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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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behalten werden. Nur müßten an einigen Stellen, namentlich in der ersten
Sopranarie, die Ausdrücke geändert und ein paar neue, feinere Lesarten ein¬
geführt werden. Außerdem könnte die Arie "Dein Wachstum" wegfallen,
vielleicht auch die Arie "Das ist galant" mit dem dazugehörigen Rezitativ. Die
niedliche Kette von kleinen volkstümlichen Gesängen, aus denen diese merk¬
würdige Kantate hauptsächlich besteht, wird besser nur einmal von einer längern,
kunstvollem Arie, nämlich der Sopranarie "Kleinzschocher müsse," unterbrochen.


Alfred Heil


Lenectus lo^u^x
Plaudereien eines alten Deutschen 9

is Reisender in fremden Ländern wird man wohl nur selten Ge¬
legenheit haben, zu beobachten, wie weit sich zwischen Angehörigen
verschiednen Stammes, die in einem Staatswesen vereinigt leben,
altererbte Abneigung forterhalten hat. Daß selbst in einem so
zentralisierten Staate wie Frankreich die Verschmelzung der Gallier,
Normannen, Vlamen, Provenzalen usw. keineswegs gänzlich gelungen
ist, wissen wir. Die Bewohner Italiens haben mit großer Energie und zum Teil
mit großer Entsagung ihre Selbständigkeit der Einheit zum Opfer gebracht; trotz¬
dem lassen sich aber noch die alten Grenzen in dem Verhalten der Nachbarn zu
einander verfolgen, wie z. B. zwischen den einst so bedeutenden Städten des
venetianischen Festlandes und dem Mailändischen. Auch bei einem Aufenthalt
in Wales fiel mir gleich anfangs auf, daß sich Angelsachsen und Walliser auch heute
noch nicht als ein Volk fühlen. Eine Zeitungsverkänferin gab auf die Frage nach einem
Blatte in der Landessprache in geradezu verächtlichem Tone die Autwort, dergleichen
führe sie nicht. Und die hübsche walliser Wirtstochter, die mit sehr angenehmer
Stimme deutsche Musik vortrug, nahm die Bemerkung, ich hätte Mozart, Mendels¬
sohn usw. in England nicht so verbreitet geglaubt, mit Lachen auf. "Ja, die Eng¬
länder, was wissen die von Musik!" Und ähnlichen kleinen Zügen bin ich mehr¬
fach begegnet. Da in allen solchen Fällen nicht gleich auf Partikularistische oder
gar separatistische Bestrebungen geschlossen werden darf, so brauchen wir auch das
gelegentliche Grollen und Nörgeln deutscher Gebietsuachbaru nicht zu ernst zu
nehmen. Aber von Interesse war es mir jederzeit, zu erkennen, wie geringfügige
Ursachen oft die Gereiztheit nähren, und wie gerade solche durch Generationen im
Gedächtnis haften.

Im Königreich Sachsen war man noch in den vierziger Jahren sehr geneigt,
Preußen als den habgierigen, gewaltthntigeu Emporkömmling zu hassen und auf
Wiedervergeltung zu rechnen. Nicht umsonst Pflegte man noch einen Napolevukultus,
und wenn junge Leute die Gelegenheit vom Zaune brachen, um zu versichern,


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behalten werden. Nur müßten an einigen Stellen, namentlich in der ersten
Sopranarie, die Ausdrücke geändert und ein paar neue, feinere Lesarten ein¬
geführt werden. Außerdem könnte die Arie „Dein Wachstum" wegfallen,
vielleicht auch die Arie „Das ist galant" mit dem dazugehörigen Rezitativ. Die
niedliche Kette von kleinen volkstümlichen Gesängen, aus denen diese merk¬
würdige Kantate hauptsächlich besteht, wird besser nur einmal von einer längern,
kunstvollem Arie, nämlich der Sopranarie „Kleinzschocher müsse," unterbrochen.


Alfred Heil


Lenectus lo^u^x
Plaudereien eines alten Deutschen 9

is Reisender in fremden Ländern wird man wohl nur selten Ge¬
legenheit haben, zu beobachten, wie weit sich zwischen Angehörigen
verschiednen Stammes, die in einem Staatswesen vereinigt leben,
altererbte Abneigung forterhalten hat. Daß selbst in einem so
zentralisierten Staate wie Frankreich die Verschmelzung der Gallier,
Normannen, Vlamen, Provenzalen usw. keineswegs gänzlich gelungen
ist, wissen wir. Die Bewohner Italiens haben mit großer Energie und zum Teil
mit großer Entsagung ihre Selbständigkeit der Einheit zum Opfer gebracht; trotz¬
dem lassen sich aber noch die alten Grenzen in dem Verhalten der Nachbarn zu
einander verfolgen, wie z. B. zwischen den einst so bedeutenden Städten des
venetianischen Festlandes und dem Mailändischen. Auch bei einem Aufenthalt
in Wales fiel mir gleich anfangs auf, daß sich Angelsachsen und Walliser auch heute
noch nicht als ein Volk fühlen. Eine Zeitungsverkänferin gab auf die Frage nach einem
Blatte in der Landessprache in geradezu verächtlichem Tone die Autwort, dergleichen
führe sie nicht. Und die hübsche walliser Wirtstochter, die mit sehr angenehmer
Stimme deutsche Musik vortrug, nahm die Bemerkung, ich hätte Mozart, Mendels¬
sohn usw. in England nicht so verbreitet geglaubt, mit Lachen auf. „Ja, die Eng¬
länder, was wissen die von Musik!" Und ähnlichen kleinen Zügen bin ich mehr¬
fach begegnet. Da in allen solchen Fällen nicht gleich auf Partikularistische oder
gar separatistische Bestrebungen geschlossen werden darf, so brauchen wir auch das
gelegentliche Grollen und Nörgeln deutscher Gebietsuachbaru nicht zu ernst zu
nehmen. Aber von Interesse war es mir jederzeit, zu erkennen, wie geringfügige
Ursachen oft die Gereiztheit nähren, und wie gerade solche durch Generationen im
Gedächtnis haften.

Im Königreich Sachsen war man noch in den vierziger Jahren sehr geneigt,
Preußen als den habgierigen, gewaltthntigeu Emporkömmling zu hassen und auf
Wiedervergeltung zu rechnen. Nicht umsonst Pflegte man noch einen Napolevukultus,
und wenn junge Leute die Gelegenheit vom Zaune brachen, um zu versichern,


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[0108] iZlluevtui, Jo<iuax behalten werden. Nur müßten an einigen Stellen, namentlich in der ersten Sopranarie, die Ausdrücke geändert und ein paar neue, feinere Lesarten ein¬ geführt werden. Außerdem könnte die Arie „Dein Wachstum" wegfallen, vielleicht auch die Arie „Das ist galant" mit dem dazugehörigen Rezitativ. Die niedliche Kette von kleinen volkstümlichen Gesängen, aus denen diese merk¬ würdige Kantate hauptsächlich besteht, wird besser nur einmal von einer längern, kunstvollem Arie, nämlich der Sopranarie „Kleinzschocher müsse," unterbrochen. Alfred Heil Lenectus lo^u^x Plaudereien eines alten Deutschen 9 is Reisender in fremden Ländern wird man wohl nur selten Ge¬ legenheit haben, zu beobachten, wie weit sich zwischen Angehörigen verschiednen Stammes, die in einem Staatswesen vereinigt leben, altererbte Abneigung forterhalten hat. Daß selbst in einem so zentralisierten Staate wie Frankreich die Verschmelzung der Gallier, Normannen, Vlamen, Provenzalen usw. keineswegs gänzlich gelungen ist, wissen wir. Die Bewohner Italiens haben mit großer Energie und zum Teil mit großer Entsagung ihre Selbständigkeit der Einheit zum Opfer gebracht; trotz¬ dem lassen sich aber noch die alten Grenzen in dem Verhalten der Nachbarn zu einander verfolgen, wie z. B. zwischen den einst so bedeutenden Städten des venetianischen Festlandes und dem Mailändischen. Auch bei einem Aufenthalt in Wales fiel mir gleich anfangs auf, daß sich Angelsachsen und Walliser auch heute noch nicht als ein Volk fühlen. Eine Zeitungsverkänferin gab auf die Frage nach einem Blatte in der Landessprache in geradezu verächtlichem Tone die Autwort, dergleichen führe sie nicht. Und die hübsche walliser Wirtstochter, die mit sehr angenehmer Stimme deutsche Musik vortrug, nahm die Bemerkung, ich hätte Mozart, Mendels¬ sohn usw. in England nicht so verbreitet geglaubt, mit Lachen auf. „Ja, die Eng¬ länder, was wissen die von Musik!" Und ähnlichen kleinen Zügen bin ich mehr¬ fach begegnet. Da in allen solchen Fällen nicht gleich auf Partikularistische oder gar separatistische Bestrebungen geschlossen werden darf, so brauchen wir auch das gelegentliche Grollen und Nörgeln deutscher Gebietsuachbaru nicht zu ernst zu nehmen. Aber von Interesse war es mir jederzeit, zu erkennen, wie geringfügige Ursachen oft die Gereiztheit nähren, und wie gerade solche durch Generationen im Gedächtnis haften. Im Königreich Sachsen war man noch in den vierziger Jahren sehr geneigt, Preußen als den habgierigen, gewaltthntigeu Emporkömmling zu hassen und auf Wiedervergeltung zu rechnen. Nicht umsonst Pflegte man noch einen Napolevukultus, und wenn junge Leute die Gelegenheit vom Zaune brachen, um zu versichern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/108>, abgerufen am 23.07.2024.