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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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deutliche Anklang an das Thalersystem war konsequent beseitigt. Die Münz¬
verfassung war zentralistisch geordnet, im Gegensatz zur Bundesvorlage. Von
höchster Wichtigkeit sür die Durchführung der Reform war, daß nach den Be¬
schlüssen des Reichstags die Landesmünzen von Reichs wegen und auf Reichs¬
kosten eingezogen werden sollten, während nach der Auffassung des Bundesrath
die einzelnen Landesregierungen selbständig die Beseitigung ihres Müuzumlaufs
hätten vornehmen müssen. Dadurch, daß der Reichstag die Leitung der Reform
in die Hunde der Zentralgewalt gab, ermöglichte er überhaupt erst die Durch¬
führung der Münzreform. Der Übergang zur Goldwährung, an sich und bei
einheitlicher Leitung schon schwierig genug, hätte niemals gelingen können,
wenn man es den Einzelstaaten überlassen hätte, für sich und jeder nach seinen
Kräften und seinem guten Willen auf die Goldwährung loszumarschieren.
Schließlich that der Reichstag, über die Bundesvvrlage hinaus, eiuen be¬
deutenden Schritt zur Goldwährung. Da man eingestandnermaßen allgemein
die Goldwährung wollte, so mußte man alle Maßregeln ergreifen, um sich
jetzt schon den Übergang zu ihr möglichst zu erleichtern. Der Bundesrat hatte
in dieser Hinsicht das Gesetz gegenüber dem Präsidialantrag schon bedeutend
verbessert, indem er den Goldmünzen an Stelle des vorgeschlagnen Kassen¬
kurses gesetzlichen Kurs gegeben hatte. Aber erst der Reichstag zog aus dem
Willen, zur Goldwährung überzugehn, die vollen Konsequenzen, indem er das
Verbot der weitern Silberprägung und die Ermächtigung zur Einziehung von
Landessilbermünzen in das Gesetz einschob, Bestimmungen, ohne welche sich die
Schwierigkeiten des unvermeidlichen Währnngswechsels noch erheblich vergrößert
hätten. Man mag heute zur Währungsfrage stehen, wie man will, in jedem
Falle wird man anerkennen müssen, daß der Reichstag das Beste an diesem
grundlegenden Gesetze geleistet hat. Er setzte sich mit kühnem Schwung über
die Bedächtigkeit und Engherzigkeit der Einzelregierungen und des Bundesrath
hinweg und gab vor allem dem deutschen Volke eine wirklich einheitliche Münz-
verfnsfung."

Oder vielmehr erst die Grundlage für eine solche. Denn das Gesetz hatte
eigentlich nur zwei neue Goldmünzen eingeführt, diese aber in den verschiednen
Landesmünzen tarifiert und die Landeswährungen selbst nicht angetastet; der
Norden rechnete nach wie vor nach Thalern, der Süden nach Gulden. Ebenso
wenig war die Goldwährung eingeführt. Die heutige Ordnung ward erst
durch das Gesetz vom 9. Juli 1873 geschaffen, dessen erster Artikel lautet:
"An die Stelle der in Deutschland geltenden Landeswährungen tritt die Neichs-
goldwährung. Ihre Nechnungseinheit bildet die Mark, wie solche durch s 2
des Gesetzes vom 4. Dezember 1871, betreffend die Ausprägung von Neichs-
goldmÜnzen, festgestellt wordeu ist." Diesem Gesetze stand die große Schwierig¬
keit im Wege, daß die neue Währung nicht süglich proklamiert werden konnte,
ehe der Verkehr mit den Münzen des neuen Systems ausreichend versorgt


deutliche Anklang an das Thalersystem war konsequent beseitigt. Die Münz¬
verfassung war zentralistisch geordnet, im Gegensatz zur Bundesvorlage. Von
höchster Wichtigkeit sür die Durchführung der Reform war, daß nach den Be¬
schlüssen des Reichstags die Landesmünzen von Reichs wegen und auf Reichs¬
kosten eingezogen werden sollten, während nach der Auffassung des Bundesrath
die einzelnen Landesregierungen selbständig die Beseitigung ihres Müuzumlaufs
hätten vornehmen müssen. Dadurch, daß der Reichstag die Leitung der Reform
in die Hunde der Zentralgewalt gab, ermöglichte er überhaupt erst die Durch¬
führung der Münzreform. Der Übergang zur Goldwährung, an sich und bei
einheitlicher Leitung schon schwierig genug, hätte niemals gelingen können,
wenn man es den Einzelstaaten überlassen hätte, für sich und jeder nach seinen
Kräften und seinem guten Willen auf die Goldwährung loszumarschieren.
Schließlich that der Reichstag, über die Bundesvvrlage hinaus, eiuen be¬
deutenden Schritt zur Goldwährung. Da man eingestandnermaßen allgemein
die Goldwährung wollte, so mußte man alle Maßregeln ergreifen, um sich
jetzt schon den Übergang zu ihr möglichst zu erleichtern. Der Bundesrat hatte
in dieser Hinsicht das Gesetz gegenüber dem Präsidialantrag schon bedeutend
verbessert, indem er den Goldmünzen an Stelle des vorgeschlagnen Kassen¬
kurses gesetzlichen Kurs gegeben hatte. Aber erst der Reichstag zog aus dem
Willen, zur Goldwährung überzugehn, die vollen Konsequenzen, indem er das
Verbot der weitern Silberprägung und die Ermächtigung zur Einziehung von
Landessilbermünzen in das Gesetz einschob, Bestimmungen, ohne welche sich die
Schwierigkeiten des unvermeidlichen Währnngswechsels noch erheblich vergrößert
hätten. Man mag heute zur Währungsfrage stehen, wie man will, in jedem
Falle wird man anerkennen müssen, daß der Reichstag das Beste an diesem
grundlegenden Gesetze geleistet hat. Er setzte sich mit kühnem Schwung über
die Bedächtigkeit und Engherzigkeit der Einzelregierungen und des Bundesrath
hinweg und gab vor allem dem deutschen Volke eine wirklich einheitliche Münz-
verfnsfung."

Oder vielmehr erst die Grundlage für eine solche. Denn das Gesetz hatte
eigentlich nur zwei neue Goldmünzen eingeführt, diese aber in den verschiednen
Landesmünzen tarifiert und die Landeswährungen selbst nicht angetastet; der
Norden rechnete nach wie vor nach Thalern, der Süden nach Gulden. Ebenso
wenig war die Goldwährung eingeführt. Die heutige Ordnung ward erst
durch das Gesetz vom 9. Juli 1873 geschaffen, dessen erster Artikel lautet:
„An die Stelle der in Deutschland geltenden Landeswährungen tritt die Neichs-
goldwährung. Ihre Nechnungseinheit bildet die Mark, wie solche durch s 2
des Gesetzes vom 4. Dezember 1871, betreffend die Ausprägung von Neichs-
goldmÜnzen, festgestellt wordeu ist." Diesem Gesetze stand die große Schwierig¬
keit im Wege, daß die neue Währung nicht süglich proklamiert werden konnte,
ehe der Verkehr mit den Münzen des neuen Systems ausreichend versorgt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/150>, abgerufen am 23.07.2024.