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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Revolution, die sich sehen lassen konnte, fehlte nur noch eins: Barrikaden;
auch sie wurden besorgt. Die Garnison wurde gewechselt, an Stelle der Landes¬
kinder rückte Infanterie aus der Provinz Sachsen ein, und dahinter steckten offenbar
schwarze Pläne, die sofort durchkreuzt werden mußten. Im Nu wuchsen in allen
Gassen so viele Verhaue auf, daß das Bespicken der französisch-italienischen Grenze
mit Forts daneben ein Kinderspiel ist. Zum Blutvergießen kam es aber nicht,
General Roth von Schreckenstein verzichtete auf Sturm, als die Stadt durch Weg¬
räumen der künstlichen Hindernisse den Verkehr wieder freigab. Die Erhebung in
der Pfalz schürte jedoch die revolutionäre Stimmung im Hochsommer mächtig, und
ein Unternehmen gegen das Zeughaus zu Prüm hatte insofern ernstere Folgen, als
es zahlreiche junge Leute über die Grenzen trieb.

Um dieselbe Zeit hatte ich Gelegenheit, einem demokratischen Kongresse in
Berlin beizuwohnen. Dieser Kongreß sollte eine Art Gegenparlament zugleich gegen
die beiden Versammlungen in Frankfurt und in Berlin sein, die nicht revolutionär
genug vorgingen; deshalb versammelten sich dort die meisten radikalen Führer.
Man sah dort allbekannte Veteranen, die aus den meisten Ländern Europas Ver¬
trieben und, nach damaligem Brauche, zuletzt zwangsweise uach Amerika geschafft
worden waren, wie Georg Fein, der schon an dem Freischareuzuge gegen den
Sonderbund und an der Gründung der Arbeitervereine in der Schweiz teilge¬
nommen hatte und als erster Präsident des Kongresses die stürmische Versammlung
ermahnte zu bedenken, daß sie nicht in der Paulskirche sei; ferner Wilhelm Weit¬
ling, den Schneider, Kommunistenhäuptling und Verfasser von Lehrbüchern des
Kommunismus (Garantien der Harmonie und Freiheit usw.); da waren Arnold
Rüge, Gottfried Kinkel, damals ein auffallend schöner Mann, der seine kränklich
aussehende Egeria Johanna am Arme führte, Otto von Corvin-Wiersbitzky (später
Oberst in Rastatt und endlich in der llnivnsarmce), der Lokomvtivenheld, der ge¬
heimer Beziehungen zur Polizei verdächtigt wurde, Schlüssel, der von Stieber ent¬
deckte Anstifter der großen Verschwörung im Hirschberger Thale, der Arzt D'Ester,
Bamberger, Oppenheim, Virchow, der sogenannte Berliner Korrespondent aller
demokratischen Blätter, Eduard Mev.er, und viele andre damalige Berühmtheiten.
Demokraten behauptete" sie alle zu sein, aber schon die hier aufgezählten Namen
ließen erwarten, daß sie nicht lange einig geblieben sein würden, wenn es zu einer
Probe gekommen wäre. Den größten Erfolg hatte ein Neuling, Moses Mny, der
sich fünf Jahre nachher im Stäbe des Prinzen von Augustenburg in .Kiel einen
Namen machte, dann als süddeutscher Demokrat und schließlich an der Wiener
Börse gesehen worden ist. Er ist der Autor zweier oft zitierter Aussprüche: Die
soziale Frage muß gelöst werden, sollten wir auch die ganze Nacht aufbleiben, und:
Wir müssen den Deutschen Bund an seiner eignen Schmach und Schande zu Grunde
gehen lassen! Ob dieser letzte Antrag zur Abstimmung gebracht wurde, weiß ich
nicht mehr zu sagen.




Grenzboten I 18N!>14

Zur Revolution, die sich sehen lassen konnte, fehlte nur noch eins: Barrikaden;
auch sie wurden besorgt. Die Garnison wurde gewechselt, an Stelle der Landes¬
kinder rückte Infanterie aus der Provinz Sachsen ein, und dahinter steckten offenbar
schwarze Pläne, die sofort durchkreuzt werden mußten. Im Nu wuchsen in allen
Gassen so viele Verhaue auf, daß das Bespicken der französisch-italienischen Grenze
mit Forts daneben ein Kinderspiel ist. Zum Blutvergießen kam es aber nicht,
General Roth von Schreckenstein verzichtete auf Sturm, als die Stadt durch Weg¬
räumen der künstlichen Hindernisse den Verkehr wieder freigab. Die Erhebung in
der Pfalz schürte jedoch die revolutionäre Stimmung im Hochsommer mächtig, und
ein Unternehmen gegen das Zeughaus zu Prüm hatte insofern ernstere Folgen, als
es zahlreiche junge Leute über die Grenzen trieb.

Um dieselbe Zeit hatte ich Gelegenheit, einem demokratischen Kongresse in
Berlin beizuwohnen. Dieser Kongreß sollte eine Art Gegenparlament zugleich gegen
die beiden Versammlungen in Frankfurt und in Berlin sein, die nicht revolutionär
genug vorgingen; deshalb versammelten sich dort die meisten radikalen Führer.
Man sah dort allbekannte Veteranen, die aus den meisten Ländern Europas Ver¬
trieben und, nach damaligem Brauche, zuletzt zwangsweise uach Amerika geschafft
worden waren, wie Georg Fein, der schon an dem Freischareuzuge gegen den
Sonderbund und an der Gründung der Arbeitervereine in der Schweiz teilge¬
nommen hatte und als erster Präsident des Kongresses die stürmische Versammlung
ermahnte zu bedenken, daß sie nicht in der Paulskirche sei; ferner Wilhelm Weit¬
ling, den Schneider, Kommunistenhäuptling und Verfasser von Lehrbüchern des
Kommunismus (Garantien der Harmonie und Freiheit usw.); da waren Arnold
Rüge, Gottfried Kinkel, damals ein auffallend schöner Mann, der seine kränklich
aussehende Egeria Johanna am Arme führte, Otto von Corvin-Wiersbitzky (später
Oberst in Rastatt und endlich in der llnivnsarmce), der Lokomvtivenheld, der ge¬
heimer Beziehungen zur Polizei verdächtigt wurde, Schlüssel, der von Stieber ent¬
deckte Anstifter der großen Verschwörung im Hirschberger Thale, der Arzt D'Ester,
Bamberger, Oppenheim, Virchow, der sogenannte Berliner Korrespondent aller
demokratischen Blätter, Eduard Mev.er, und viele andre damalige Berühmtheiten.
Demokraten behauptete» sie alle zu sein, aber schon die hier aufgezählten Namen
ließen erwarten, daß sie nicht lange einig geblieben sein würden, wenn es zu einer
Probe gekommen wäre. Den größten Erfolg hatte ein Neuling, Moses Mny, der
sich fünf Jahre nachher im Stäbe des Prinzen von Augustenburg in .Kiel einen
Namen machte, dann als süddeutscher Demokrat und schließlich an der Wiener
Börse gesehen worden ist. Er ist der Autor zweier oft zitierter Aussprüche: Die
soziale Frage muß gelöst werden, sollten wir auch die ganze Nacht aufbleiben, und:
Wir müssen den Deutschen Bund an seiner eignen Schmach und Schande zu Grunde
gehen lassen! Ob dieser letzte Antrag zur Abstimmung gebracht wurde, weiß ich
nicht mehr zu sagen.




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[0113] Zur Revolution, die sich sehen lassen konnte, fehlte nur noch eins: Barrikaden; auch sie wurden besorgt. Die Garnison wurde gewechselt, an Stelle der Landes¬ kinder rückte Infanterie aus der Provinz Sachsen ein, und dahinter steckten offenbar schwarze Pläne, die sofort durchkreuzt werden mußten. Im Nu wuchsen in allen Gassen so viele Verhaue auf, daß das Bespicken der französisch-italienischen Grenze mit Forts daneben ein Kinderspiel ist. Zum Blutvergießen kam es aber nicht, General Roth von Schreckenstein verzichtete auf Sturm, als die Stadt durch Weg¬ räumen der künstlichen Hindernisse den Verkehr wieder freigab. Die Erhebung in der Pfalz schürte jedoch die revolutionäre Stimmung im Hochsommer mächtig, und ein Unternehmen gegen das Zeughaus zu Prüm hatte insofern ernstere Folgen, als es zahlreiche junge Leute über die Grenzen trieb. Um dieselbe Zeit hatte ich Gelegenheit, einem demokratischen Kongresse in Berlin beizuwohnen. Dieser Kongreß sollte eine Art Gegenparlament zugleich gegen die beiden Versammlungen in Frankfurt und in Berlin sein, die nicht revolutionär genug vorgingen; deshalb versammelten sich dort die meisten radikalen Führer. Man sah dort allbekannte Veteranen, die aus den meisten Ländern Europas Ver¬ trieben und, nach damaligem Brauche, zuletzt zwangsweise uach Amerika geschafft worden waren, wie Georg Fein, der schon an dem Freischareuzuge gegen den Sonderbund und an der Gründung der Arbeitervereine in der Schweiz teilge¬ nommen hatte und als erster Präsident des Kongresses die stürmische Versammlung ermahnte zu bedenken, daß sie nicht in der Paulskirche sei; ferner Wilhelm Weit¬ ling, den Schneider, Kommunistenhäuptling und Verfasser von Lehrbüchern des Kommunismus (Garantien der Harmonie und Freiheit usw.); da waren Arnold Rüge, Gottfried Kinkel, damals ein auffallend schöner Mann, der seine kränklich aussehende Egeria Johanna am Arme führte, Otto von Corvin-Wiersbitzky (später Oberst in Rastatt und endlich in der llnivnsarmce), der Lokomvtivenheld, der ge¬ heimer Beziehungen zur Polizei verdächtigt wurde, Schlüssel, der von Stieber ent¬ deckte Anstifter der großen Verschwörung im Hirschberger Thale, der Arzt D'Ester, Bamberger, Oppenheim, Virchow, der sogenannte Berliner Korrespondent aller demokratischen Blätter, Eduard Mev.er, und viele andre damalige Berühmtheiten. Demokraten behauptete» sie alle zu sein, aber schon die hier aufgezählten Namen ließen erwarten, daß sie nicht lange einig geblieben sein würden, wenn es zu einer Probe gekommen wäre. Den größten Erfolg hatte ein Neuling, Moses Mny, der sich fünf Jahre nachher im Stäbe des Prinzen von Augustenburg in .Kiel einen Namen machte, dann als süddeutscher Demokrat und schließlich an der Wiener Börse gesehen worden ist. Er ist der Autor zweier oft zitierter Aussprüche: Die soziale Frage muß gelöst werden, sollten wir auch die ganze Nacht aufbleiben, und: Wir müssen den Deutschen Bund an seiner eignen Schmach und Schande zu Grunde gehen lassen! Ob dieser letzte Antrag zur Abstimmung gebracht wurde, weiß ich nicht mehr zu sagen. Grenzboten I 18N!>14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/113>, abgerufen am 23.07.2024.