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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Lachs weltliche Kantaten

der Entwurf ist oft recht geschickt, und manche Stelle leidet nur unter vor¬
gefaßten Antipathien, die auf den zufälligen Geschmack einzelner Beurteiler
zurückgehen und sich unrechtmäßig weiterverbreitet haben.

Selbst Spitta, dessen große Bachbiographie überall die beste und reichste
Belehrung bietet, wird der dramatischen Kammermusik des Meisters nicht ganz
gerecht. Spitta hält Werke wie den "Zufriedengestellten Aotus," obgleich er
ihnen natürlich Gehalt und Reiz zuerkennt, für keine Muster der Gattung.
Er meint, Bach biete zu starke Mittel auf, er werde zu gewichtig, die leicht
spielenden Empfindungen würden ins Schwere und Pathetische, das Komische
ins Groteske gezogen. Gartenpavillons schmücke man nicht mit Kirchtürmen.
Das Gebaren des Aotus eigne sich mehr für eine blutige Tragödie als für
ein heiteres Gartenfest. Auch die Kantate von der Vergnügsamteit, ein Stück
edelster Hausmusik, ein Werk von seelenvollem, rührendem Ausdruck, kommt
zu ungünstig weg. Die Musik, heißt es, sei von behaglicher Tüchtigkeit und
nichts mehr. "Daß sich Bach bewogen fühlte, den philisterhaft geschwätzigen
Text nur zu komponieren, charakterisiert den Manu, für dessen häuslichen Bürger¬
sinn bei aller erreichten Kunstgröße und trotz aller ihm von Fürsten und
Großen erwiesenen Ehren die gemütvolle Ruhe der Familie doch ihren höchsten
Wert behielt." Vortrefflich. Aber ist nicht der Text noch jetzt im ganzen
recht ansprechend? Sind nicht diese Arien mit ersichtlicher Hingebung kom¬
poniert und schon die Rezitative mit ihrer innigen Deklamation, ihren fein-
empfundncn und bedeutenden Wendungen etwas Köstliches? Bei der Kantate
"Was mir behagt" äußert Professor Todt: man könne über der Unmenge des
musikalisch Schönen wohl die Beziehung auf Herzog Christian von Weißenfels
vergessen. Im Gegenteil: wir wollen die Fürsten, denen ein Bach so zugethan
war, keineswegs vergessen. Wir wollen uns freuen, Kunstwerke zu gewinnen
und zu besitzen, in und mit denen ihr Andenken weiterlebt. Leopold von
Anhalt-Köthen ist hier nicht der einzige, wenn auch wohl der edelste und der
würdigste. Wie man bei der "Trauerode" nichts besseres thun kann, als im
wesentliche" alles zu lassen, wie es von vornherein war, sodaß sich mit dem
Kunstgenuß die pietätvolle Erinnerung an die glaubenstreue Kurfürstin Christiane
Eberhardine verbindet, so empfiehlt es sich, auch bei der andern Gelegenheits¬
musik an dem Original möglichst festzuhalten. Man erlebt ja auch sonst,
z. B. bei Mozart, daß Werke, die bisher trotz aller Umarbeitungen und Besse¬
rungen keinen rechten Eindruck macheu wollten, neuerdings "von allen Re-
touchen gesäubert" werden und nun auf einmal höchst wirkungsvoll sind.

Man wende das vor allem auf den schon erwähnten "Zufriedenge¬
stellten Aotus" an. Das Thema vom guten und bösen Wetter ist wirklich
nichts Geringfügiges. Wer es bei einer im Freien zu begehenden Feier für
nebensächlich oder ungeeignet hält, gleicht denen, die sich an den naiven Stellen
in der Odyssee und in Vossens "Luise" stoßen, wo vom Essen und Trinken


Lachs weltliche Kantaten

der Entwurf ist oft recht geschickt, und manche Stelle leidet nur unter vor¬
gefaßten Antipathien, die auf den zufälligen Geschmack einzelner Beurteiler
zurückgehen und sich unrechtmäßig weiterverbreitet haben.

Selbst Spitta, dessen große Bachbiographie überall die beste und reichste
Belehrung bietet, wird der dramatischen Kammermusik des Meisters nicht ganz
gerecht. Spitta hält Werke wie den „Zufriedengestellten Aotus," obgleich er
ihnen natürlich Gehalt und Reiz zuerkennt, für keine Muster der Gattung.
Er meint, Bach biete zu starke Mittel auf, er werde zu gewichtig, die leicht
spielenden Empfindungen würden ins Schwere und Pathetische, das Komische
ins Groteske gezogen. Gartenpavillons schmücke man nicht mit Kirchtürmen.
Das Gebaren des Aotus eigne sich mehr für eine blutige Tragödie als für
ein heiteres Gartenfest. Auch die Kantate von der Vergnügsamteit, ein Stück
edelster Hausmusik, ein Werk von seelenvollem, rührendem Ausdruck, kommt
zu ungünstig weg. Die Musik, heißt es, sei von behaglicher Tüchtigkeit und
nichts mehr. „Daß sich Bach bewogen fühlte, den philisterhaft geschwätzigen
Text nur zu komponieren, charakterisiert den Manu, für dessen häuslichen Bürger¬
sinn bei aller erreichten Kunstgröße und trotz aller ihm von Fürsten und
Großen erwiesenen Ehren die gemütvolle Ruhe der Familie doch ihren höchsten
Wert behielt." Vortrefflich. Aber ist nicht der Text noch jetzt im ganzen
recht ansprechend? Sind nicht diese Arien mit ersichtlicher Hingebung kom¬
poniert und schon die Rezitative mit ihrer innigen Deklamation, ihren fein-
empfundncn und bedeutenden Wendungen etwas Köstliches? Bei der Kantate
„Was mir behagt" äußert Professor Todt: man könne über der Unmenge des
musikalisch Schönen wohl die Beziehung auf Herzog Christian von Weißenfels
vergessen. Im Gegenteil: wir wollen die Fürsten, denen ein Bach so zugethan
war, keineswegs vergessen. Wir wollen uns freuen, Kunstwerke zu gewinnen
und zu besitzen, in und mit denen ihr Andenken weiterlebt. Leopold von
Anhalt-Köthen ist hier nicht der einzige, wenn auch wohl der edelste und der
würdigste. Wie man bei der „Trauerode" nichts besseres thun kann, als im
wesentliche» alles zu lassen, wie es von vornherein war, sodaß sich mit dem
Kunstgenuß die pietätvolle Erinnerung an die glaubenstreue Kurfürstin Christiane
Eberhardine verbindet, so empfiehlt es sich, auch bei der andern Gelegenheits¬
musik an dem Original möglichst festzuhalten. Man erlebt ja auch sonst,
z. B. bei Mozart, daß Werke, die bisher trotz aller Umarbeitungen und Besse¬
rungen keinen rechten Eindruck macheu wollten, neuerdings „von allen Re-
touchen gesäubert" werden und nun auf einmal höchst wirkungsvoll sind.

Man wende das vor allem auf den schon erwähnten „Zufriedenge¬
stellten Aotus" an. Das Thema vom guten und bösen Wetter ist wirklich
nichts Geringfügiges. Wer es bei einer im Freien zu begehenden Feier für
nebensächlich oder ungeeignet hält, gleicht denen, die sich an den naiven Stellen
in der Odyssee und in Vossens „Luise" stoßen, wo vom Essen und Trinken


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[0106] Lachs weltliche Kantaten der Entwurf ist oft recht geschickt, und manche Stelle leidet nur unter vor¬ gefaßten Antipathien, die auf den zufälligen Geschmack einzelner Beurteiler zurückgehen und sich unrechtmäßig weiterverbreitet haben. Selbst Spitta, dessen große Bachbiographie überall die beste und reichste Belehrung bietet, wird der dramatischen Kammermusik des Meisters nicht ganz gerecht. Spitta hält Werke wie den „Zufriedengestellten Aotus," obgleich er ihnen natürlich Gehalt und Reiz zuerkennt, für keine Muster der Gattung. Er meint, Bach biete zu starke Mittel auf, er werde zu gewichtig, die leicht spielenden Empfindungen würden ins Schwere und Pathetische, das Komische ins Groteske gezogen. Gartenpavillons schmücke man nicht mit Kirchtürmen. Das Gebaren des Aotus eigne sich mehr für eine blutige Tragödie als für ein heiteres Gartenfest. Auch die Kantate von der Vergnügsamteit, ein Stück edelster Hausmusik, ein Werk von seelenvollem, rührendem Ausdruck, kommt zu ungünstig weg. Die Musik, heißt es, sei von behaglicher Tüchtigkeit und nichts mehr. „Daß sich Bach bewogen fühlte, den philisterhaft geschwätzigen Text nur zu komponieren, charakterisiert den Manu, für dessen häuslichen Bürger¬ sinn bei aller erreichten Kunstgröße und trotz aller ihm von Fürsten und Großen erwiesenen Ehren die gemütvolle Ruhe der Familie doch ihren höchsten Wert behielt." Vortrefflich. Aber ist nicht der Text noch jetzt im ganzen recht ansprechend? Sind nicht diese Arien mit ersichtlicher Hingebung kom¬ poniert und schon die Rezitative mit ihrer innigen Deklamation, ihren fein- empfundncn und bedeutenden Wendungen etwas Köstliches? Bei der Kantate „Was mir behagt" äußert Professor Todt: man könne über der Unmenge des musikalisch Schönen wohl die Beziehung auf Herzog Christian von Weißenfels vergessen. Im Gegenteil: wir wollen die Fürsten, denen ein Bach so zugethan war, keineswegs vergessen. Wir wollen uns freuen, Kunstwerke zu gewinnen und zu besitzen, in und mit denen ihr Andenken weiterlebt. Leopold von Anhalt-Köthen ist hier nicht der einzige, wenn auch wohl der edelste und der würdigste. Wie man bei der „Trauerode" nichts besseres thun kann, als im wesentliche» alles zu lassen, wie es von vornherein war, sodaß sich mit dem Kunstgenuß die pietätvolle Erinnerung an die glaubenstreue Kurfürstin Christiane Eberhardine verbindet, so empfiehlt es sich, auch bei der andern Gelegenheits¬ musik an dem Original möglichst festzuhalten. Man erlebt ja auch sonst, z. B. bei Mozart, daß Werke, die bisher trotz aller Umarbeitungen und Besse¬ rungen keinen rechten Eindruck macheu wollten, neuerdings „von allen Re- touchen gesäubert" werden und nun auf einmal höchst wirkungsvoll sind. Man wende das vor allem auf den schon erwähnten „Zufriedenge¬ stellten Aotus" an. Das Thema vom guten und bösen Wetter ist wirklich nichts Geringfügiges. Wer es bei einer im Freien zu begehenden Feier für nebensächlich oder ungeeignet hält, gleicht denen, die sich an den naiven Stellen in der Odyssee und in Vossens „Luise" stoßen, wo vom Essen und Trinken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/106>, abgerufen am 23.07.2024.