Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die imperialistische Bewegung in England

Wird man sie identisch finden. Wessen Land war das britische? Gottes, der
es geschaffen hat, sein und keines andern war und ist es. Welche von Gottes
Geschöpfen hatten das Recht, darin zu leben? Die Wölfe etwa und Auer¬
ochsen? Sicherlich; bis einer sich mit einem bessern Recht zeigte. Der Kette
kam an und gab ein besseres Recht vor; und demgemäß suchte er dasselbe,
nicht ohne Schmerz für die Auerochsen, zu beweisen. Er hatte ein besseres
Recht zu diesem Stück von Gottes Land -- nämlich eine bessere Macht, es
nutzbar zu machen --, wenigstens eine Macht, sich dort anzusiedeln und zu
versuchen, welchen Nutzen er daraus ziehen könnte. Die Auerochsen ver¬
schwanden; die Kelten ergriffen Besitz vom Boden und pflügten ihn. Sollte
das für immer sein? Ach, für immer ist keine Kategorie, die sich in dieser
zeitlichen Welt behaupten kann. Kein Eigentum ist ewig nußer dem Gottes,
des Schöpfers; wem der Himmel erlaubt, Besitz zu ergreifen, der hat auch
das Recht. Des Himmels Bestätigung ist eine solche Erlaubnis -- solange
sie dauert; weiter läßt sich nichts sagen. Warum wächst der Ysop dort in der
Maucrritze? Weil das ganze, anderweitig genug in Anspruch genommne Weltall
bisher nicht verhindern konnte, daß er wuchs! Es hat die Macht und das
Recht. Nach demselben großen Gesetze werden römische Reiche errichtet, ver¬
breiten sich christliche Religionen und herrschen alle bestehenden Mächte. Das
starke Ding ist das gerechte Ding; das wirst du überall in unsrer Welt finden."

Alle durch Übervölkerung und Arbeitslosigkeit hervorgerufnen Mißstünde,
glaubt Carlhle, ließen sich durch gut geregelte Auswanderung beseitigen, wie
überhaupt die Arbeit organisiert werden müßte. "Übervölkerung? Und doch,
wenn dieser schmale westliche Rand Europas übervölkert ist, ruft uicht gleichsam
überall sonst eine ganze leere Erde uns zu: Kommt und pflügt mich, kommt
und erntet mich! Kann es ein Unglück sein, daß ans einer Erde wie der
unsern neue Menschen find? Als Handelswaren, als Arbeitsmaschinen be¬
trachtet, giebt es in Birmingham oder außerhalb eine Maschine von solchem
Wert? Gütiger Himmel, ein weißer Europäer, auf seinen zwei Füßen stehend,
mit seinen zwei fünffingrigen Händen an seinen Armen und seinem wunder¬
baren Kopf auf feinen Schultern ist etwas Beträchtliches wert, möchte man
s"gen, Der dumme schwarze Afrikaner erzielt einen Preis ans dem Markte,
desgleichen das dümmere vierfüßige Pferd -- nur wir haben noch nicht die
Kunst gelernt, unsern weißen Europäer zu verwenden."

Er weist dann anf die weiten, dünn oder nicht bevölkerten Strecken im
Innern Afrikas, im Herzen Asiens, in Spanien, Griechenland, in der Krim
und in der Türkei hin, die zur Besiedlung einladen, und ruft dann aus: "Ach,
wo sind jetzt die Hengiste und Alariche unsers noch immer glühenden und sich
misdehncnden Europas, die, wenn ihre Heimat zu eng geworden ist, diese
überflüssigen Massen unbezwingbarer lebender Tapferkeit anwerben und wie Feuer¬
säulen vorwärtsführcn; ausgerüstet nicht mit der Streitaxt und dem Kriegs-


Grenzbotcn I 189!)
Die imperialistische Bewegung in England

Wird man sie identisch finden. Wessen Land war das britische? Gottes, der
es geschaffen hat, sein und keines andern war und ist es. Welche von Gottes
Geschöpfen hatten das Recht, darin zu leben? Die Wölfe etwa und Auer¬
ochsen? Sicherlich; bis einer sich mit einem bessern Recht zeigte. Der Kette
kam an und gab ein besseres Recht vor; und demgemäß suchte er dasselbe,
nicht ohne Schmerz für die Auerochsen, zu beweisen. Er hatte ein besseres
Recht zu diesem Stück von Gottes Land — nämlich eine bessere Macht, es
nutzbar zu machen —, wenigstens eine Macht, sich dort anzusiedeln und zu
versuchen, welchen Nutzen er daraus ziehen könnte. Die Auerochsen ver¬
schwanden; die Kelten ergriffen Besitz vom Boden und pflügten ihn. Sollte
das für immer sein? Ach, für immer ist keine Kategorie, die sich in dieser
zeitlichen Welt behaupten kann. Kein Eigentum ist ewig nußer dem Gottes,
des Schöpfers; wem der Himmel erlaubt, Besitz zu ergreifen, der hat auch
das Recht. Des Himmels Bestätigung ist eine solche Erlaubnis — solange
sie dauert; weiter läßt sich nichts sagen. Warum wächst der Ysop dort in der
Maucrritze? Weil das ganze, anderweitig genug in Anspruch genommne Weltall
bisher nicht verhindern konnte, daß er wuchs! Es hat die Macht und das
Recht. Nach demselben großen Gesetze werden römische Reiche errichtet, ver¬
breiten sich christliche Religionen und herrschen alle bestehenden Mächte. Das
starke Ding ist das gerechte Ding; das wirst du überall in unsrer Welt finden."

Alle durch Übervölkerung und Arbeitslosigkeit hervorgerufnen Mißstünde,
glaubt Carlhle, ließen sich durch gut geregelte Auswanderung beseitigen, wie
überhaupt die Arbeit organisiert werden müßte. „Übervölkerung? Und doch,
wenn dieser schmale westliche Rand Europas übervölkert ist, ruft uicht gleichsam
überall sonst eine ganze leere Erde uns zu: Kommt und pflügt mich, kommt
und erntet mich! Kann es ein Unglück sein, daß ans einer Erde wie der
unsern neue Menschen find? Als Handelswaren, als Arbeitsmaschinen be¬
trachtet, giebt es in Birmingham oder außerhalb eine Maschine von solchem
Wert? Gütiger Himmel, ein weißer Europäer, auf seinen zwei Füßen stehend,
mit seinen zwei fünffingrigen Händen an seinen Armen und seinem wunder¬
baren Kopf auf feinen Schultern ist etwas Beträchtliches wert, möchte man
s"gen, Der dumme schwarze Afrikaner erzielt einen Preis ans dem Markte,
desgleichen das dümmere vierfüßige Pferd — nur wir haben noch nicht die
Kunst gelernt, unsern weißen Europäer zu verwenden."

Er weist dann anf die weiten, dünn oder nicht bevölkerten Strecken im
Innern Afrikas, im Herzen Asiens, in Spanien, Griechenland, in der Krim
und in der Türkei hin, die zur Besiedlung einladen, und ruft dann aus: „Ach,
wo sind jetzt die Hengiste und Alariche unsers noch immer glühenden und sich
misdehncnden Europas, die, wenn ihre Heimat zu eng geworden ist, diese
überflüssigen Massen unbezwingbarer lebender Tapferkeit anwerben und wie Feuer¬
säulen vorwärtsführcn; ausgerüstet nicht mit der Streitaxt und dem Kriegs-


Grenzbotcn I 189!)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229711"/>
            <fw type="header" place="top"> Die imperialistische Bewegung in England</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36"> Wird man sie identisch finden. Wessen Land war das britische? Gottes, der<lb/>
es geschaffen hat, sein und keines andern war und ist es. Welche von Gottes<lb/>
Geschöpfen hatten das Recht, darin zu leben? Die Wölfe etwa und Auer¬<lb/>
ochsen? Sicherlich; bis einer sich mit einem bessern Recht zeigte. Der Kette<lb/>
kam an und gab ein besseres Recht vor; und demgemäß suchte er dasselbe,<lb/>
nicht ohne Schmerz für die Auerochsen, zu beweisen. Er hatte ein besseres<lb/>
Recht zu diesem Stück von Gottes Land &#x2014; nämlich eine bessere Macht, es<lb/>
nutzbar zu machen &#x2014;, wenigstens eine Macht, sich dort anzusiedeln und zu<lb/>
versuchen, welchen Nutzen er daraus ziehen könnte. Die Auerochsen ver¬<lb/>
schwanden; die Kelten ergriffen Besitz vom Boden und pflügten ihn. Sollte<lb/>
das für immer sein? Ach, für immer ist keine Kategorie, die sich in dieser<lb/>
zeitlichen Welt behaupten kann. Kein Eigentum ist ewig nußer dem Gottes,<lb/>
des Schöpfers; wem der Himmel erlaubt, Besitz zu ergreifen, der hat auch<lb/>
das Recht. Des Himmels Bestätigung ist eine solche Erlaubnis &#x2014; solange<lb/>
sie dauert; weiter läßt sich nichts sagen. Warum wächst der Ysop dort in der<lb/>
Maucrritze? Weil das ganze, anderweitig genug in Anspruch genommne Weltall<lb/>
bisher nicht verhindern konnte, daß er wuchs! Es hat die Macht und das<lb/>
Recht. Nach demselben großen Gesetze werden römische Reiche errichtet, ver¬<lb/>
breiten sich christliche Religionen und herrschen alle bestehenden Mächte. Das<lb/>
starke Ding ist das gerechte Ding; das wirst du überall in unsrer Welt finden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_38"> Alle durch Übervölkerung und Arbeitslosigkeit hervorgerufnen Mißstünde,<lb/>
glaubt Carlhle, ließen sich durch gut geregelte Auswanderung beseitigen, wie<lb/>
überhaupt die Arbeit organisiert werden müßte. &#x201E;Übervölkerung? Und doch,<lb/>
wenn dieser schmale westliche Rand Europas übervölkert ist, ruft uicht gleichsam<lb/>
überall sonst eine ganze leere Erde uns zu: Kommt und pflügt mich, kommt<lb/>
und erntet mich! Kann es ein Unglück sein, daß ans einer Erde wie der<lb/>
unsern neue Menschen find? Als Handelswaren, als Arbeitsmaschinen be¬<lb/>
trachtet, giebt es in Birmingham oder außerhalb eine Maschine von solchem<lb/>
Wert? Gütiger Himmel, ein weißer Europäer, auf seinen zwei Füßen stehend,<lb/>
mit seinen zwei fünffingrigen Händen an seinen Armen und seinem wunder¬<lb/>
baren Kopf auf feinen Schultern ist etwas Beträchtliches wert, möchte man<lb/>
s"gen, Der dumme schwarze Afrikaner erzielt einen Preis ans dem Markte,<lb/>
desgleichen das dümmere vierfüßige Pferd &#x2014; nur wir haben noch nicht die<lb/>
Kunst gelernt, unsern weißen Europäer zu verwenden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_39" next="#ID_40"> Er weist dann anf die weiten, dünn oder nicht bevölkerten Strecken im<lb/>
Innern Afrikas, im Herzen Asiens, in Spanien, Griechenland, in der Krim<lb/>
und in der Türkei hin, die zur Besiedlung einladen, und ruft dann aus: &#x201E;Ach,<lb/>
wo sind jetzt die Hengiste und Alariche unsers noch immer glühenden und sich<lb/>
misdehncnden Europas, die, wenn ihre Heimat zu eng geworden ist, diese<lb/>
überflüssigen Massen unbezwingbarer lebender Tapferkeit anwerben und wie Feuer¬<lb/>
säulen vorwärtsführcn; ausgerüstet nicht mit der Streitaxt und dem Kriegs-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotcn I 189!)</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] Die imperialistische Bewegung in England Wird man sie identisch finden. Wessen Land war das britische? Gottes, der es geschaffen hat, sein und keines andern war und ist es. Welche von Gottes Geschöpfen hatten das Recht, darin zu leben? Die Wölfe etwa und Auer¬ ochsen? Sicherlich; bis einer sich mit einem bessern Recht zeigte. Der Kette kam an und gab ein besseres Recht vor; und demgemäß suchte er dasselbe, nicht ohne Schmerz für die Auerochsen, zu beweisen. Er hatte ein besseres Recht zu diesem Stück von Gottes Land — nämlich eine bessere Macht, es nutzbar zu machen —, wenigstens eine Macht, sich dort anzusiedeln und zu versuchen, welchen Nutzen er daraus ziehen könnte. Die Auerochsen ver¬ schwanden; die Kelten ergriffen Besitz vom Boden und pflügten ihn. Sollte das für immer sein? Ach, für immer ist keine Kategorie, die sich in dieser zeitlichen Welt behaupten kann. Kein Eigentum ist ewig nußer dem Gottes, des Schöpfers; wem der Himmel erlaubt, Besitz zu ergreifen, der hat auch das Recht. Des Himmels Bestätigung ist eine solche Erlaubnis — solange sie dauert; weiter läßt sich nichts sagen. Warum wächst der Ysop dort in der Maucrritze? Weil das ganze, anderweitig genug in Anspruch genommne Weltall bisher nicht verhindern konnte, daß er wuchs! Es hat die Macht und das Recht. Nach demselben großen Gesetze werden römische Reiche errichtet, ver¬ breiten sich christliche Religionen und herrschen alle bestehenden Mächte. Das starke Ding ist das gerechte Ding; das wirst du überall in unsrer Welt finden." Alle durch Übervölkerung und Arbeitslosigkeit hervorgerufnen Mißstünde, glaubt Carlhle, ließen sich durch gut geregelte Auswanderung beseitigen, wie überhaupt die Arbeit organisiert werden müßte. „Übervölkerung? Und doch, wenn dieser schmale westliche Rand Europas übervölkert ist, ruft uicht gleichsam überall sonst eine ganze leere Erde uns zu: Kommt und pflügt mich, kommt und erntet mich! Kann es ein Unglück sein, daß ans einer Erde wie der unsern neue Menschen find? Als Handelswaren, als Arbeitsmaschinen be¬ trachtet, giebt es in Birmingham oder außerhalb eine Maschine von solchem Wert? Gütiger Himmel, ein weißer Europäer, auf seinen zwei Füßen stehend, mit seinen zwei fünffingrigen Händen an seinen Armen und seinem wunder¬ baren Kopf auf feinen Schultern ist etwas Beträchtliches wert, möchte man s"gen, Der dumme schwarze Afrikaner erzielt einen Preis ans dem Markte, desgleichen das dümmere vierfüßige Pferd — nur wir haben noch nicht die Kunst gelernt, unsern weißen Europäer zu verwenden." Er weist dann anf die weiten, dünn oder nicht bevölkerten Strecken im Innern Afrikas, im Herzen Asiens, in Spanien, Griechenland, in der Krim und in der Türkei hin, die zur Besiedlung einladen, und ruft dann aus: „Ach, wo sind jetzt die Hengiste und Alariche unsers noch immer glühenden und sich misdehncnden Europas, die, wenn ihre Heimat zu eng geworden ist, diese überflüssigen Massen unbezwingbarer lebender Tapferkeit anwerben und wie Feuer¬ säulen vorwärtsführcn; ausgerüstet nicht mit der Streitaxt und dem Kriegs- Grenzbotcn I 189!)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/25
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/25>, abgerufen am 23.07.2024.