s Kubik¬ meter, und in der Decke waren mehrere Nisse, durch die es nach der Aussage des ältesten Töchterchens durchregnete und durchschneide: „Wenn ich morgens aufwache, ist manchmal das Bett davon ganz naß!" Noch schlimmer sah es aber in einer Parterrewohnung im Hinterhaus aus, die aus zwei Räumen bestand. Der „bessere" der beiden, der zugleich als Wohn- und Schlafraum und Küche diente, war ein kleines, total feuchtes Verhandlungen der Stadtverordneten über das Wohnungselend ein Herr erklärte! es könne doch nicht so schlimm sein, denn in den jetzt so geschmähten Häusern hätten unsre Vorfahren doch ganz behaglich gewohnt! Freilich — nur daß in Häusern, wo damals ein oder zwei Familien wohnten, sich heute acht bis zehn Familien zusammendrängen, und ein Raum, der damals z. B. als Mansarde oder Boden diente, heute einer ganzen Familie genügen muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/258>, abgerufen am 23.07.2024.