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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Fabel vom Untergang des Handwerks

Es haben also die Betriebe mit zehn und weniger Personen im Jahre
1882 nicht weniger als 95,79 Prozent und im Jahre 1895 noch immer
93,96 Prozent aller Betriebe ausgemacht. Trotz des ungeheuern Zuflusses
von Arbeitskräften zur Industrie überhaupt und trotz der den Großbetrieb
zweifellos begünstigenden mächtigen Entwicklung des Kraft- und Arbeitsmaschiuen-
wesens hat der Anteil deS Handwerks nnr um 1,83 abgenommen. Dabei ist
aber -- und das ist ganz besonders zu beachten -- der Anteil der Handwerks¬
betriebe von zwei bis zehn Personen um mehr als 6 Prozent größer geworden.
Nur die Alleinbetriebe sind zurückgegangen- von 64615 auf 54376, also um
10239. Vou diesem Rückgang kommen aber fast 8000 allein auf die (in der
Statistik von den Schneiderinnen unterschiednem) Näherinnen, der Rest fast ganz
auf die Textilindustrie. Von einer bedauernswerten Abnahme des Handwerks
ist in diesen Füllen natürlich ganz und gar nicht zu reden, wahrscheinlich von
einer durchaus gefunden sozialen Erscheinung. Für sehr bemerkenswert in nicht
ungünstigem Sinne erscheint es mir, daß -- bei näherm Eingehen auf die
einzelnen Gewerbsarten -- z. V. schon die Schneiderei eine ganz beträchtliche
Zunahme der Alleinbetriebe erkennen läßt, obgleich es sich hier auch teilweise
um Schneiderinnen, die im Hause der Kunden, und um Schneider und Schneide-
rinnen, die für fremde Konfektions- und Maßgeschäfte entweder hauptsächlich
oder nur nebenher arbeiten, handeln wird. Das Arbeiten "auf der Stör"
raubt dem Handwerker ebenso wenig seine Handwerksqualität, wie dies ohne
weiteres die Arbeit "fürs Geschüft" thut. Aber abgesehen davon, auch die
Alleinbetriebe der Steinmetzen, der Gold- und Silberschmiede, der Klempner,
der Schlosser, der Büchsenmacher, der Uhrmacher, der Mechaniker, der Buch¬
binder, der Gerber, der Sattler, der Riemer und Tapezierer, der Drechsler,
der Fleischer, der Hutmacher, der Kürschner, der Schuhmacher, der Barbiere,
der Maurer und Zimmerleute, der Glaser, der Stubenmaler, der Ofen¬
setzer usw. zeigen mehr oder weniger eine so erfreuliche Zunahme, daß man
die Entwicklung des Handwerks in dieser der Unselbständigkeit am nächsten
kommenden Schicht von Unternehmern nur günstig beurteilen kann.

Für das ganze Reich stellten sich die oben für Berlin mitgeteilten Haupt¬
zahlen 1895 wie folgt:

Betriebe mit > Person , . 1308840--- "0,9V Prozent
" 2 bis 10 Personen . 758000------ 35,85
" 1> " 2" ..... 85774... 1,00
" über 20 " . . . 42752--- 2,03
Betriebe überhaupt , , , 2140972M,00 Prozent

Die Zahlen bedürfen keiner weitern Erläuterung. Die Entwicklung seit 1882
ist im Reich für das Handwerk nicht ungünstiger als in Berlin. Es kann
hier auf ein näheres Eingehen auf sie verzichtet werden. Die noch ausstehenden


Grenzboten I 1899 31
Die Fabel vom Untergang des Handwerks

Es haben also die Betriebe mit zehn und weniger Personen im Jahre
1882 nicht weniger als 95,79 Prozent und im Jahre 1895 noch immer
93,96 Prozent aller Betriebe ausgemacht. Trotz des ungeheuern Zuflusses
von Arbeitskräften zur Industrie überhaupt und trotz der den Großbetrieb
zweifellos begünstigenden mächtigen Entwicklung des Kraft- und Arbeitsmaschiuen-
wesens hat der Anteil deS Handwerks nnr um 1,83 abgenommen. Dabei ist
aber — und das ist ganz besonders zu beachten — der Anteil der Handwerks¬
betriebe von zwei bis zehn Personen um mehr als 6 Prozent größer geworden.
Nur die Alleinbetriebe sind zurückgegangen- von 64615 auf 54376, also um
10239. Vou diesem Rückgang kommen aber fast 8000 allein auf die (in der
Statistik von den Schneiderinnen unterschiednem) Näherinnen, der Rest fast ganz
auf die Textilindustrie. Von einer bedauernswerten Abnahme des Handwerks
ist in diesen Füllen natürlich ganz und gar nicht zu reden, wahrscheinlich von
einer durchaus gefunden sozialen Erscheinung. Für sehr bemerkenswert in nicht
ungünstigem Sinne erscheint es mir, daß — bei näherm Eingehen auf die
einzelnen Gewerbsarten — z. V. schon die Schneiderei eine ganz beträchtliche
Zunahme der Alleinbetriebe erkennen läßt, obgleich es sich hier auch teilweise
um Schneiderinnen, die im Hause der Kunden, und um Schneider und Schneide-
rinnen, die für fremde Konfektions- und Maßgeschäfte entweder hauptsächlich
oder nur nebenher arbeiten, handeln wird. Das Arbeiten „auf der Stör"
raubt dem Handwerker ebenso wenig seine Handwerksqualität, wie dies ohne
weiteres die Arbeit „fürs Geschüft" thut. Aber abgesehen davon, auch die
Alleinbetriebe der Steinmetzen, der Gold- und Silberschmiede, der Klempner,
der Schlosser, der Büchsenmacher, der Uhrmacher, der Mechaniker, der Buch¬
binder, der Gerber, der Sattler, der Riemer und Tapezierer, der Drechsler,
der Fleischer, der Hutmacher, der Kürschner, der Schuhmacher, der Barbiere,
der Maurer und Zimmerleute, der Glaser, der Stubenmaler, der Ofen¬
setzer usw. zeigen mehr oder weniger eine so erfreuliche Zunahme, daß man
die Entwicklung des Handwerks in dieser der Unselbständigkeit am nächsten
kommenden Schicht von Unternehmern nur günstig beurteilen kann.

Für das ganze Reich stellten sich die oben für Berlin mitgeteilten Haupt¬
zahlen 1895 wie folgt:

Betriebe mit > Person , . 1308840--- »0,9V Prozent
„ 2 bis 10 Personen . 758000------ 35,85
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„ über 20 „ . . . 42752--- 2,03
Betriebe überhaupt , , , 2140972M,00 Prozent

Die Zahlen bedürfen keiner weitern Erläuterung. Die Entwicklung seit 1882
ist im Reich für das Handwerk nicht ungünstiger als in Berlin. Es kann
hier auf ein näheres Eingehen auf sie verzichtet werden. Die noch ausstehenden


Grenzboten I 1899 31
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[0249] Die Fabel vom Untergang des Handwerks Es haben also die Betriebe mit zehn und weniger Personen im Jahre 1882 nicht weniger als 95,79 Prozent und im Jahre 1895 noch immer 93,96 Prozent aller Betriebe ausgemacht. Trotz des ungeheuern Zuflusses von Arbeitskräften zur Industrie überhaupt und trotz der den Großbetrieb zweifellos begünstigenden mächtigen Entwicklung des Kraft- und Arbeitsmaschiuen- wesens hat der Anteil deS Handwerks nnr um 1,83 abgenommen. Dabei ist aber — und das ist ganz besonders zu beachten — der Anteil der Handwerks¬ betriebe von zwei bis zehn Personen um mehr als 6 Prozent größer geworden. Nur die Alleinbetriebe sind zurückgegangen- von 64615 auf 54376, also um 10239. Vou diesem Rückgang kommen aber fast 8000 allein auf die (in der Statistik von den Schneiderinnen unterschiednem) Näherinnen, der Rest fast ganz auf die Textilindustrie. Von einer bedauernswerten Abnahme des Handwerks ist in diesen Füllen natürlich ganz und gar nicht zu reden, wahrscheinlich von einer durchaus gefunden sozialen Erscheinung. Für sehr bemerkenswert in nicht ungünstigem Sinne erscheint es mir, daß — bei näherm Eingehen auf die einzelnen Gewerbsarten — z. V. schon die Schneiderei eine ganz beträchtliche Zunahme der Alleinbetriebe erkennen läßt, obgleich es sich hier auch teilweise um Schneiderinnen, die im Hause der Kunden, und um Schneider und Schneide- rinnen, die für fremde Konfektions- und Maßgeschäfte entweder hauptsächlich oder nur nebenher arbeiten, handeln wird. Das Arbeiten „auf der Stör" raubt dem Handwerker ebenso wenig seine Handwerksqualität, wie dies ohne weiteres die Arbeit „fürs Geschüft" thut. Aber abgesehen davon, auch die Alleinbetriebe der Steinmetzen, der Gold- und Silberschmiede, der Klempner, der Schlosser, der Büchsenmacher, der Uhrmacher, der Mechaniker, der Buch¬ binder, der Gerber, der Sattler, der Riemer und Tapezierer, der Drechsler, der Fleischer, der Hutmacher, der Kürschner, der Schuhmacher, der Barbiere, der Maurer und Zimmerleute, der Glaser, der Stubenmaler, der Ofen¬ setzer usw. zeigen mehr oder weniger eine so erfreuliche Zunahme, daß man die Entwicklung des Handwerks in dieser der Unselbständigkeit am nächsten kommenden Schicht von Unternehmern nur günstig beurteilen kann. Für das ganze Reich stellten sich die oben für Berlin mitgeteilten Haupt¬ zahlen 1895 wie folgt: Betriebe mit > Person , . 1308840--- »0,9V Prozent „ 2 bis 10 Personen . 758000------ 35,85 „ 1> „ 2« ..... 85774... 1,00 „ über 20 „ . . . 42752--- 2,03 Betriebe überhaupt , , , 2140972M,00 Prozent Die Zahlen bedürfen keiner weitern Erläuterung. Die Entwicklung seit 1882 ist im Reich für das Handwerk nicht ungünstiger als in Berlin. Es kann hier auf ein näheres Eingehen auf sie verzichtet werden. Die noch ausstehenden Grenzboten I 1899 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/249>, abgerufen am 23.07.2024.