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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aber heute, wo die Bewegung gegen die Warenhäuser, die Großbetriebe
des Kleinhandels, immer weiter um sich greift, ist es vielleicht ganz angebracht,
einen Blick auf die wirtschaftlichen Zustände in abgelegnen Gegenden unsers
Vaterlandes zu werfen, in denen der Kleinhandel noch in vollster Blüte steht,
Gegenden, die in ihrer Entwicklung stehen geblieben sind, und über die ein
Jahrzehnt nach dem andern, man möchte sagen, ein Jahrhundert hinweg¬
gegangen ist, ohne daß Handel und Gewerbe in ihnen wesentliche Änderungen
erfahren haben.

Der Leser folge uns in ein kleines Weberstüdtchen in den Sudeten.
Früher, zu Anfang unsers Jahrhunderts und bis in die fünfziger Jahre hinein,
als die Webwaren bei uns in Deutschland noch zumeist auf Handstühlen her¬
gestellt wurden, war es als Leinenfabrikationsort nicht ohne Bedeutung ge¬
wesen, es konnte sich ruhig mit den Nachbarstädten messen, und seine Bewohner
erfreuten sich einer gewissen Wohlhabenheit. Das wurde anders, als die
mechanische Weberei immer mehr an Bedeutung gewann, und die Eisenbahnen,
mit denen man die schlesischen Gebirge überzog, rechts und links in weitem
Bogen an unserm Weberstädtchen vorbeigeführt wurden. Die großen Fabriken
mit Dampfbetrieb, Spinnereien und Webereien kamen in die Nachbarorte, die
zugleich mit der Eisenbahn billige Kohle und billige Warentransporte erhielten.
Unser Städtchen blieb nach wie vor auf die Handweberei angewiesen, in der
die Arbeitslöhne infolge der erdrückenden Konkurrenz des mechanischen Betriebs
ständig heruntergingen. Zuletzt verdienten die Handweber bei angestrengter
Arbeit kaum das Sattessen; wer irgend konnte, zog nach außerhalb, und die
Abnahme der Bevölkerung wie die schlechte wirtschaftliche Lage der Zurück¬
bleibenden übten ans Handel und Wandel der ganzen Stadt ihren Einfluß aus.
Die Wohnungen blieben unvermietet, die Handwerker fanden nicht mehr ge¬
nügende Beschäftigung, in den Kaufläden und Gasthäusern wurde der Umsatz
der denkbar schlechteste, und die Folgen sind um so schlimmer, als von früher
her die Konkurrenz groß war.

Der Umsatz in den einzelnen Kauflüden ist verschwindend klein geworden,
bei den bescheidensten Ansprüchen wollen aber die Ladenbesitzer leben. Sie
müssen deshalb die Preise für ihre Waren immer wenigstens so hoch ansetzen,
daß sie ihr Durchkommen finden, also schon ein Grund, weshalb bei ihnen
die Waren nicht so wohlfeil sein können, wie um andern größern Orten-

Es kommen aber noch zwei andre Gründe hinzu, die auf die Verteuerung
der Kolonialwaren und Jndnstrieerzeugnisse in unserm Städtchen von Einfluß
sind. Der Umsatz ist klein, und nach dem Umsatz richtet sich die Größe des
Einkaufs. Beim Einkauf aber hat man einen umso größern Vorteil, in je
größern Mengen man kauft. Der kleine Krämer bezieht seine Waren schon an
und für sich zu höhern Preisen als der Großkaufmann, und deshalb ist er
mich nicht in der Lage, so billig zu verkaufen wie dieser. Und dann sind die


Aber heute, wo die Bewegung gegen die Warenhäuser, die Großbetriebe
des Kleinhandels, immer weiter um sich greift, ist es vielleicht ganz angebracht,
einen Blick auf die wirtschaftlichen Zustände in abgelegnen Gegenden unsers
Vaterlandes zu werfen, in denen der Kleinhandel noch in vollster Blüte steht,
Gegenden, die in ihrer Entwicklung stehen geblieben sind, und über die ein
Jahrzehnt nach dem andern, man möchte sagen, ein Jahrhundert hinweg¬
gegangen ist, ohne daß Handel und Gewerbe in ihnen wesentliche Änderungen
erfahren haben.

Der Leser folge uns in ein kleines Weberstüdtchen in den Sudeten.
Früher, zu Anfang unsers Jahrhunderts und bis in die fünfziger Jahre hinein,
als die Webwaren bei uns in Deutschland noch zumeist auf Handstühlen her¬
gestellt wurden, war es als Leinenfabrikationsort nicht ohne Bedeutung ge¬
wesen, es konnte sich ruhig mit den Nachbarstädten messen, und seine Bewohner
erfreuten sich einer gewissen Wohlhabenheit. Das wurde anders, als die
mechanische Weberei immer mehr an Bedeutung gewann, und die Eisenbahnen,
mit denen man die schlesischen Gebirge überzog, rechts und links in weitem
Bogen an unserm Weberstädtchen vorbeigeführt wurden. Die großen Fabriken
mit Dampfbetrieb, Spinnereien und Webereien kamen in die Nachbarorte, die
zugleich mit der Eisenbahn billige Kohle und billige Warentransporte erhielten.
Unser Städtchen blieb nach wie vor auf die Handweberei angewiesen, in der
die Arbeitslöhne infolge der erdrückenden Konkurrenz des mechanischen Betriebs
ständig heruntergingen. Zuletzt verdienten die Handweber bei angestrengter
Arbeit kaum das Sattessen; wer irgend konnte, zog nach außerhalb, und die
Abnahme der Bevölkerung wie die schlechte wirtschaftliche Lage der Zurück¬
bleibenden übten ans Handel und Wandel der ganzen Stadt ihren Einfluß aus.
Die Wohnungen blieben unvermietet, die Handwerker fanden nicht mehr ge¬
nügende Beschäftigung, in den Kaufläden und Gasthäusern wurde der Umsatz
der denkbar schlechteste, und die Folgen sind um so schlimmer, als von früher
her die Konkurrenz groß war.

Der Umsatz in den einzelnen Kauflüden ist verschwindend klein geworden,
bei den bescheidensten Ansprüchen wollen aber die Ladenbesitzer leben. Sie
müssen deshalb die Preise für ihre Waren immer wenigstens so hoch ansetzen,
daß sie ihr Durchkommen finden, also schon ein Grund, weshalb bei ihnen
die Waren nicht so wohlfeil sein können, wie um andern größern Orten-

Es kommen aber noch zwei andre Gründe hinzu, die auf die Verteuerung
der Kolonialwaren und Jndnstrieerzeugnisse in unserm Städtchen von Einfluß
sind. Der Umsatz ist klein, und nach dem Umsatz richtet sich die Größe des
Einkaufs. Beim Einkauf aber hat man einen umso größern Vorteil, in je
größern Mengen man kauft. Der kleine Krämer bezieht seine Waren schon an
und für sich zu höhern Preisen als der Großkaufmann, und deshalb ist er
mich nicht in der Lage, so billig zu verkaufen wie dieser. Und dann sind die


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[0195] Aber heute, wo die Bewegung gegen die Warenhäuser, die Großbetriebe des Kleinhandels, immer weiter um sich greift, ist es vielleicht ganz angebracht, einen Blick auf die wirtschaftlichen Zustände in abgelegnen Gegenden unsers Vaterlandes zu werfen, in denen der Kleinhandel noch in vollster Blüte steht, Gegenden, die in ihrer Entwicklung stehen geblieben sind, und über die ein Jahrzehnt nach dem andern, man möchte sagen, ein Jahrhundert hinweg¬ gegangen ist, ohne daß Handel und Gewerbe in ihnen wesentliche Änderungen erfahren haben. Der Leser folge uns in ein kleines Weberstüdtchen in den Sudeten. Früher, zu Anfang unsers Jahrhunderts und bis in die fünfziger Jahre hinein, als die Webwaren bei uns in Deutschland noch zumeist auf Handstühlen her¬ gestellt wurden, war es als Leinenfabrikationsort nicht ohne Bedeutung ge¬ wesen, es konnte sich ruhig mit den Nachbarstädten messen, und seine Bewohner erfreuten sich einer gewissen Wohlhabenheit. Das wurde anders, als die mechanische Weberei immer mehr an Bedeutung gewann, und die Eisenbahnen, mit denen man die schlesischen Gebirge überzog, rechts und links in weitem Bogen an unserm Weberstädtchen vorbeigeführt wurden. Die großen Fabriken mit Dampfbetrieb, Spinnereien und Webereien kamen in die Nachbarorte, die zugleich mit der Eisenbahn billige Kohle und billige Warentransporte erhielten. Unser Städtchen blieb nach wie vor auf die Handweberei angewiesen, in der die Arbeitslöhne infolge der erdrückenden Konkurrenz des mechanischen Betriebs ständig heruntergingen. Zuletzt verdienten die Handweber bei angestrengter Arbeit kaum das Sattessen; wer irgend konnte, zog nach außerhalb, und die Abnahme der Bevölkerung wie die schlechte wirtschaftliche Lage der Zurück¬ bleibenden übten ans Handel und Wandel der ganzen Stadt ihren Einfluß aus. Die Wohnungen blieben unvermietet, die Handwerker fanden nicht mehr ge¬ nügende Beschäftigung, in den Kaufläden und Gasthäusern wurde der Umsatz der denkbar schlechteste, und die Folgen sind um so schlimmer, als von früher her die Konkurrenz groß war. Der Umsatz in den einzelnen Kauflüden ist verschwindend klein geworden, bei den bescheidensten Ansprüchen wollen aber die Ladenbesitzer leben. Sie müssen deshalb die Preise für ihre Waren immer wenigstens so hoch ansetzen, daß sie ihr Durchkommen finden, also schon ein Grund, weshalb bei ihnen die Waren nicht so wohlfeil sein können, wie um andern größern Orten- Es kommen aber noch zwei andre Gründe hinzu, die auf die Verteuerung der Kolonialwaren und Jndnstrieerzeugnisse in unserm Städtchen von Einfluß sind. Der Umsatz ist klein, und nach dem Umsatz richtet sich die Größe des Einkaufs. Beim Einkauf aber hat man einen umso größern Vorteil, in je größern Mengen man kauft. Der kleine Krämer bezieht seine Waren schon an und für sich zu höhern Preisen als der Großkaufmann, und deshalb ist er mich nicht in der Lage, so billig zu verkaufen wie dieser. Und dann sind die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/195>, abgerufen am 23.07.2024.