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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage
und nachdem hierauf die fürstlich Schaumburg-lippische Regierung die
Entscheidung des Bundesrath angerufen hat -- die Zuständigkeit des
Bundesrath zur Erledigung der Streitigkeit nach Artikel 76, Absatz 1
der Reichsverfassung begründet sei;
2. daß zur Zeit kein hinreichender Anlaß zu einer sachlichen Erledi¬
gung gegeben sei, da ein mit den Ansprüchen Schaumburg-Lippes un¬
vereinbarer Fall der Thronfolge oder Regentschaft in Lippe nicht vor¬
liege;
3. daß durch diesen Beschluß einer spätern Entscheidung über die
Wirksamkeit der Akte der lippischen Landesgesetzgebung gegenüber den
von Schaumburg-Lippe erhobnen Thronfolge- und Negentschaftsansprüchen
nicht vorgegriffen werde;
4. daß auf eine Würdigung aller weitern an den Bundesrat in
dieser Sache gelangten Anträge, Erklärungen und Schriftsätze nicht ein¬
zugehen sei."

Für jeden, der nicht das Scheuleder des Partikularismus oder der ein¬
seitigen Biesterfelder Interessenvertretung vor Augen hatte, kommt dieser Be¬
schluß in keiner Weise unerwartet. Er ist erfolgt, wie er nach Recht und Ver¬
fassung erfolgen mußte. Eine freudige Überraschung ist nur die große Mehr¬
heit: es sind nur zehn der achtundfunfzig Stimmen des Bundesrath (Preußen
hat bekanntlich siebzehn Stimmen) dagegen gewesen. Dagegen stimmten: Bayern
mit sechs, Meiningen, Reuß ä. L. und Lippe mit je einer Stimme. Ob die
zehnte Stimme die von Mecklenburg-Strelitz oder die von Schwarzburg-
Sondershausen ist, konnte ich bisher nicht feststellen. Noch erfreulicher ist es,
daß es gerade der König von Sachsen war, der für den Antrag Preußen, dem
eine knappe Majorität schon seit etwa zwei Monaten absolut gesichert war,
die Formulierung fand, die den damals noch bedenklichen Staaten die Zu¬
stimmung ermöglichte. Warum das als ein besonders glücklicher Umstand
angesehen werden muß, bedarf keiner nähern Ausführung.

Die Rechtsauffassung nun, die sich der Bundesrat nunmehr zu eigen ge¬
macht hat, ist von mir, in meiner Eigenschaft als Ratgeber des Schaumburg-
Lippischen Hauses für die Thronfvlgeangelegenheit, vom Sommer 1897 an
vertreten worden. Ich habe sie sodann in einem der Schaumburg-Lippischen
Regierung unter dem 28. Mürz 1898 erstatteten und von dieser dem Bundes¬
rate überreichten Gutachten niedergelegt und begründet. Ich habe sie endlich,
nachdem mir eine staatsrechtliche Autorität wie Zorn in einem gleichfalls dem
Bundesrate überreichten Gutachten vom 6. Juli in allen wesentlichen Punkten
zugestimmt hatte, in Gemeinschaft mit Zorn mit Nachdruck gegen die Angriffe
der Gegenseite, insbesondre eines der namhaftesten Staatsrechtslehrer, des Pro¬
fessors von Seydel in München, in der Presse und sonst (von Zorn erwähne
ich noch besonders das Gutachten vom 29. Oktober) verfochten.

Wenn ich daher im Nachfolgenden bei der Darlegung der Rechtsgründe,


Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage
und nachdem hierauf die fürstlich Schaumburg-lippische Regierung die
Entscheidung des Bundesrath angerufen hat — die Zuständigkeit des
Bundesrath zur Erledigung der Streitigkeit nach Artikel 76, Absatz 1
der Reichsverfassung begründet sei;
2. daß zur Zeit kein hinreichender Anlaß zu einer sachlichen Erledi¬
gung gegeben sei, da ein mit den Ansprüchen Schaumburg-Lippes un¬
vereinbarer Fall der Thronfolge oder Regentschaft in Lippe nicht vor¬
liege;
3. daß durch diesen Beschluß einer spätern Entscheidung über die
Wirksamkeit der Akte der lippischen Landesgesetzgebung gegenüber den
von Schaumburg-Lippe erhobnen Thronfolge- und Negentschaftsansprüchen
nicht vorgegriffen werde;
4. daß auf eine Würdigung aller weitern an den Bundesrat in
dieser Sache gelangten Anträge, Erklärungen und Schriftsätze nicht ein¬
zugehen sei."

Für jeden, der nicht das Scheuleder des Partikularismus oder der ein¬
seitigen Biesterfelder Interessenvertretung vor Augen hatte, kommt dieser Be¬
schluß in keiner Weise unerwartet. Er ist erfolgt, wie er nach Recht und Ver¬
fassung erfolgen mußte. Eine freudige Überraschung ist nur die große Mehr¬
heit: es sind nur zehn der achtundfunfzig Stimmen des Bundesrath (Preußen
hat bekanntlich siebzehn Stimmen) dagegen gewesen. Dagegen stimmten: Bayern
mit sechs, Meiningen, Reuß ä. L. und Lippe mit je einer Stimme. Ob die
zehnte Stimme die von Mecklenburg-Strelitz oder die von Schwarzburg-
Sondershausen ist, konnte ich bisher nicht feststellen. Noch erfreulicher ist es,
daß es gerade der König von Sachsen war, der für den Antrag Preußen, dem
eine knappe Majorität schon seit etwa zwei Monaten absolut gesichert war,
die Formulierung fand, die den damals noch bedenklichen Staaten die Zu¬
stimmung ermöglichte. Warum das als ein besonders glücklicher Umstand
angesehen werden muß, bedarf keiner nähern Ausführung.

Die Rechtsauffassung nun, die sich der Bundesrat nunmehr zu eigen ge¬
macht hat, ist von mir, in meiner Eigenschaft als Ratgeber des Schaumburg-
Lippischen Hauses für die Thronfvlgeangelegenheit, vom Sommer 1897 an
vertreten worden. Ich habe sie sodann in einem der Schaumburg-Lippischen
Regierung unter dem 28. Mürz 1898 erstatteten und von dieser dem Bundes¬
rate überreichten Gutachten niedergelegt und begründet. Ich habe sie endlich,
nachdem mir eine staatsrechtliche Autorität wie Zorn in einem gleichfalls dem
Bundesrate überreichten Gutachten vom 6. Juli in allen wesentlichen Punkten
zugestimmt hatte, in Gemeinschaft mit Zorn mit Nachdruck gegen die Angriffe
der Gegenseite, insbesondre eines der namhaftesten Staatsrechtslehrer, des Pro¬
fessors von Seydel in München, in der Presse und sonst (von Zorn erwähne
ich noch besonders das Gutachten vom 29. Oktober) verfochten.

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[0133] Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage und nachdem hierauf die fürstlich Schaumburg-lippische Regierung die Entscheidung des Bundesrath angerufen hat — die Zuständigkeit des Bundesrath zur Erledigung der Streitigkeit nach Artikel 76, Absatz 1 der Reichsverfassung begründet sei; 2. daß zur Zeit kein hinreichender Anlaß zu einer sachlichen Erledi¬ gung gegeben sei, da ein mit den Ansprüchen Schaumburg-Lippes un¬ vereinbarer Fall der Thronfolge oder Regentschaft in Lippe nicht vor¬ liege; 3. daß durch diesen Beschluß einer spätern Entscheidung über die Wirksamkeit der Akte der lippischen Landesgesetzgebung gegenüber den von Schaumburg-Lippe erhobnen Thronfolge- und Negentschaftsansprüchen nicht vorgegriffen werde; 4. daß auf eine Würdigung aller weitern an den Bundesrat in dieser Sache gelangten Anträge, Erklärungen und Schriftsätze nicht ein¬ zugehen sei." Für jeden, der nicht das Scheuleder des Partikularismus oder der ein¬ seitigen Biesterfelder Interessenvertretung vor Augen hatte, kommt dieser Be¬ schluß in keiner Weise unerwartet. Er ist erfolgt, wie er nach Recht und Ver¬ fassung erfolgen mußte. Eine freudige Überraschung ist nur die große Mehr¬ heit: es sind nur zehn der achtundfunfzig Stimmen des Bundesrath (Preußen hat bekanntlich siebzehn Stimmen) dagegen gewesen. Dagegen stimmten: Bayern mit sechs, Meiningen, Reuß ä. L. und Lippe mit je einer Stimme. Ob die zehnte Stimme die von Mecklenburg-Strelitz oder die von Schwarzburg- Sondershausen ist, konnte ich bisher nicht feststellen. Noch erfreulicher ist es, daß es gerade der König von Sachsen war, der für den Antrag Preußen, dem eine knappe Majorität schon seit etwa zwei Monaten absolut gesichert war, die Formulierung fand, die den damals noch bedenklichen Staaten die Zu¬ stimmung ermöglichte. Warum das als ein besonders glücklicher Umstand angesehen werden muß, bedarf keiner nähern Ausführung. Die Rechtsauffassung nun, die sich der Bundesrat nunmehr zu eigen ge¬ macht hat, ist von mir, in meiner Eigenschaft als Ratgeber des Schaumburg- Lippischen Hauses für die Thronfvlgeangelegenheit, vom Sommer 1897 an vertreten worden. Ich habe sie sodann in einem der Schaumburg-Lippischen Regierung unter dem 28. Mürz 1898 erstatteten und von dieser dem Bundes¬ rate überreichten Gutachten niedergelegt und begründet. Ich habe sie endlich, nachdem mir eine staatsrechtliche Autorität wie Zorn in einem gleichfalls dem Bundesrate überreichten Gutachten vom 6. Juli in allen wesentlichen Punkten zugestimmt hatte, in Gemeinschaft mit Zorn mit Nachdruck gegen die Angriffe der Gegenseite, insbesondre eines der namhaftesten Staatsrechtslehrer, des Pro¬ fessors von Seydel in München, in der Presse und sonst (von Zorn erwähne ich noch besonders das Gutachten vom 29. Oktober) verfochten. Wenn ich daher im Nachfolgenden bei der Darlegung der Rechtsgründe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/133>, abgerufen am 23.07.2024.