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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden des Aleinhandels

teuer bezahlen müssen, in Bewahrheitung des alten Spruches: "Wer nicht hat,
dem wird auch das er hat genommen werden."

Doch über die Preishöhe und Minderwertigkeit der Kaufmannsartikel
könnte man sich noch hinwegsetzen. Man ist an die hohen Preise für gewisse
Waren in unserm Städtchen gewöhnt, man kennt es nicht anders, und wenn
die Sachen auch nicht so lange vorhalten oder nicht so gut munden, jedenfalls
sind sie nicht gesundheitsschädlich. Der Fluch des Kleinhandels macht sich in
vollem Maße erst da geltend, wo die Gesundheit ins Spiel kommt, vor allem
beim Bier, beim Branntwein und bei den Cigarren.

Wenn man für die meisten Gebrauchsgegenstünde in unserm Städtchen
höhere Preise zahlen muß, als an andern größern Orten, so giebt es gewisse
Artikel, für die man überall einen und denselben Preis anzulegen Pflegt. Einer
dieser Artikel ist die Cigarre. Der kleine Beamte, der bessere Handwerker, der
Landmann rauchen ihre Fünfpfennigeigarre, ebenso in Berlin, wie am Rheine,
wie in Oberschlesien. Erhält man aber in Berlin für fünf Pfennige zumeist
eine ganz gute Cigarre, zu der vorzugsweise schon amerikanische Tabake ver¬
arbeitet werden, so kauft man in unserm Gebirgsstädtchen für diesen Preis ein
jämmerliches Kraut, das vielleicht mit Ausnahme des Deckblatts auf heimischem
Boden gewachsen ist. Nun ist es aber eine bekannte Thatsache, daß die in
unserm kalten Norden gezognen Tabakpflanzen nahezu viermal soviel Nikotin
enthalten als Havannatabak, 7 bis 8 Prozent gegen 2 Prozent, und daß sie
daher um ebenso viel giftiger sind. Schon der Qualm dieser Cigarren ist,
namentlich in Gaststuben, wo drei oder vier Raucher beisammen sind, so scharf
und betäubend, daß man, ohne selbst zu rauchen, Kopfschmerzen bekommt, es
müßte denn sein, daß man Nerven von Stahl hat, oder von Jugend auf an
den Rauch gewöhnt ist. Daß diese schweren, nikotinhaltigen Cigarren bei
stetem Gebrauche mit der Zeit Nervosität, Herzschwäche oder Magenübel er¬
zeugen, liegt auf der Hand.

Noch schlimmer beinahe, als mit den Cigarren, steht es aber mit dem
Bier und dem Schnaps. Die Herren Gastwirte in unserm Weberstädtchen
machen es genau so wie die Kaufleute, sie beziehen ihr Bier aus deu sieben
oder acht Brauereien der Umgegend, die ihnen das Bier frei ins Haus schaffen,
umso mehr als die Brauer von Zeit zu Zeit bei ihnen eine Zeche machen
und es mit dem Gelde auch nicht so ängstlich haben. Sei es nun, daß die
Herren Brauer nicht gerade viel von ihrer Kunst verstehen, sei es, daß sie ihr
Anlagekapital immer schnell wieder umsetzen wollen, kurz, sie lassen ihr Bier
nicht lagern und klären es dann mit künstlichen, gesundheitsschädlichen Mitteln.
Und das allerjüngste, allerschlechteste Bier wandert in unser Gebirgsstädtchen
herauf, da die Gastwirte dort nicht etwa immer nnr aus einer und derselben
Brauerei ihr Bier beziehen, sondern der Reihe nach herum aus allen sieben
oder acht, und bekanntlich der Kunde immer am schlechtesten bedient wird, der


Die Schäden des Aleinhandels

teuer bezahlen müssen, in Bewahrheitung des alten Spruches: „Wer nicht hat,
dem wird auch das er hat genommen werden."

Doch über die Preishöhe und Minderwertigkeit der Kaufmannsartikel
könnte man sich noch hinwegsetzen. Man ist an die hohen Preise für gewisse
Waren in unserm Städtchen gewöhnt, man kennt es nicht anders, und wenn
die Sachen auch nicht so lange vorhalten oder nicht so gut munden, jedenfalls
sind sie nicht gesundheitsschädlich. Der Fluch des Kleinhandels macht sich in
vollem Maße erst da geltend, wo die Gesundheit ins Spiel kommt, vor allem
beim Bier, beim Branntwein und bei den Cigarren.

Wenn man für die meisten Gebrauchsgegenstünde in unserm Städtchen
höhere Preise zahlen muß, als an andern größern Orten, so giebt es gewisse
Artikel, für die man überall einen und denselben Preis anzulegen Pflegt. Einer
dieser Artikel ist die Cigarre. Der kleine Beamte, der bessere Handwerker, der
Landmann rauchen ihre Fünfpfennigeigarre, ebenso in Berlin, wie am Rheine,
wie in Oberschlesien. Erhält man aber in Berlin für fünf Pfennige zumeist
eine ganz gute Cigarre, zu der vorzugsweise schon amerikanische Tabake ver¬
arbeitet werden, so kauft man in unserm Gebirgsstädtchen für diesen Preis ein
jämmerliches Kraut, das vielleicht mit Ausnahme des Deckblatts auf heimischem
Boden gewachsen ist. Nun ist es aber eine bekannte Thatsache, daß die in
unserm kalten Norden gezognen Tabakpflanzen nahezu viermal soviel Nikotin
enthalten als Havannatabak, 7 bis 8 Prozent gegen 2 Prozent, und daß sie
daher um ebenso viel giftiger sind. Schon der Qualm dieser Cigarren ist,
namentlich in Gaststuben, wo drei oder vier Raucher beisammen sind, so scharf
und betäubend, daß man, ohne selbst zu rauchen, Kopfschmerzen bekommt, es
müßte denn sein, daß man Nerven von Stahl hat, oder von Jugend auf an
den Rauch gewöhnt ist. Daß diese schweren, nikotinhaltigen Cigarren bei
stetem Gebrauche mit der Zeit Nervosität, Herzschwäche oder Magenübel er¬
zeugen, liegt auf der Hand.

Noch schlimmer beinahe, als mit den Cigarren, steht es aber mit dem
Bier und dem Schnaps. Die Herren Gastwirte in unserm Weberstädtchen
machen es genau so wie die Kaufleute, sie beziehen ihr Bier aus deu sieben
oder acht Brauereien der Umgegend, die ihnen das Bier frei ins Haus schaffen,
umso mehr als die Brauer von Zeit zu Zeit bei ihnen eine Zeche machen
und es mit dem Gelde auch nicht so ängstlich haben. Sei es nun, daß die
Herren Brauer nicht gerade viel von ihrer Kunst verstehen, sei es, daß sie ihr
Anlagekapital immer schnell wieder umsetzen wollen, kurz, sie lassen ihr Bier
nicht lagern und klären es dann mit künstlichen, gesundheitsschädlichen Mitteln.
Und das allerjüngste, allerschlechteste Bier wandert in unser Gebirgsstädtchen
herauf, da die Gastwirte dort nicht etwa immer nnr aus einer und derselben
Brauerei ihr Bier beziehen, sondern der Reihe nach herum aus allen sieben
oder acht, und bekanntlich der Kunde immer am schlechtesten bedient wird, der


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[0197] Die Schäden des Aleinhandels teuer bezahlen müssen, in Bewahrheitung des alten Spruches: „Wer nicht hat, dem wird auch das er hat genommen werden." Doch über die Preishöhe und Minderwertigkeit der Kaufmannsartikel könnte man sich noch hinwegsetzen. Man ist an die hohen Preise für gewisse Waren in unserm Städtchen gewöhnt, man kennt es nicht anders, und wenn die Sachen auch nicht so lange vorhalten oder nicht so gut munden, jedenfalls sind sie nicht gesundheitsschädlich. Der Fluch des Kleinhandels macht sich in vollem Maße erst da geltend, wo die Gesundheit ins Spiel kommt, vor allem beim Bier, beim Branntwein und bei den Cigarren. Wenn man für die meisten Gebrauchsgegenstünde in unserm Städtchen höhere Preise zahlen muß, als an andern größern Orten, so giebt es gewisse Artikel, für die man überall einen und denselben Preis anzulegen Pflegt. Einer dieser Artikel ist die Cigarre. Der kleine Beamte, der bessere Handwerker, der Landmann rauchen ihre Fünfpfennigeigarre, ebenso in Berlin, wie am Rheine, wie in Oberschlesien. Erhält man aber in Berlin für fünf Pfennige zumeist eine ganz gute Cigarre, zu der vorzugsweise schon amerikanische Tabake ver¬ arbeitet werden, so kauft man in unserm Gebirgsstädtchen für diesen Preis ein jämmerliches Kraut, das vielleicht mit Ausnahme des Deckblatts auf heimischem Boden gewachsen ist. Nun ist es aber eine bekannte Thatsache, daß die in unserm kalten Norden gezognen Tabakpflanzen nahezu viermal soviel Nikotin enthalten als Havannatabak, 7 bis 8 Prozent gegen 2 Prozent, und daß sie daher um ebenso viel giftiger sind. Schon der Qualm dieser Cigarren ist, namentlich in Gaststuben, wo drei oder vier Raucher beisammen sind, so scharf und betäubend, daß man, ohne selbst zu rauchen, Kopfschmerzen bekommt, es müßte denn sein, daß man Nerven von Stahl hat, oder von Jugend auf an den Rauch gewöhnt ist. Daß diese schweren, nikotinhaltigen Cigarren bei stetem Gebrauche mit der Zeit Nervosität, Herzschwäche oder Magenübel er¬ zeugen, liegt auf der Hand. Noch schlimmer beinahe, als mit den Cigarren, steht es aber mit dem Bier und dem Schnaps. Die Herren Gastwirte in unserm Weberstädtchen machen es genau so wie die Kaufleute, sie beziehen ihr Bier aus deu sieben oder acht Brauereien der Umgegend, die ihnen das Bier frei ins Haus schaffen, umso mehr als die Brauer von Zeit zu Zeit bei ihnen eine Zeche machen und es mit dem Gelde auch nicht so ängstlich haben. Sei es nun, daß die Herren Brauer nicht gerade viel von ihrer Kunst verstehen, sei es, daß sie ihr Anlagekapital immer schnell wieder umsetzen wollen, kurz, sie lassen ihr Bier nicht lagern und klären es dann mit künstlichen, gesundheitsschädlichen Mitteln. Und das allerjüngste, allerschlechteste Bier wandert in unser Gebirgsstädtchen herauf, da die Gastwirte dort nicht etwa immer nnr aus einer und derselben Brauerei ihr Bier beziehen, sondern der Reihe nach herum aus allen sieben oder acht, und bekanntlich der Kunde immer am schlechtesten bedient wird, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/197>, abgerufen am 23.07.2024.