Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Der goldne Lngel thun mußte, und doch wurde er auch daneben dus Mitleid mit dem Vater nicht Freilich ging dieser Vater in seine Hexenküche zurück, sobald der letzte Bissen Karl half still und eifrig der Schwester beim Reinemachen, wie ers als Knabe Jsts nun uicht schön genug hier? fragte Karl, wir wollen uoch eine halbe Line ging mit, sie hatte mit dem Bruder zu rede" nud konnte deu Anfang Unten stand das Ding auf der Laubenbank, sang und band vorwitzige Bohnen¬ Sie kam gleich zu den Geschwistern und schob traulich ihre Hand in Lineus nett erzählte seit sechs Jahren den Geschwistern Städel alles, was sie dachte Wir wollen hinaufgehen, sagte Karl. Sofort erhob sich Line; es war doch besser, sie sah sein Gesicht, wenn sie Erstaunt folgte er der Schwester in das Vorderzimmer, an dem der Alkoven Setz dich doch, das geht nicht so schnell. Er setzte sich und sah die Schwester erwartungsvoll an. Was sollte denn Zwar während der letzten Frühjahrsübungen war ihm gewesen, als könnte er Der goldne Lngel thun mußte, und doch wurde er auch daneben dus Mitleid mit dem Vater nicht Freilich ging dieser Vater in seine Hexenküche zurück, sobald der letzte Bissen Karl half still und eifrig der Schwester beim Reinemachen, wie ers als Knabe Jsts nun uicht schön genug hier? fragte Karl, wir wollen uoch eine halbe Line ging mit, sie hatte mit dem Bruder zu rede» nud konnte deu Anfang Unten stand das Ding auf der Laubenbank, sang und band vorwitzige Bohnen¬ Sie kam gleich zu den Geschwistern und schob traulich ihre Hand in Lineus nett erzählte seit sechs Jahren den Geschwistern Städel alles, was sie dachte Wir wollen hinaufgehen, sagte Karl. Sofort erhob sich Line; es war doch besser, sie sah sein Gesicht, wenn sie Erstaunt folgte er der Schwester in das Vorderzimmer, an dem der Alkoven Setz dich doch, das geht nicht so schnell. Er setzte sich und sah die Schwester erwartungsvoll an. Was sollte denn Zwar während der letzten Frühjahrsübungen war ihm gewesen, als könnte er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229801"/> <fw type="header" place="top"> Der goldne Lngel</fw><lb/> <p xml:id="ID_405" prev="#ID_404"> thun mußte, und doch wurde er auch daneben dus Mitleid mit dem Vater nicht<lb/> los; er war doch nun einmal so und war doch ihr Vater.</p><lb/> <p xml:id="ID_406"> Freilich ging dieser Vater in seine Hexenküche zurück, sobald der letzte Bissen<lb/> genossen war; was sollte er auch bei den Kindern, wo er weder Teilnahme noch<lb/> Verständnis fand?</p><lb/> <p xml:id="ID_407"> Karl half still und eifrig der Schwester beim Reinemachen, wie ers als Knabe<lb/> gethan hatte, und sie ließ es geschehen. Sie hörten dnrch die offnen Thüren das<lb/> Lachen und Prahle» der heimgekehrten fünf Unter, darnach das gutmütige Donner¬<lb/> wetter des Vaters, das sie ius Bett scheuchte. Drauf wurde es still im Hofe, und<lb/> ein Weilchen spater hub das Ding in der Bohnenlanbe zu singen an: In einem<lb/> kühlen Gründe; Kommt ein Vögerl geflogen; Morgen muß ich fort von hier —<lb/> eins auf das andre.</p><lb/> <p xml:id="ID_408"> Jsts nun uicht schön genug hier? fragte Karl, wir wollen uoch eine halbe<lb/> Stunde hinunter gehn; komm, du brauchst Luft.</p><lb/> <p xml:id="ID_409"> Line ging mit, sie hatte mit dem Bruder zu rede» nud konnte deu Anfang<lb/> nicht finden. Vielleicht unten.</p><lb/> <p xml:id="ID_410"> Unten stand das Ding auf der Laubenbank, sang und band vorwitzige Bohnen¬<lb/> ranken fest.</p><lb/> <p xml:id="ID_411"> Sie kam gleich zu den Geschwistern und schob traulich ihre Hand in Lineus<lb/> Arm. Kommt mit in unsre Laube; Mutter trägt Wäsche aus, da haben wir alle<lb/> Platz. So! — denkt mal, meine Tauben haben ganz junge Täubchen, winzig klein<lb/> und nackt zum Erbarmen. Und vorhin kam ein großer Brief von der Muhme,<lb/> meiner Pate, wißt ihr, an die Mutter — dort liegt er, und was drin steht, ist<lb/> für mich — allemal wenn sie schreibt, und sowie Mutter kommt, wird er gelesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_412"> nett erzählte seit sechs Jahren den Geschwistern Städel alles, was sie dachte<lb/> und erlebte. Viel wars nicht, dafür aber auch alles, und als Mutter Flörke das<lb/> Ding mit hiueingenommen hatte, schien der Hof auf einmal tot und leer zu sein.<lb/> Nur der Drogueugeruch vom Apothekengcmg war noch da, und das Fenster der<lb/> Hexenküche starrte, ein Helles Viereck, drohend auf die Geschwister herab.</p><lb/> <p xml:id="ID_413"> Wir wollen hinaufgehen, sagte Karl.</p><lb/> <p xml:id="ID_414"> Sofort erhob sich Line; es war doch besser, sie sah sein Gesicht, wenn sie<lb/> ihren Vorschlag machte. Sie benutzten die tellerartige Gangtreppe, die gerade über<lb/> der Lattcnthür in die Höhe führte; fest trat Line auf, als sie an des Vaters Fenster<lb/> vorbeischritt: mochte es ihn zur Besinnung bringen. Dann schloß sie die Küchen¬<lb/> thür ab, brannte drinnen eine Kerze an und sagte zu dem Bruder, der sein Vä¬<lb/> terlichen suchte: Komm noch mit mir, ich muß endlich reden.</p><lb/> <p xml:id="ID_415"> Erstaunt folgte er der Schwester in das Vorderzimmer, an dem der Alkoven<lb/> lag, wo sie schlief. Wartend stand er in der Thür, aber sie redete noch immer<lb/> nicht, schloß erst das Fenster, zog die Vorhänge zu, stellte einen Stuhl gerade,<lb/> zupfte um der Tischdecke und schlang endlich die Hände ineinander, um sich zum<lb/> stillhalten zu zwingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_416"> Setz dich doch, das geht nicht so schnell.</p><lb/> <p xml:id="ID_417"> Er setzte sich und sah die Schwester erwartungsvoll an. Was sollte denn<lb/> das eigentlich werden? Sie sah aus, als liege ihr etwas auf der Seele, was<lb/> schlimm und schwer war — er wußte doch alles, was bei den Stadels drückte und<lb/> zwickte; er hatte sich hineingewachsen in den einundzwanzig Jahren seines Lebens<lb/> und war auch in der Soldatenzeit nicht darüber hinausgekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_418" next="#ID_419"> Zwar während der letzten Frühjahrsübungen war ihm gewesen, als könnte er<lb/> sich von dem Drucke der Heimat befreien, die Märsche strengten ihn nicht mehr an, er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Der goldne Lngel
thun mußte, und doch wurde er auch daneben dus Mitleid mit dem Vater nicht
los; er war doch nun einmal so und war doch ihr Vater.
Freilich ging dieser Vater in seine Hexenküche zurück, sobald der letzte Bissen
genossen war; was sollte er auch bei den Kindern, wo er weder Teilnahme noch
Verständnis fand?
Karl half still und eifrig der Schwester beim Reinemachen, wie ers als Knabe
gethan hatte, und sie ließ es geschehen. Sie hörten dnrch die offnen Thüren das
Lachen und Prahle» der heimgekehrten fünf Unter, darnach das gutmütige Donner¬
wetter des Vaters, das sie ius Bett scheuchte. Drauf wurde es still im Hofe, und
ein Weilchen spater hub das Ding in der Bohnenlanbe zu singen an: In einem
kühlen Gründe; Kommt ein Vögerl geflogen; Morgen muß ich fort von hier —
eins auf das andre.
Jsts nun uicht schön genug hier? fragte Karl, wir wollen uoch eine halbe
Stunde hinunter gehn; komm, du brauchst Luft.
Line ging mit, sie hatte mit dem Bruder zu rede» nud konnte deu Anfang
nicht finden. Vielleicht unten.
Unten stand das Ding auf der Laubenbank, sang und band vorwitzige Bohnen¬
ranken fest.
Sie kam gleich zu den Geschwistern und schob traulich ihre Hand in Lineus
Arm. Kommt mit in unsre Laube; Mutter trägt Wäsche aus, da haben wir alle
Platz. So! — denkt mal, meine Tauben haben ganz junge Täubchen, winzig klein
und nackt zum Erbarmen. Und vorhin kam ein großer Brief von der Muhme,
meiner Pate, wißt ihr, an die Mutter — dort liegt er, und was drin steht, ist
für mich — allemal wenn sie schreibt, und sowie Mutter kommt, wird er gelesen.
nett erzählte seit sechs Jahren den Geschwistern Städel alles, was sie dachte
und erlebte. Viel wars nicht, dafür aber auch alles, und als Mutter Flörke das
Ding mit hiueingenommen hatte, schien der Hof auf einmal tot und leer zu sein.
Nur der Drogueugeruch vom Apothekengcmg war noch da, und das Fenster der
Hexenküche starrte, ein Helles Viereck, drohend auf die Geschwister herab.
Wir wollen hinaufgehen, sagte Karl.
Sofort erhob sich Line; es war doch besser, sie sah sein Gesicht, wenn sie
ihren Vorschlag machte. Sie benutzten die tellerartige Gangtreppe, die gerade über
der Lattcnthür in die Höhe führte; fest trat Line auf, als sie an des Vaters Fenster
vorbeischritt: mochte es ihn zur Besinnung bringen. Dann schloß sie die Küchen¬
thür ab, brannte drinnen eine Kerze an und sagte zu dem Bruder, der sein Vä¬
terlichen suchte: Komm noch mit mir, ich muß endlich reden.
Erstaunt folgte er der Schwester in das Vorderzimmer, an dem der Alkoven
lag, wo sie schlief. Wartend stand er in der Thür, aber sie redete noch immer
nicht, schloß erst das Fenster, zog die Vorhänge zu, stellte einen Stuhl gerade,
zupfte um der Tischdecke und schlang endlich die Hände ineinander, um sich zum
stillhalten zu zwingen.
Setz dich doch, das geht nicht so schnell.
Er setzte sich und sah die Schwester erwartungsvoll an. Was sollte denn
das eigentlich werden? Sie sah aus, als liege ihr etwas auf der Seele, was
schlimm und schwer war — er wußte doch alles, was bei den Stadels drückte und
zwickte; er hatte sich hineingewachsen in den einundzwanzig Jahren seines Lebens
und war auch in der Soldatenzeit nicht darüber hinausgekommen.
Zwar während der letzten Frühjahrsübungen war ihm gewesen, als könnte er
sich von dem Drucke der Heimat befreien, die Märsche strengten ihn nicht mehr an, er
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |