Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Geldreform

goldnen und silbernen Münzen nicht aus der Welt schaffen. Die einen Staaten
nun fügten sich in die Thatsache, daß zwei verschiedne Münzsysteme neben¬
einander bestanden, andre quälten sich mit Tarisierungen ab, die das Wert¬
verhältnis zwischen Gold und Silber feststellen sollten. Daß sich ein solche?
Verhältnis nicht erzwingen lasse, sah man wohl bald ein; die Tarifiernng
hatte daher nur den Sinn, das Verhältnis zu ermitteln und bekannt zu machen,
das sich im Geschäftsverkehr von selbst ergeben hatte, und änderte der Verkehr
dieses Verhältnis, so änderten auch die Regierungen darnach ihre Tarifierung.

Die Hauptursache der Wertschwankungen zwischen den beiden Edelmetallen
liegt natürlich in der Produktion, aber nicht immer ist diese ausschlaggebend
für den Wert; nicht immer sinkt dieser mit steigender und steigt er mit ab¬
nehmender Produktion. Die Goldgewinnung stieg in dem Zeitraum 1493
bis 1720 von 5800 Kilogramm auf 12 320 Kilogramm im Jahresdurchschnitt;
nach der Entdeckung der brasilianischen Goldfelder stieg sie bis 1760 auf 24610
Kilogramm im Jahresdurchschnitt. In derselben Zeit, wo die Goldgewinnung
auf das vierfache stieg, hob sich die Silbergewinnung (unter Schwankungen)
auf das achtzehnfache. Die Vermehrung der Edelmetalle hat bekanntlich den
Teil der großen wirtschaftlichen Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts be¬
wirkt, der in der Verteuerung der Waren und in der Ausbreitung der Geld-
wirtschaft bestand. Aber die starke Preissteigerung des Goldes, die man bei
der so verschiednen Produktionszunahme erwarten sollte, ist nicht eingetreten;
1493 stand das Gold zum Silber wie 10,75 : 1, um das Jahr 1600 nur wie
11,80:1. Helfferich erklärt das (II, 35) daraus, daß die Ausdehnung der
Geldwirtschaft weit mehr die Kreise des Bürger- und Bauerntums betraf als
den Großhandel; dieser hatte sich ja schon immer des Geldes, und zwar des
Goldgcldes bedient; dagegen stieg der Bedarf an kleinerm Gelde enorm, daher
fand das neu produzierte Silber Verwendung und Aufnahme, und sein Wert
konnte demnach im Verhältnis zur Golde nur wenig fallen. Und im sieb¬
zehnten Jahrhundert bewegte sich der Wert sogar den Produktionsverhältnissen
entgegengesetzt. Während die Goldproduktion noch stieg, erlitt die Silber-
Produktion eine vorübergehende Abnahme. Anstatt daß hierdurch das Gold
entwertet worden wäre, erfuhr es die stärkste Wertsteigerung, die bis dahin
vorgekommen war, bis zu dem Verhältnis von 15,21 :1. Diese Wertsteigcrung
des Goldes bei zunehmender Goldmenge und abnehmender Silberprodultiou
erklärt sich aus dem Unglück Deutschlands und dem Glück Englands. "In
unsichern Zeiten, wo nicht der Umsatz, sondern der leichte und sichre Transport,
die sichre Aufbewahrung und die Möglichkeit des Verbergens" den Ausschlag
geben, wird stets das Gold bevorzugt. Deshalb war in Deutschland in der
Zeit des dreißigjährigen Krieges starke Nachfrage nach Gold, während bei dem
gänzlichen Stocken des Geschäftsverkehrs, bei der Entvölkerung und Verarmung
des Landes Silber verhältnismäßig wenig gebraucht wurde. Dagegen brauchte


Grenzboten 1 1399 2
Die deutsche Geldreform

goldnen und silbernen Münzen nicht aus der Welt schaffen. Die einen Staaten
nun fügten sich in die Thatsache, daß zwei verschiedne Münzsysteme neben¬
einander bestanden, andre quälten sich mit Tarisierungen ab, die das Wert¬
verhältnis zwischen Gold und Silber feststellen sollten. Daß sich ein solche?
Verhältnis nicht erzwingen lasse, sah man wohl bald ein; die Tarifiernng
hatte daher nur den Sinn, das Verhältnis zu ermitteln und bekannt zu machen,
das sich im Geschäftsverkehr von selbst ergeben hatte, und änderte der Verkehr
dieses Verhältnis, so änderten auch die Regierungen darnach ihre Tarifierung.

Die Hauptursache der Wertschwankungen zwischen den beiden Edelmetallen
liegt natürlich in der Produktion, aber nicht immer ist diese ausschlaggebend
für den Wert; nicht immer sinkt dieser mit steigender und steigt er mit ab¬
nehmender Produktion. Die Goldgewinnung stieg in dem Zeitraum 1493
bis 1720 von 5800 Kilogramm auf 12 320 Kilogramm im Jahresdurchschnitt;
nach der Entdeckung der brasilianischen Goldfelder stieg sie bis 1760 auf 24610
Kilogramm im Jahresdurchschnitt. In derselben Zeit, wo die Goldgewinnung
auf das vierfache stieg, hob sich die Silbergewinnung (unter Schwankungen)
auf das achtzehnfache. Die Vermehrung der Edelmetalle hat bekanntlich den
Teil der großen wirtschaftlichen Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts be¬
wirkt, der in der Verteuerung der Waren und in der Ausbreitung der Geld-
wirtschaft bestand. Aber die starke Preissteigerung des Goldes, die man bei
der so verschiednen Produktionszunahme erwarten sollte, ist nicht eingetreten;
1493 stand das Gold zum Silber wie 10,75 : 1, um das Jahr 1600 nur wie
11,80:1. Helfferich erklärt das (II, 35) daraus, daß die Ausdehnung der
Geldwirtschaft weit mehr die Kreise des Bürger- und Bauerntums betraf als
den Großhandel; dieser hatte sich ja schon immer des Geldes, und zwar des
Goldgcldes bedient; dagegen stieg der Bedarf an kleinerm Gelde enorm, daher
fand das neu produzierte Silber Verwendung und Aufnahme, und sein Wert
konnte demnach im Verhältnis zur Golde nur wenig fallen. Und im sieb¬
zehnten Jahrhundert bewegte sich der Wert sogar den Produktionsverhältnissen
entgegengesetzt. Während die Goldproduktion noch stieg, erlitt die Silber-
Produktion eine vorübergehende Abnahme. Anstatt daß hierdurch das Gold
entwertet worden wäre, erfuhr es die stärkste Wertsteigerung, die bis dahin
vorgekommen war, bis zu dem Verhältnis von 15,21 :1. Diese Wertsteigcrung
des Goldes bei zunehmender Goldmenge und abnehmender Silberprodultiou
erklärt sich aus dem Unglück Deutschlands und dem Glück Englands. „In
unsichern Zeiten, wo nicht der Umsatz, sondern der leichte und sichre Transport,
die sichre Aufbewahrung und die Möglichkeit des Verbergens" den Ausschlag
geben, wird stets das Gold bevorzugt. Deshalb war in Deutschland in der
Zeit des dreißigjährigen Krieges starke Nachfrage nach Gold, während bei dem
gänzlichen Stocken des Geschäftsverkehrs, bei der Entvölkerung und Verarmung
des Landes Silber verhältnismäßig wenig gebraucht wurde. Dagegen brauchte


Grenzboten 1 1399 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229703"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Geldreform</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20"> goldnen und silbernen Münzen nicht aus der Welt schaffen. Die einen Staaten<lb/>
nun fügten sich in die Thatsache, daß zwei verschiedne Münzsysteme neben¬<lb/>
einander bestanden, andre quälten sich mit Tarisierungen ab, die das Wert¬<lb/>
verhältnis zwischen Gold und Silber feststellen sollten. Daß sich ein solche?<lb/>
Verhältnis nicht erzwingen lasse, sah man wohl bald ein; die Tarifiernng<lb/>
hatte daher nur den Sinn, das Verhältnis zu ermitteln und bekannt zu machen,<lb/>
das sich im Geschäftsverkehr von selbst ergeben hatte, und änderte der Verkehr<lb/>
dieses Verhältnis, so änderten auch die Regierungen darnach ihre Tarifierung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22" next="#ID_23"> Die Hauptursache der Wertschwankungen zwischen den beiden Edelmetallen<lb/>
liegt natürlich in der Produktion, aber nicht immer ist diese ausschlaggebend<lb/>
für den Wert; nicht immer sinkt dieser mit steigender und steigt er mit ab¬<lb/>
nehmender Produktion. Die Goldgewinnung stieg in dem Zeitraum 1493<lb/>
bis 1720 von 5800 Kilogramm auf 12 320 Kilogramm im Jahresdurchschnitt;<lb/>
nach der Entdeckung der brasilianischen Goldfelder stieg sie bis 1760 auf 24610<lb/>
Kilogramm im Jahresdurchschnitt. In derselben Zeit, wo die Goldgewinnung<lb/>
auf das vierfache stieg, hob sich die Silbergewinnung (unter Schwankungen)<lb/>
auf das achtzehnfache. Die Vermehrung der Edelmetalle hat bekanntlich den<lb/>
Teil der großen wirtschaftlichen Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts be¬<lb/>
wirkt, der in der Verteuerung der Waren und in der Ausbreitung der Geld-<lb/>
wirtschaft bestand. Aber die starke Preissteigerung des Goldes, die man bei<lb/>
der so verschiednen Produktionszunahme erwarten sollte, ist nicht eingetreten;<lb/>
1493 stand das Gold zum Silber wie 10,75 : 1, um das Jahr 1600 nur wie<lb/>
11,80:1. Helfferich erklärt das (II, 35) daraus, daß die Ausdehnung der<lb/>
Geldwirtschaft weit mehr die Kreise des Bürger- und Bauerntums betraf als<lb/>
den Großhandel; dieser hatte sich ja schon immer des Geldes, und zwar des<lb/>
Goldgcldes bedient; dagegen stieg der Bedarf an kleinerm Gelde enorm, daher<lb/>
fand das neu produzierte Silber Verwendung und Aufnahme, und sein Wert<lb/>
konnte demnach im Verhältnis zur Golde nur wenig fallen. Und im sieb¬<lb/>
zehnten Jahrhundert bewegte sich der Wert sogar den Produktionsverhältnissen<lb/>
entgegengesetzt. Während die Goldproduktion noch stieg, erlitt die Silber-<lb/>
Produktion eine vorübergehende Abnahme. Anstatt daß hierdurch das Gold<lb/>
entwertet worden wäre, erfuhr es die stärkste Wertsteigerung, die bis dahin<lb/>
vorgekommen war, bis zu dem Verhältnis von 15,21 :1. Diese Wertsteigcrung<lb/>
des Goldes bei zunehmender Goldmenge und abnehmender Silberprodultiou<lb/>
erklärt sich aus dem Unglück Deutschlands und dem Glück Englands. &#x201E;In<lb/>
unsichern Zeiten, wo nicht der Umsatz, sondern der leichte und sichre Transport,<lb/>
die sichre Aufbewahrung und die Möglichkeit des Verbergens" den Ausschlag<lb/>
geben, wird stets das Gold bevorzugt. Deshalb war in Deutschland in der<lb/>
Zeit des dreißigjährigen Krieges starke Nachfrage nach Gold, während bei dem<lb/>
gänzlichen Stocken des Geschäftsverkehrs, bei der Entvölkerung und Verarmung<lb/>
des Landes Silber verhältnismäßig wenig gebraucht wurde. Dagegen brauchte</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 1399 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Die deutsche Geldreform goldnen und silbernen Münzen nicht aus der Welt schaffen. Die einen Staaten nun fügten sich in die Thatsache, daß zwei verschiedne Münzsysteme neben¬ einander bestanden, andre quälten sich mit Tarisierungen ab, die das Wert¬ verhältnis zwischen Gold und Silber feststellen sollten. Daß sich ein solche? Verhältnis nicht erzwingen lasse, sah man wohl bald ein; die Tarifiernng hatte daher nur den Sinn, das Verhältnis zu ermitteln und bekannt zu machen, das sich im Geschäftsverkehr von selbst ergeben hatte, und änderte der Verkehr dieses Verhältnis, so änderten auch die Regierungen darnach ihre Tarifierung. Die Hauptursache der Wertschwankungen zwischen den beiden Edelmetallen liegt natürlich in der Produktion, aber nicht immer ist diese ausschlaggebend für den Wert; nicht immer sinkt dieser mit steigender und steigt er mit ab¬ nehmender Produktion. Die Goldgewinnung stieg in dem Zeitraum 1493 bis 1720 von 5800 Kilogramm auf 12 320 Kilogramm im Jahresdurchschnitt; nach der Entdeckung der brasilianischen Goldfelder stieg sie bis 1760 auf 24610 Kilogramm im Jahresdurchschnitt. In derselben Zeit, wo die Goldgewinnung auf das vierfache stieg, hob sich die Silbergewinnung (unter Schwankungen) auf das achtzehnfache. Die Vermehrung der Edelmetalle hat bekanntlich den Teil der großen wirtschaftlichen Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts be¬ wirkt, der in der Verteuerung der Waren und in der Ausbreitung der Geld- wirtschaft bestand. Aber die starke Preissteigerung des Goldes, die man bei der so verschiednen Produktionszunahme erwarten sollte, ist nicht eingetreten; 1493 stand das Gold zum Silber wie 10,75 : 1, um das Jahr 1600 nur wie 11,80:1. Helfferich erklärt das (II, 35) daraus, daß die Ausdehnung der Geldwirtschaft weit mehr die Kreise des Bürger- und Bauerntums betraf als den Großhandel; dieser hatte sich ja schon immer des Geldes, und zwar des Goldgcldes bedient; dagegen stieg der Bedarf an kleinerm Gelde enorm, daher fand das neu produzierte Silber Verwendung und Aufnahme, und sein Wert konnte demnach im Verhältnis zur Golde nur wenig fallen. Und im sieb¬ zehnten Jahrhundert bewegte sich der Wert sogar den Produktionsverhältnissen entgegengesetzt. Während die Goldproduktion noch stieg, erlitt die Silber- Produktion eine vorübergehende Abnahme. Anstatt daß hierdurch das Gold entwertet worden wäre, erfuhr es die stärkste Wertsteigerung, die bis dahin vorgekommen war, bis zu dem Verhältnis von 15,21 :1. Diese Wertsteigcrung des Goldes bei zunehmender Goldmenge und abnehmender Silberprodultiou erklärt sich aus dem Unglück Deutschlands und dem Glück Englands. „In unsichern Zeiten, wo nicht der Umsatz, sondern der leichte und sichre Transport, die sichre Aufbewahrung und die Möglichkeit des Verbergens" den Ausschlag geben, wird stets das Gold bevorzugt. Deshalb war in Deutschland in der Zeit des dreißigjährigen Krieges starke Nachfrage nach Gold, während bei dem gänzlichen Stocken des Geschäftsverkehrs, bei der Entvölkerung und Verarmung des Landes Silber verhältnismäßig wenig gebraucht wurde. Dagegen brauchte Grenzboten 1 1399 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/17>, abgerufen am 23.07.2024.