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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauptmann und sein Biograph

schwebt, das ist nicht einzusehen. Man wende nicht ein, daß es solche Helden
alleweile giebt und in der Dichtung gegeben hat. Wir erwarten dann doch
wenigstens ein Gegenspiel treibender Kraft und klarer Gedanken. Aber auch
das ist im "Florian Geyer" so wenig der Fall wie, um dies schon vorweg
zu nehmen, in der "Versunkenen Glocke." Den Dichter erkennen wir doch
weniger an der Wahl des Stoffes als an seiner Gestaltung. Hier mußte
unsers Erachtens Hauptmann entweder zeigen, daß er es den bisherigen
Größen des historischen Schauspiels gleichthun, oder daß er mit den Mitteln
der neuen Kunst auch auf diesem Gebiet etwas Packendes leisten konnte. Aber
sein Versuch ist mißlungen.

Das Vorspiel wagt selbst Schlenther nicht zu retten, möchte aber, obwohl
er doch das Werk gedruckt vor sich hat, die Schuld am liebsten auf die Schau¬
spieler abwälzen. Auch bei der Besprechung des übrigen Stückes kommt er
auf diesen Nebenpunkt immer wieder zurück, während er in der Hauptkritik
so leise wie möglich auftritt, etwa so: "Es beginnt unter Florian Geyer die
Beratung. Damit treten wir endlich aus der breiten Darlegung des histo¬
rischen Standes der Dinge in die eigentliche Aktion ein, von der wir nur
wünschten, daß sie rascher fortschreite." Ja, wenn sie nur fortschritte, wenn
wir nur endlich einen Einblick in das Wesen und Wollen des Helden er¬
hielten, wenn er nur endlich in Aktion träte! Aber Schlenther muß selbst
gestehen (S. 214): "Geyer handelt nun nicht, sondern er redet." Und am
Ende des thatenloser zweiten Aktes: "Dieser Akt, in allen Tonarten spielend,
endigt mit einem elegischen Akkord. In der entscheidenden Stunde vom Orte
der Entscheidung weit entfernt, hält sich Geyer damit auf, einem einzelnen
Mann die Faust ins Gesicht zu schlagen und zum Fenster hinaus eine schöne
Volksrede zu halten. Ist das sein Charakter oder sein Schicksal (!)? Statt
frischer That Symbol und Worte!" (S. 222.) Auch im dritten Akt, wo er
sich endlich aufrafft, "wieder bloß in Worten ein Strafgericht" (S. 224).
Und so geht es durch bis zum Ende, überall unendliches Reden (S. 241).

Kann uns der Charakter eines Helden interessieren, den der Kritiker ganz
bezeichnend so schildert: "Ziele wie Karl der Große, wie Luther, wie Bismarck
kann er sich setzen, aber er wird sie nicht erreichen. Der idealistische Doktrinär
ist in ihm nur eine Hand breit größer als der durchgreifende Realpolitiker.
Weil er für Recht und Freiheit ist, giebt er in der Stunde seines höchsten
Triumphes seinen eignen Willen auf und läßt einer unsichern, uneinigen
Vielheit die Macht. Und in entscheidender Stunde der Gefahr läßt er sich
zu minderwertigem Geschäft beiseite schaffen, damit die andern, die kompakte
Majorität, gegen seinen Willen ihr Stück durchsetzen." Dennoch, trotz alledem,
sucht Schlenther auch dies Stück zu retten, und zwar damit, daß der Dichter
das Kolorit der Zeit so wunderbar getroffen, die Situationen so wahrheits¬
getreu geschildert habe. Darin liege die wahre Größe der Dichtung. "Auf


Gerhart Hauptmann und sein Biograph

schwebt, das ist nicht einzusehen. Man wende nicht ein, daß es solche Helden
alleweile giebt und in der Dichtung gegeben hat. Wir erwarten dann doch
wenigstens ein Gegenspiel treibender Kraft und klarer Gedanken. Aber auch
das ist im „Florian Geyer" so wenig der Fall wie, um dies schon vorweg
zu nehmen, in der „Versunkenen Glocke." Den Dichter erkennen wir doch
weniger an der Wahl des Stoffes als an seiner Gestaltung. Hier mußte
unsers Erachtens Hauptmann entweder zeigen, daß er es den bisherigen
Größen des historischen Schauspiels gleichthun, oder daß er mit den Mitteln
der neuen Kunst auch auf diesem Gebiet etwas Packendes leisten konnte. Aber
sein Versuch ist mißlungen.

Das Vorspiel wagt selbst Schlenther nicht zu retten, möchte aber, obwohl
er doch das Werk gedruckt vor sich hat, die Schuld am liebsten auf die Schau¬
spieler abwälzen. Auch bei der Besprechung des übrigen Stückes kommt er
auf diesen Nebenpunkt immer wieder zurück, während er in der Hauptkritik
so leise wie möglich auftritt, etwa so: „Es beginnt unter Florian Geyer die
Beratung. Damit treten wir endlich aus der breiten Darlegung des histo¬
rischen Standes der Dinge in die eigentliche Aktion ein, von der wir nur
wünschten, daß sie rascher fortschreite." Ja, wenn sie nur fortschritte, wenn
wir nur endlich einen Einblick in das Wesen und Wollen des Helden er¬
hielten, wenn er nur endlich in Aktion träte! Aber Schlenther muß selbst
gestehen (S. 214): „Geyer handelt nun nicht, sondern er redet." Und am
Ende des thatenloser zweiten Aktes: „Dieser Akt, in allen Tonarten spielend,
endigt mit einem elegischen Akkord. In der entscheidenden Stunde vom Orte
der Entscheidung weit entfernt, hält sich Geyer damit auf, einem einzelnen
Mann die Faust ins Gesicht zu schlagen und zum Fenster hinaus eine schöne
Volksrede zu halten. Ist das sein Charakter oder sein Schicksal (!)? Statt
frischer That Symbol und Worte!" (S. 222.) Auch im dritten Akt, wo er
sich endlich aufrafft, „wieder bloß in Worten ein Strafgericht" (S. 224).
Und so geht es durch bis zum Ende, überall unendliches Reden (S. 241).

Kann uns der Charakter eines Helden interessieren, den der Kritiker ganz
bezeichnend so schildert: „Ziele wie Karl der Große, wie Luther, wie Bismarck
kann er sich setzen, aber er wird sie nicht erreichen. Der idealistische Doktrinär
ist in ihm nur eine Hand breit größer als der durchgreifende Realpolitiker.
Weil er für Recht und Freiheit ist, giebt er in der Stunde seines höchsten
Triumphes seinen eignen Willen auf und läßt einer unsichern, uneinigen
Vielheit die Macht. Und in entscheidender Stunde der Gefahr läßt er sich
zu minderwertigem Geschäft beiseite schaffen, damit die andern, die kompakte
Majorität, gegen seinen Willen ihr Stück durchsetzen." Dennoch, trotz alledem,
sucht Schlenther auch dies Stück zu retten, und zwar damit, daß der Dichter
das Kolorit der Zeit so wunderbar getroffen, die Situationen so wahrheits¬
getreu geschildert habe. Darin liege die wahre Größe der Dichtung. „Auf


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[0164] Gerhart Hauptmann und sein Biograph schwebt, das ist nicht einzusehen. Man wende nicht ein, daß es solche Helden alleweile giebt und in der Dichtung gegeben hat. Wir erwarten dann doch wenigstens ein Gegenspiel treibender Kraft und klarer Gedanken. Aber auch das ist im „Florian Geyer" so wenig der Fall wie, um dies schon vorweg zu nehmen, in der „Versunkenen Glocke." Den Dichter erkennen wir doch weniger an der Wahl des Stoffes als an seiner Gestaltung. Hier mußte unsers Erachtens Hauptmann entweder zeigen, daß er es den bisherigen Größen des historischen Schauspiels gleichthun, oder daß er mit den Mitteln der neuen Kunst auch auf diesem Gebiet etwas Packendes leisten konnte. Aber sein Versuch ist mißlungen. Das Vorspiel wagt selbst Schlenther nicht zu retten, möchte aber, obwohl er doch das Werk gedruckt vor sich hat, die Schuld am liebsten auf die Schau¬ spieler abwälzen. Auch bei der Besprechung des übrigen Stückes kommt er auf diesen Nebenpunkt immer wieder zurück, während er in der Hauptkritik so leise wie möglich auftritt, etwa so: „Es beginnt unter Florian Geyer die Beratung. Damit treten wir endlich aus der breiten Darlegung des histo¬ rischen Standes der Dinge in die eigentliche Aktion ein, von der wir nur wünschten, daß sie rascher fortschreite." Ja, wenn sie nur fortschritte, wenn wir nur endlich einen Einblick in das Wesen und Wollen des Helden er¬ hielten, wenn er nur endlich in Aktion träte! Aber Schlenther muß selbst gestehen (S. 214): „Geyer handelt nun nicht, sondern er redet." Und am Ende des thatenloser zweiten Aktes: „Dieser Akt, in allen Tonarten spielend, endigt mit einem elegischen Akkord. In der entscheidenden Stunde vom Orte der Entscheidung weit entfernt, hält sich Geyer damit auf, einem einzelnen Mann die Faust ins Gesicht zu schlagen und zum Fenster hinaus eine schöne Volksrede zu halten. Ist das sein Charakter oder sein Schicksal (!)? Statt frischer That Symbol und Worte!" (S. 222.) Auch im dritten Akt, wo er sich endlich aufrafft, „wieder bloß in Worten ein Strafgericht" (S. 224). Und so geht es durch bis zum Ende, überall unendliches Reden (S. 241). Kann uns der Charakter eines Helden interessieren, den der Kritiker ganz bezeichnend so schildert: „Ziele wie Karl der Große, wie Luther, wie Bismarck kann er sich setzen, aber er wird sie nicht erreichen. Der idealistische Doktrinär ist in ihm nur eine Hand breit größer als der durchgreifende Realpolitiker. Weil er für Recht und Freiheit ist, giebt er in der Stunde seines höchsten Triumphes seinen eignen Willen auf und läßt einer unsichern, uneinigen Vielheit die Macht. Und in entscheidender Stunde der Gefahr läßt er sich zu minderwertigem Geschäft beiseite schaffen, damit die andern, die kompakte Majorität, gegen seinen Willen ihr Stück durchsetzen." Dennoch, trotz alledem, sucht Schlenther auch dies Stück zu retten, und zwar damit, daß der Dichter das Kolorit der Zeit so wunderbar getroffen, die Situationen so wahrheits¬ getreu geschildert habe. Darin liege die wahre Größe der Dichtung. „Auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/164>, abgerufen am 23.07.2024.