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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Wehrwesen und Sozialdemokratie

verläuft, desto weniger umfangreich sind seine Übeln volkswirtschaftlichen Folgen.
Der deutsche Krieg von 1866 bietet dafür ein schlagendes Beispiel.

Es kommt noch hinzu, daß unverhältnismäßig mehr Mittel für die Krieg¬
führung in Anspruch genommen werden, wenn, wie nach amerikanischem Muster,
keine Friedensvorbereitungen getroffen worden sind, und man erst im Augen¬
blicke der Mobilmachung mit den notwendigen Anschaffungen beginnt. Die
Lieferanten von Kriegsmaterial wissen sich solche Zwangslagen des Staates
wohl zu nutze zu machen, und dabei wird das Heer noch immer schlecht bedient
sein. Die Vereinigten Staaten sowie Frankreich können davon ein Lied fingen.
Während des Sezessionskrieges kaufte die Union alle alten europäischen Kriegs-
handfeuerwasfen zu übertriebnen Preisen auf, und die heimische Technik ließ
sich nicht minder für ihre Leistungen bezahlen. So kostete z. B. dem Staate
ein Mehrlader des Systems Spencer 40 Dollars, der wirkliche Wert betrug
10 Dollars; jede Patrone, die herzustellen etwa 1^ Cent kostete, mußte mit
4 Cent bezahlt werden. Angekauft wurden vom Wardepartement während des
Krieges 366788 glatte und 1055862 gezogne Vorderlader neben 400 058 ein¬
fachen Hinterladern und Magazingewehren. Darunter waren 35 verschiedne
Modelle und 8 verschiedne Kaliber. Man mag sich leicht vorstellen, welche
Verwirrung oft beim Munitionsersatz herrschte. Weiterhin erhielten die Truppen
nicht selten Schuhe mit Pappsohlen und Bekleidungsstücke aus Shoddystoff.
Selbst die Arzneimittel wurden gefälscht. Die Franzosen waren 1870/71 unter
dem Regime Gambetta-Freycinet ganz ähnlich daran. Die am 1. Februar 1871
in die Schweiz übertretende französische Armee (Vourbaki) marschierte in Lumpen
gehüllt und zum guten Teil ohne Schuhe daher. Sie gab sechs verschiedne
Gewehrsysteme ab, von denen jedes einer eignen Munition bedürfte.

Man hüte sich demnach, das bisherige amerikanische System des Nicht-
rüstens zu empfehlen. Es führt unter allen Umstünden zu einer wahnsinnigen
Verschleuderung der Staatsmittel, und selbst die reichste Nation wird dabei zu
Schaden kommen, wenn sie sich in einen Krieg verwickelt sieht mit einer nach
modernen Grundsätzen vorbereiteten Macht. Das heutige Spanien ist dies
nicht, wie ja jedermann weiß. Glaubt man aber, daß die Vereinigten Staaten
ebenfalls so wohlfeile Siege erringen würden, ja überhaupt Erfolge zu er¬
zielen vermöchten, wenn sie es mit einer europäischen Großmacht zu thun
hätten? Das Geld nützt nach dem Beginn der wirklichen Kriegshandlung
verhältnismäßig wenig; wäre dies anders, so hätten die Truppen der fran¬
zösischen Nationalverteidigung 1870/71 die Deutschen rasch aus dem Lande ge¬
trieben. Das Geld schützt auch nicht vor den ersten Hauptschlägen, und deren
Ausfall entscheidet heute, im Zeitalter der rasch geführten Bewegungskriege,
über die ganze Angelegenheit. Ein nicht vorbereiteter Staat erliegt sicher dem
schnell handelnden Gegner, und verfügte er auch über zehn Millionen wehr¬
fähige, aber unausgebildete Männer, und schössen diese mit Kugeln von Gold
und Silber.


Wehrwesen und Sozialdemokratie

verläuft, desto weniger umfangreich sind seine Übeln volkswirtschaftlichen Folgen.
Der deutsche Krieg von 1866 bietet dafür ein schlagendes Beispiel.

Es kommt noch hinzu, daß unverhältnismäßig mehr Mittel für die Krieg¬
führung in Anspruch genommen werden, wenn, wie nach amerikanischem Muster,
keine Friedensvorbereitungen getroffen worden sind, und man erst im Augen¬
blicke der Mobilmachung mit den notwendigen Anschaffungen beginnt. Die
Lieferanten von Kriegsmaterial wissen sich solche Zwangslagen des Staates
wohl zu nutze zu machen, und dabei wird das Heer noch immer schlecht bedient
sein. Die Vereinigten Staaten sowie Frankreich können davon ein Lied fingen.
Während des Sezessionskrieges kaufte die Union alle alten europäischen Kriegs-
handfeuerwasfen zu übertriebnen Preisen auf, und die heimische Technik ließ
sich nicht minder für ihre Leistungen bezahlen. So kostete z. B. dem Staate
ein Mehrlader des Systems Spencer 40 Dollars, der wirkliche Wert betrug
10 Dollars; jede Patrone, die herzustellen etwa 1^ Cent kostete, mußte mit
4 Cent bezahlt werden. Angekauft wurden vom Wardepartement während des
Krieges 366788 glatte und 1055862 gezogne Vorderlader neben 400 058 ein¬
fachen Hinterladern und Magazingewehren. Darunter waren 35 verschiedne
Modelle und 8 verschiedne Kaliber. Man mag sich leicht vorstellen, welche
Verwirrung oft beim Munitionsersatz herrschte. Weiterhin erhielten die Truppen
nicht selten Schuhe mit Pappsohlen und Bekleidungsstücke aus Shoddystoff.
Selbst die Arzneimittel wurden gefälscht. Die Franzosen waren 1870/71 unter
dem Regime Gambetta-Freycinet ganz ähnlich daran. Die am 1. Februar 1871
in die Schweiz übertretende französische Armee (Vourbaki) marschierte in Lumpen
gehüllt und zum guten Teil ohne Schuhe daher. Sie gab sechs verschiedne
Gewehrsysteme ab, von denen jedes einer eignen Munition bedürfte.

Man hüte sich demnach, das bisherige amerikanische System des Nicht-
rüstens zu empfehlen. Es führt unter allen Umstünden zu einer wahnsinnigen
Verschleuderung der Staatsmittel, und selbst die reichste Nation wird dabei zu
Schaden kommen, wenn sie sich in einen Krieg verwickelt sieht mit einer nach
modernen Grundsätzen vorbereiteten Macht. Das heutige Spanien ist dies
nicht, wie ja jedermann weiß. Glaubt man aber, daß die Vereinigten Staaten
ebenfalls so wohlfeile Siege erringen würden, ja überhaupt Erfolge zu er¬
zielen vermöchten, wenn sie es mit einer europäischen Großmacht zu thun
hätten? Das Geld nützt nach dem Beginn der wirklichen Kriegshandlung
verhältnismäßig wenig; wäre dies anders, so hätten die Truppen der fran¬
zösischen Nationalverteidigung 1870/71 die Deutschen rasch aus dem Lande ge¬
trieben. Das Geld schützt auch nicht vor den ersten Hauptschlägen, und deren
Ausfall entscheidet heute, im Zeitalter der rasch geführten Bewegungskriege,
über die ganze Angelegenheit. Ein nicht vorbereiteter Staat erliegt sicher dem
schnell handelnden Gegner, und verfügte er auch über zehn Millionen wehr¬
fähige, aber unausgebildete Männer, und schössen diese mit Kugeln von Gold
und Silber.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/188>, abgerufen am 23.07.2024.