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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Wehrwesen und Sozialdemokratie

Es ist ganz richtig, daß die Welt schon gesehen hat, wie völlig unaus-
gebildete Truppen Krieg führten, aber ein "schöner Anblick" war das nicht.
Die die Marseillaise brüllenden Föderierten von 1792 liefen regelmäßig aus¬
einander, wenn der Gegner ihnen ernsthaft die Zähne wies.

Es dauerte lange, bis die Heere der ersten französischen Republik that¬
sächlich ÄZUErri<Z8 waren. Und dabei darf nicht vergessen werden, daß sich in
ihnen noch die alten Stämme der ehemaligen stehenden Armee fanden, daß
man sie seit 1796 von allen schlechten Elementen zu reinigen suchte, und daß
sie endlich in allen Führerchargen zum allergrößten Teile gediente Männer
hatten. Ausgenommen Lannes und Moreau, haben sämtliche französische
Generale und Marschälle, die zwischen 1792 und 1815 mit Auszeichnung
dienten, schon dem königlichen Heere angehört und sind von jeher Berufs¬
soldaten gewesen. Dem von Carnot präsidierten Kriegsausschuß gehörten alt¬
gediente und bewährte Generalstabsoffiziere wie d'Ar<)0n, Oberbein, Montalem-
bert und Marescot an; sie verfügten über alle Hilfsmittel des vsxvt as 1^
Auei-rs, einer Gründung des Königtums. Die Nationalgardengenerale, wie z. B.
Santerre der Brauer und Hulin, der Held des Bastillensturms (1806 Gou¬
verneur von Berlin), Henriot, der unwissende Hanswurst, die Kopfabschneider
Westermann und Rossignol, hatten auch nicht das geringste militärische Ver¬
dienst aufzuweisen. Hulin wurde von Napoleon gewissermaßen als ein histo¬
risches Stück übernommen, und Santerre erhielt aus denselben Gründen das
Gnadenbrod.

Während des Sezessionskrieges in Nordamerika mußte man - Wohl oder
übel zu dem Mittel greifen, Armeen aus Freiwilligen herzustellen, denen nach
ihrer überwiegenden Zahl jegliche militärische Ausbildung fehlte. Die meisten
von ihnen ließen sich anch wohl weniger aus patriotischen Gründen rekrutieren,
als wegen der Aussicht auf die verlockenden materiellen Vorteile, die der Dienst
darbot. Aber man erinnere sich der unglaublich elenden Kriegführung, die bis
ins Jahr 1863 hinein dauerte, der furchtbaren Grausamkeit, die beide Gegner
entwickelten, der ungeheuern, durch keinen europäischen Feldzug je erreichten
blutigen und unblutigen Verluste, sowie der nicht minder ungeheuern Kosten.
Weil der Krieg erst Soldaten erziehen mußte, dauerte er vierundeinhalbes Jahr,
und die Vereinigten Staaten haben dieses lange Elend genügend auskosten
können. Wer da behauptet, die finanzielle Lage der Vereinigten Staaten sei
darum so rosig, weil ihnen der "unersättliche Militürmoloch" fehlt, der begeht
einen Irrtum. Der Ki-loin ^riet^ von 1868, der fast einen Staatsbankerott
ausbrechen ließ, der ungeheure, jährlich auszurichtende Pensionsbetrag, die ge¬
waltigen Zollmauern finden geradezu ihren Ursprung im Sezessionskriege.

Wer wird noch heute einem lange dauernden Kriege das Wort reden
wollen? Es giebt schwerlich jemand, der sich für die Periode der deutschen
Geschichte begeistert, die zwischen 1618 und 1650 fällt. Je rascher ein Krieg


Wehrwesen und Sozialdemokratie

Es ist ganz richtig, daß die Welt schon gesehen hat, wie völlig unaus-
gebildete Truppen Krieg führten, aber ein „schöner Anblick" war das nicht.
Die die Marseillaise brüllenden Föderierten von 1792 liefen regelmäßig aus¬
einander, wenn der Gegner ihnen ernsthaft die Zähne wies.

Es dauerte lange, bis die Heere der ersten französischen Republik that¬
sächlich ÄZUErri<Z8 waren. Und dabei darf nicht vergessen werden, daß sich in
ihnen noch die alten Stämme der ehemaligen stehenden Armee fanden, daß
man sie seit 1796 von allen schlechten Elementen zu reinigen suchte, und daß
sie endlich in allen Führerchargen zum allergrößten Teile gediente Männer
hatten. Ausgenommen Lannes und Moreau, haben sämtliche französische
Generale und Marschälle, die zwischen 1792 und 1815 mit Auszeichnung
dienten, schon dem königlichen Heere angehört und sind von jeher Berufs¬
soldaten gewesen. Dem von Carnot präsidierten Kriegsausschuß gehörten alt¬
gediente und bewährte Generalstabsoffiziere wie d'Ar<)0n, Oberbein, Montalem-
bert und Marescot an; sie verfügten über alle Hilfsmittel des vsxvt as 1^
Auei-rs, einer Gründung des Königtums. Die Nationalgardengenerale, wie z. B.
Santerre der Brauer und Hulin, der Held des Bastillensturms (1806 Gou¬
verneur von Berlin), Henriot, der unwissende Hanswurst, die Kopfabschneider
Westermann und Rossignol, hatten auch nicht das geringste militärische Ver¬
dienst aufzuweisen. Hulin wurde von Napoleon gewissermaßen als ein histo¬
risches Stück übernommen, und Santerre erhielt aus denselben Gründen das
Gnadenbrod.

Während des Sezessionskrieges in Nordamerika mußte man - Wohl oder
übel zu dem Mittel greifen, Armeen aus Freiwilligen herzustellen, denen nach
ihrer überwiegenden Zahl jegliche militärische Ausbildung fehlte. Die meisten
von ihnen ließen sich anch wohl weniger aus patriotischen Gründen rekrutieren,
als wegen der Aussicht auf die verlockenden materiellen Vorteile, die der Dienst
darbot. Aber man erinnere sich der unglaublich elenden Kriegführung, die bis
ins Jahr 1863 hinein dauerte, der furchtbaren Grausamkeit, die beide Gegner
entwickelten, der ungeheuern, durch keinen europäischen Feldzug je erreichten
blutigen und unblutigen Verluste, sowie der nicht minder ungeheuern Kosten.
Weil der Krieg erst Soldaten erziehen mußte, dauerte er vierundeinhalbes Jahr,
und die Vereinigten Staaten haben dieses lange Elend genügend auskosten
können. Wer da behauptet, die finanzielle Lage der Vereinigten Staaten sei
darum so rosig, weil ihnen der „unersättliche Militürmoloch" fehlt, der begeht
einen Irrtum. Der Ki-loin ^riet^ von 1868, der fast einen Staatsbankerott
ausbrechen ließ, der ungeheure, jährlich auszurichtende Pensionsbetrag, die ge¬
waltigen Zollmauern finden geradezu ihren Ursprung im Sezessionskriege.

Wer wird noch heute einem lange dauernden Kriege das Wort reden
wollen? Es giebt schwerlich jemand, der sich für die Periode der deutschen
Geschichte begeistert, die zwischen 1618 und 1650 fällt. Je rascher ein Krieg


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[0187] Wehrwesen und Sozialdemokratie Es ist ganz richtig, daß die Welt schon gesehen hat, wie völlig unaus- gebildete Truppen Krieg führten, aber ein „schöner Anblick" war das nicht. Die die Marseillaise brüllenden Föderierten von 1792 liefen regelmäßig aus¬ einander, wenn der Gegner ihnen ernsthaft die Zähne wies. Es dauerte lange, bis die Heere der ersten französischen Republik that¬ sächlich ÄZUErri<Z8 waren. Und dabei darf nicht vergessen werden, daß sich in ihnen noch die alten Stämme der ehemaligen stehenden Armee fanden, daß man sie seit 1796 von allen schlechten Elementen zu reinigen suchte, und daß sie endlich in allen Führerchargen zum allergrößten Teile gediente Männer hatten. Ausgenommen Lannes und Moreau, haben sämtliche französische Generale und Marschälle, die zwischen 1792 und 1815 mit Auszeichnung dienten, schon dem königlichen Heere angehört und sind von jeher Berufs¬ soldaten gewesen. Dem von Carnot präsidierten Kriegsausschuß gehörten alt¬ gediente und bewährte Generalstabsoffiziere wie d'Ar<)0n, Oberbein, Montalem- bert und Marescot an; sie verfügten über alle Hilfsmittel des vsxvt as 1^ Auei-rs, einer Gründung des Königtums. Die Nationalgardengenerale, wie z. B. Santerre der Brauer und Hulin, der Held des Bastillensturms (1806 Gou¬ verneur von Berlin), Henriot, der unwissende Hanswurst, die Kopfabschneider Westermann und Rossignol, hatten auch nicht das geringste militärische Ver¬ dienst aufzuweisen. Hulin wurde von Napoleon gewissermaßen als ein histo¬ risches Stück übernommen, und Santerre erhielt aus denselben Gründen das Gnadenbrod. Während des Sezessionskrieges in Nordamerika mußte man - Wohl oder übel zu dem Mittel greifen, Armeen aus Freiwilligen herzustellen, denen nach ihrer überwiegenden Zahl jegliche militärische Ausbildung fehlte. Die meisten von ihnen ließen sich anch wohl weniger aus patriotischen Gründen rekrutieren, als wegen der Aussicht auf die verlockenden materiellen Vorteile, die der Dienst darbot. Aber man erinnere sich der unglaublich elenden Kriegführung, die bis ins Jahr 1863 hinein dauerte, der furchtbaren Grausamkeit, die beide Gegner entwickelten, der ungeheuern, durch keinen europäischen Feldzug je erreichten blutigen und unblutigen Verluste, sowie der nicht minder ungeheuern Kosten. Weil der Krieg erst Soldaten erziehen mußte, dauerte er vierundeinhalbes Jahr, und die Vereinigten Staaten haben dieses lange Elend genügend auskosten können. Wer da behauptet, die finanzielle Lage der Vereinigten Staaten sei darum so rosig, weil ihnen der „unersättliche Militürmoloch" fehlt, der begeht einen Irrtum. Der Ki-loin ^riet^ von 1868, der fast einen Staatsbankerott ausbrechen ließ, der ungeheure, jährlich auszurichtende Pensionsbetrag, die ge¬ waltigen Zollmauern finden geradezu ihren Ursprung im Sezessionskriege. Wer wird noch heute einem lange dauernden Kriege das Wort reden wollen? Es giebt schwerlich jemand, der sich für die Periode der deutschen Geschichte begeistert, die zwischen 1618 und 1650 fällt. Je rascher ein Krieg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/187>, abgerufen am 23.07.2024.