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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die imperialistische Bewegung in England

Nationen der Menschen herrscht und sich mit den Schicksalen der Sterblichen
befaßt, es unmöglich ist, ihm besser zu dienen, als wenn man so viel als
möglich von der Weltkarte britisch rot färbt und, soweit es möglich ist, dazu
mitwirkt, daß die Menschen, die Milton "Gottes Engländer" nannte, überleben,
und die Untauglichen in Gestalt von Wilden und andern, rückständigen Aus¬
wurf der Menschheit ausgeschieden werden." In England tritt einem neben
echter und tiefer Religiosität religiöse Heuchelei in allen nur denkbaren Formen
gegenüber. Mir ist jedoch keine begegnet, die so widerwärtig wäre wie diese
hier, wo die Religion als Deckmantel nationaler Selbstsucht dient.

Wenn es nun auch nicht möglich war, Rhodes zu einem Josua zu
stempeln, der sein Volk in das Land der Verheißung führt, so ist er doch that¬
sächlich für die Mehrheit seines Volkes die Verkörperung und der Träger des
imperialistischen Gedankens gewesen. Seine Erfolge wurden als nationale
Triumphe, seine Niederlagen als nationale Mißgeschicke empfunden. Und die
Mehrzahl der Schwankenden oder der Gegner trat nach dem Jamesonschen
Einfall offen auf seine Seite. Einen solchen Wandel konnte man beispiels¬
weise sehr wohl bei der LawiM/ Rsvic^v beobachten, die vorher Rhodes meist
mit den Augen der Olive Schreiner betrachtete, dann aber entschieden seine
Partei nahm. Gegen diese enge Verbindung der Sache des Imperialismus
mit einem Manne, dessen sittliche Grundsätze ziemlich bedenklich erschienen, und
der mit Geld alles glaubte machen zu können, erfolgte damals mancher Ein¬
spruch, der aber die Thatsache bewies. "Wie zu alter Zeit durch die Welt
ein Ruf erscholl: Es giebt bloß einen Gott, und Muhammed ist sein Prophet!
so klingt hente in unsern Ohren der Sammelruf des neuen Islam: Es giebt
nur ein Imperium, und Cecil Rhodes ist sein Prophet! Das mag manchen
übertrieben erscheinen, aber es faßt in ein Wort die Gefühle vieler zusammen,
die an die unermeßliche Zukunft des englisch redenden Stammes glauben."
(^Vgstnünstsr Rsviovv, Juni 1896.)

In den letzten Jahren hat nun besonders ein Dichter das Problem des
Imperialismus von seiner menschlichen und poetischen Seite betrachtet und den
mächtigsten Wiederhall in dem weiten englischen Reiche gefunden. Es ist
Rudyard Kipling, der "?c>6w I^ur6Äw8 des größern England," wie man ihn
oft genannt hat. Er zeigt, daß die Kolonien nicht bloß materiell für England
in Frage kommen, daß sie nicht bloß britische Waren aufnehmen und England
dafür mit billigen Rohmaterialien und Nahrungsmitteln versorgen, sondern
daß dort ebenfalls Menschen, Engländer, leben, deren Herz für England schlüge,
während England sie vergessen hat:


Die imperialistische Bewegung in England

Nationen der Menschen herrscht und sich mit den Schicksalen der Sterblichen
befaßt, es unmöglich ist, ihm besser zu dienen, als wenn man so viel als
möglich von der Weltkarte britisch rot färbt und, soweit es möglich ist, dazu
mitwirkt, daß die Menschen, die Milton »Gottes Engländer« nannte, überleben,
und die Untauglichen in Gestalt von Wilden und andern, rückständigen Aus¬
wurf der Menschheit ausgeschieden werden." In England tritt einem neben
echter und tiefer Religiosität religiöse Heuchelei in allen nur denkbaren Formen
gegenüber. Mir ist jedoch keine begegnet, die so widerwärtig wäre wie diese
hier, wo die Religion als Deckmantel nationaler Selbstsucht dient.

Wenn es nun auch nicht möglich war, Rhodes zu einem Josua zu
stempeln, der sein Volk in das Land der Verheißung führt, so ist er doch that¬
sächlich für die Mehrheit seines Volkes die Verkörperung und der Träger des
imperialistischen Gedankens gewesen. Seine Erfolge wurden als nationale
Triumphe, seine Niederlagen als nationale Mißgeschicke empfunden. Und die
Mehrzahl der Schwankenden oder der Gegner trat nach dem Jamesonschen
Einfall offen auf seine Seite. Einen solchen Wandel konnte man beispiels¬
weise sehr wohl bei der LawiM/ Rsvic^v beobachten, die vorher Rhodes meist
mit den Augen der Olive Schreiner betrachtete, dann aber entschieden seine
Partei nahm. Gegen diese enge Verbindung der Sache des Imperialismus
mit einem Manne, dessen sittliche Grundsätze ziemlich bedenklich erschienen, und
der mit Geld alles glaubte machen zu können, erfolgte damals mancher Ein¬
spruch, der aber die Thatsache bewies. „Wie zu alter Zeit durch die Welt
ein Ruf erscholl: Es giebt bloß einen Gott, und Muhammed ist sein Prophet!
so klingt hente in unsern Ohren der Sammelruf des neuen Islam: Es giebt
nur ein Imperium, und Cecil Rhodes ist sein Prophet! Das mag manchen
übertrieben erscheinen, aber es faßt in ein Wort die Gefühle vieler zusammen,
die an die unermeßliche Zukunft des englisch redenden Stammes glauben."
(^Vgstnünstsr Rsviovv, Juni 1896.)

In den letzten Jahren hat nun besonders ein Dichter das Problem des
Imperialismus von seiner menschlichen und poetischen Seite betrachtet und den
mächtigsten Wiederhall in dem weiten englischen Reiche gefunden. Es ist
Rudyard Kipling, der „?c>6w I^ur6Äw8 des größern England," wie man ihn
oft genannt hat. Er zeigt, daß die Kolonien nicht bloß materiell für England
in Frage kommen, daß sie nicht bloß britische Waren aufnehmen und England
dafür mit billigen Rohmaterialien und Nahrungsmitteln versorgen, sondern
daß dort ebenfalls Menschen, Engländer, leben, deren Herz für England schlüge,
während England sie vergessen hat:


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[0206] Die imperialistische Bewegung in England Nationen der Menschen herrscht und sich mit den Schicksalen der Sterblichen befaßt, es unmöglich ist, ihm besser zu dienen, als wenn man so viel als möglich von der Weltkarte britisch rot färbt und, soweit es möglich ist, dazu mitwirkt, daß die Menschen, die Milton »Gottes Engländer« nannte, überleben, und die Untauglichen in Gestalt von Wilden und andern, rückständigen Aus¬ wurf der Menschheit ausgeschieden werden." In England tritt einem neben echter und tiefer Religiosität religiöse Heuchelei in allen nur denkbaren Formen gegenüber. Mir ist jedoch keine begegnet, die so widerwärtig wäre wie diese hier, wo die Religion als Deckmantel nationaler Selbstsucht dient. Wenn es nun auch nicht möglich war, Rhodes zu einem Josua zu stempeln, der sein Volk in das Land der Verheißung führt, so ist er doch that¬ sächlich für die Mehrheit seines Volkes die Verkörperung und der Träger des imperialistischen Gedankens gewesen. Seine Erfolge wurden als nationale Triumphe, seine Niederlagen als nationale Mißgeschicke empfunden. Und die Mehrzahl der Schwankenden oder der Gegner trat nach dem Jamesonschen Einfall offen auf seine Seite. Einen solchen Wandel konnte man beispiels¬ weise sehr wohl bei der LawiM/ Rsvic^v beobachten, die vorher Rhodes meist mit den Augen der Olive Schreiner betrachtete, dann aber entschieden seine Partei nahm. Gegen diese enge Verbindung der Sache des Imperialismus mit einem Manne, dessen sittliche Grundsätze ziemlich bedenklich erschienen, und der mit Geld alles glaubte machen zu können, erfolgte damals mancher Ein¬ spruch, der aber die Thatsache bewies. „Wie zu alter Zeit durch die Welt ein Ruf erscholl: Es giebt bloß einen Gott, und Muhammed ist sein Prophet! so klingt hente in unsern Ohren der Sammelruf des neuen Islam: Es giebt nur ein Imperium, und Cecil Rhodes ist sein Prophet! Das mag manchen übertrieben erscheinen, aber es faßt in ein Wort die Gefühle vieler zusammen, die an die unermeßliche Zukunft des englisch redenden Stammes glauben." (^Vgstnünstsr Rsviovv, Juni 1896.) In den letzten Jahren hat nun besonders ein Dichter das Problem des Imperialismus von seiner menschlichen und poetischen Seite betrachtet und den mächtigsten Wiederhall in dem weiten englischen Reiche gefunden. Es ist Rudyard Kipling, der „?c>6w I^ur6Äw8 des größern England," wie man ihn oft genannt hat. Er zeigt, daß die Kolonien nicht bloß materiell für England in Frage kommen, daß sie nicht bloß britische Waren aufnehmen und England dafür mit billigen Rohmaterialien und Nahrungsmitteln versorgen, sondern daß dort ebenfalls Menschen, Engländer, leben, deren Herz für England schlüge, während England sie vergessen hat:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/206>, abgerufen am 23.07.2024.