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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die imperialistische Bewegung in England

Es seien zum Schluß noch einige Bemerkungen über neuere Vorkomm¬
nisse angefügt, die ein Licht auf den Charakter und die Stärke politischer
Strömungen werfen, die mehr oder weniger imperialistisch gefärbt sind. Das
Verhalten Englands in der Veneznelafrcige und gegenüber der Depesche des
deutschen Kaisers an den Präsidenten Krüger zeigte deutlich, daß wir nicht
ebenso wie Nordamerika behandelt werden. Die Herausforderung Amerikas
nahm man ruhig hin, und eine ungeheure Agitation wurde ins Leben gerufen,
um das "Verbrechen" eines Blutvergießens zwischen den englisch redenden
Brüdern für jetzt und in aller Zukunft durch Errichtung eines dauernden
Schiedsgerichts zu verhindern. Die Depesche des deutschen Kaisers dagegen
wurde mit einer unbeschreiblichen Erregung aufgenommen, und um diese zu
steigern, wurden die sinnlosesten Lügen über deutsche Komplotte in Südafrika
eifrig verbreitet und eifriger geglaubt. "Diese Erregung, die unmittelbar nach
der unerschütterlichen Ruhe kam, mit der wir die weit direkter" Drohungen
von feiten des Präsidenten der Vereinigten Staaten entgegengenommen hatten,
betonte so nachdrücklich, wie nichts sonst es hätte thun können, die Verschieden¬
heit, mit der wir Mißhelligkeiten in der englisch redenden Familie und Drohungen
von fremden Mächten betrachten" -- stand damals in einer politischen Monats¬
übersicht zu lesen. "Mit Schaudern," erklärte Chamberlain, würde er auf
einen "brudermörderischer Streit" Hinblicken, mit Freude erfüllte ihn dagegen
der Gedanke an die "Möglichkeit, daß das Sternenbanner und der Unica ^anat
zusammen flattern werden zur Verteidigung einer gemeinsamen Sache, die durch
die Humanität und Gerechtigkeit geweiht ist," und wie, fügen wir hinzu, sie
damals England gegen Transvaal, ja auch gegen Deutschland, sowie später
Nordamerika gegen Spanien zu vertreten vorgab.

Biedre Empfindungen mußte bei dem Deutschen auch die Aufnahme des
deutsch-englischen Abkommens in England erwecken. Die Kölnische Zeitung
hatte sich damit geschmeichelt, daß England und Deutschland hierbei ihre Inter¬
essen fänden, ohne daß die der Buren deswegen verletzt würden. Die eng¬
lischen Blätter belehrten ihre rheinische Kollegin darüber, daß man Wohl
Krüger etwas Skeptizismus zu gute halten dürfe, da das Abkommen sich gegen
ihn richte. "Es ist hohe Zeit -- erklärte die Uoruing' ?oft vom 16. Sep¬
tember --, daß die Seifenblase der deutschen Kolonialpartei platzt." Die deutsche
Regierung wurde dann beglückwünscht, daß sie nicht länger gemeinsame Sache
mache mit dieser "Gruppe von Hamburger Kaufleuten."

Für die gegenwärtige Lage in England scheint uns dies am meisten
charakteristisch, daß sich das Interesse von den innern Fragen abgewandt und
ganz den äußern zugekehrt hat. Damit steht in Verbindung der Zusammenbruch
der liberalen Partei, deren altes Programm nichts mehr bietet, und die ein
neues noch nicht gefunden hat. Ganz und gar hat sich die Stellung der liberalen
Pcirtei zu den Kolonien geändert, und mit Unbehagen sieht sie sich an ihre frühere


Die imperialistische Bewegung in England

Es seien zum Schluß noch einige Bemerkungen über neuere Vorkomm¬
nisse angefügt, die ein Licht auf den Charakter und die Stärke politischer
Strömungen werfen, die mehr oder weniger imperialistisch gefärbt sind. Das
Verhalten Englands in der Veneznelafrcige und gegenüber der Depesche des
deutschen Kaisers an den Präsidenten Krüger zeigte deutlich, daß wir nicht
ebenso wie Nordamerika behandelt werden. Die Herausforderung Amerikas
nahm man ruhig hin, und eine ungeheure Agitation wurde ins Leben gerufen,
um das „Verbrechen" eines Blutvergießens zwischen den englisch redenden
Brüdern für jetzt und in aller Zukunft durch Errichtung eines dauernden
Schiedsgerichts zu verhindern. Die Depesche des deutschen Kaisers dagegen
wurde mit einer unbeschreiblichen Erregung aufgenommen, und um diese zu
steigern, wurden die sinnlosesten Lügen über deutsche Komplotte in Südafrika
eifrig verbreitet und eifriger geglaubt. „Diese Erregung, die unmittelbar nach
der unerschütterlichen Ruhe kam, mit der wir die weit direkter» Drohungen
von feiten des Präsidenten der Vereinigten Staaten entgegengenommen hatten,
betonte so nachdrücklich, wie nichts sonst es hätte thun können, die Verschieden¬
heit, mit der wir Mißhelligkeiten in der englisch redenden Familie und Drohungen
von fremden Mächten betrachten" — stand damals in einer politischen Monats¬
übersicht zu lesen. „Mit Schaudern," erklärte Chamberlain, würde er auf
einen „brudermörderischer Streit" Hinblicken, mit Freude erfüllte ihn dagegen
der Gedanke an die „Möglichkeit, daß das Sternenbanner und der Unica ^anat
zusammen flattern werden zur Verteidigung einer gemeinsamen Sache, die durch
die Humanität und Gerechtigkeit geweiht ist," und wie, fügen wir hinzu, sie
damals England gegen Transvaal, ja auch gegen Deutschland, sowie später
Nordamerika gegen Spanien zu vertreten vorgab.

Biedre Empfindungen mußte bei dem Deutschen auch die Aufnahme des
deutsch-englischen Abkommens in England erwecken. Die Kölnische Zeitung
hatte sich damit geschmeichelt, daß England und Deutschland hierbei ihre Inter¬
essen fänden, ohne daß die der Buren deswegen verletzt würden. Die eng¬
lischen Blätter belehrten ihre rheinische Kollegin darüber, daß man Wohl
Krüger etwas Skeptizismus zu gute halten dürfe, da das Abkommen sich gegen
ihn richte. „Es ist hohe Zeit — erklärte die Uoruing' ?oft vom 16. Sep¬
tember —, daß die Seifenblase der deutschen Kolonialpartei platzt." Die deutsche
Regierung wurde dann beglückwünscht, daß sie nicht länger gemeinsame Sache
mache mit dieser „Gruppe von Hamburger Kaufleuten."

Für die gegenwärtige Lage in England scheint uns dies am meisten
charakteristisch, daß sich das Interesse von den innern Fragen abgewandt und
ganz den äußern zugekehrt hat. Damit steht in Verbindung der Zusammenbruch
der liberalen Partei, deren altes Programm nichts mehr bietet, und die ein
neues noch nicht gefunden hat. Ganz und gar hat sich die Stellung der liberalen
Pcirtei zu den Kolonien geändert, und mit Unbehagen sieht sie sich an ihre frühere


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[0207] Die imperialistische Bewegung in England Es seien zum Schluß noch einige Bemerkungen über neuere Vorkomm¬ nisse angefügt, die ein Licht auf den Charakter und die Stärke politischer Strömungen werfen, die mehr oder weniger imperialistisch gefärbt sind. Das Verhalten Englands in der Veneznelafrcige und gegenüber der Depesche des deutschen Kaisers an den Präsidenten Krüger zeigte deutlich, daß wir nicht ebenso wie Nordamerika behandelt werden. Die Herausforderung Amerikas nahm man ruhig hin, und eine ungeheure Agitation wurde ins Leben gerufen, um das „Verbrechen" eines Blutvergießens zwischen den englisch redenden Brüdern für jetzt und in aller Zukunft durch Errichtung eines dauernden Schiedsgerichts zu verhindern. Die Depesche des deutschen Kaisers dagegen wurde mit einer unbeschreiblichen Erregung aufgenommen, und um diese zu steigern, wurden die sinnlosesten Lügen über deutsche Komplotte in Südafrika eifrig verbreitet und eifriger geglaubt. „Diese Erregung, die unmittelbar nach der unerschütterlichen Ruhe kam, mit der wir die weit direkter» Drohungen von feiten des Präsidenten der Vereinigten Staaten entgegengenommen hatten, betonte so nachdrücklich, wie nichts sonst es hätte thun können, die Verschieden¬ heit, mit der wir Mißhelligkeiten in der englisch redenden Familie und Drohungen von fremden Mächten betrachten" — stand damals in einer politischen Monats¬ übersicht zu lesen. „Mit Schaudern," erklärte Chamberlain, würde er auf einen „brudermörderischer Streit" Hinblicken, mit Freude erfüllte ihn dagegen der Gedanke an die „Möglichkeit, daß das Sternenbanner und der Unica ^anat zusammen flattern werden zur Verteidigung einer gemeinsamen Sache, die durch die Humanität und Gerechtigkeit geweiht ist," und wie, fügen wir hinzu, sie damals England gegen Transvaal, ja auch gegen Deutschland, sowie später Nordamerika gegen Spanien zu vertreten vorgab. Biedre Empfindungen mußte bei dem Deutschen auch die Aufnahme des deutsch-englischen Abkommens in England erwecken. Die Kölnische Zeitung hatte sich damit geschmeichelt, daß England und Deutschland hierbei ihre Inter¬ essen fänden, ohne daß die der Buren deswegen verletzt würden. Die eng¬ lischen Blätter belehrten ihre rheinische Kollegin darüber, daß man Wohl Krüger etwas Skeptizismus zu gute halten dürfe, da das Abkommen sich gegen ihn richte. „Es ist hohe Zeit — erklärte die Uoruing' ?oft vom 16. Sep¬ tember —, daß die Seifenblase der deutschen Kolonialpartei platzt." Die deutsche Regierung wurde dann beglückwünscht, daß sie nicht länger gemeinsame Sache mache mit dieser „Gruppe von Hamburger Kaufleuten." Für die gegenwärtige Lage in England scheint uns dies am meisten charakteristisch, daß sich das Interesse von den innern Fragen abgewandt und ganz den äußern zugekehrt hat. Damit steht in Verbindung der Zusammenbruch der liberalen Partei, deren altes Programm nichts mehr bietet, und die ein neues noch nicht gefunden hat. Ganz und gar hat sich die Stellung der liberalen Pcirtei zu den Kolonien geändert, und mit Unbehagen sieht sie sich an ihre frühere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/207>, abgerufen am 23.07.2024.