Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Gerhart Hauptmann und sein Biograph anderm wegen des auch hier wieder ausgewühlten widerlichen Milieus; es ist ja Aus dem Bisherigen ist es schon zur Genüge klar geworden, daß man Gerhart Hauptmann und sein Biograph anderm wegen des auch hier wieder ausgewühlten widerlichen Milieus; es ist ja Aus dem Bisherigen ist es schon zur Genüge klar geworden, daß man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229788"/> <fw type="header" place="top"> Gerhart Hauptmann und sein Biograph</fw><lb/> <p xml:id="ID_367" prev="#ID_366"> anderm wegen des auch hier wieder ausgewühlten widerlichen Milieus; es ist ja<lb/> auch wenig erfreulich, zu sehen, wie ein anständiger, gebildeter Mensch und be¬<lb/> gabter Künstler durch die Macht des Alkohols in seiner niedrigsten Gestalt, dnrch<lb/> Schnapsgenuß, von Stufe zu Stufe sinkt, und zwar so, daß auch hier wieder<lb/> wie in „Einsame Menschen" aus Charakterschwäche kein ernsthaftes Ringen<lb/> gegen den feindlichen Dämon stattfindet. Andre sehen hierin aber trotz alledem<lb/> einen ehrlichen Ansatz zu einem ernsthaften Charakterdrama und heben hervor,<lb/> daß in dem Gegenbild zu dem verkommenden Maler Crampton, in der lieb¬<lb/> lichen Tochter und ihrem Bräutigam, endlich auch einmal eine positive Macht<lb/> gezeichnet ist, die gegen den zerstörenden Dämon mit unermüdlicher, suchender<lb/> Liebe ankämpft und zuletzt, so hoffe» wir, Erfolg haben wird. Daß wir es<lb/> nur hoffen, nicht siegesfreudig annehmen dürfen, ist allerdings wieder der alte<lb/> Fehler Hauptmanns. In dem Charakter seines Helden ist nichts vorgebildet<lb/> oder doch nicht genügend vorgebildet, daß unsre Zuversicht auf seine Rettung<lb/> durch die Liebe und durch eine behagliche Häuslichkeit stark genug wäre. Wenn<lb/> also Schlenther sagt, nur einem glücklichen Umstände wird es zu danken sein,<lb/> daß Crampton nicht ganz untergeht, so bezeichnet er den Mangel ganz richtig,<lb/> aber er giebt natürlich wieder nicht zu, daß dies ein Fehler des Werkes ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Aus dem Bisherigen ist es schon zur Genüge klar geworden, daß man<lb/> Schlenther kein Unrecht thut, wenn man ihn als Kritiker der Parteilichkeit<lb/> beschuldigt. Seine völlige Berechtigung findet dieser Vorwurf aber, wenn wir<lb/> sehen, daß er auch ein Loblied des „Biberpelzes" zu singen versucht. Seine<lb/> unbedeutenden Ausstellungen an dem verfehlten Stück versteckt er unter einem<lb/> Vergleich mit Kleists „Zerbrochnem Krug," den er dabei mit Recht eine der<lb/> besten Komödien der Weltlitteratur nennt. Geschickt versteht er die klaffenden<lb/> Unterschiede zu verdecken. Nur zuletzt muß er klein beigeben. Aber er weiß<lb/> sich zu helfen: nur keinen Stein auf die Komödie! „Daß die Spannung im<lb/> Laufe dieses köstlichen Genrebildes nachläßt, hat der Dichter zu verantworten.<lb/> Er hat dieselben Situationen zu oft wiederkehren lassen. Was wir schon beim<lb/> Holzdiebstahl erlebten, erleben wir beim Pelzdiebstahl noch einmal. Für den<lb/> Bestohlnen mag am Pelz mehr liegen als am Holz. Für unsre Seelenerkenntnis<lb/> ist das eine soviel wert wie das andre. Und so hatte Hauptmanns Stück bei<lb/> seiner ersten Berliner Bühnenaufführung mit größerm (also doch!) Recht das¬<lb/> selbe Schicksal, das ursprünglich auch Kleists Stück hatte. Es ermüdete auf<lb/> der Bühne. Der große Weimarer Dramaturg suchte dem dadurch abzuhelfen,<lb/> daß er die Handlung des »Zerbrochnen Kruges« in mehrere Akte zerriß und<lb/> so noch weniger befriedigte. Heute funden sich vielleicht Dramaturgen, die<lb/> den »Biberpelz« in einen oder zwei Akte zusammenziehen möchten. Auch sie<lb/> würden nur Undank ernten (das heißt doch also, es ist ihm nicht zu helfen!).<lb/> Man muß die Komödie nehmen, wie sie ist, und ihren Witz herausspüren.<lb/> Wem das nicht gelingt, darf sich mit keinem Geringern vertrösten, als mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Gerhart Hauptmann und sein Biograph
anderm wegen des auch hier wieder ausgewühlten widerlichen Milieus; es ist ja
auch wenig erfreulich, zu sehen, wie ein anständiger, gebildeter Mensch und be¬
gabter Künstler durch die Macht des Alkohols in seiner niedrigsten Gestalt, dnrch
Schnapsgenuß, von Stufe zu Stufe sinkt, und zwar so, daß auch hier wieder
wie in „Einsame Menschen" aus Charakterschwäche kein ernsthaftes Ringen
gegen den feindlichen Dämon stattfindet. Andre sehen hierin aber trotz alledem
einen ehrlichen Ansatz zu einem ernsthaften Charakterdrama und heben hervor,
daß in dem Gegenbild zu dem verkommenden Maler Crampton, in der lieb¬
lichen Tochter und ihrem Bräutigam, endlich auch einmal eine positive Macht
gezeichnet ist, die gegen den zerstörenden Dämon mit unermüdlicher, suchender
Liebe ankämpft und zuletzt, so hoffe» wir, Erfolg haben wird. Daß wir es
nur hoffen, nicht siegesfreudig annehmen dürfen, ist allerdings wieder der alte
Fehler Hauptmanns. In dem Charakter seines Helden ist nichts vorgebildet
oder doch nicht genügend vorgebildet, daß unsre Zuversicht auf seine Rettung
durch die Liebe und durch eine behagliche Häuslichkeit stark genug wäre. Wenn
also Schlenther sagt, nur einem glücklichen Umstände wird es zu danken sein,
daß Crampton nicht ganz untergeht, so bezeichnet er den Mangel ganz richtig,
aber er giebt natürlich wieder nicht zu, daß dies ein Fehler des Werkes ist.
Aus dem Bisherigen ist es schon zur Genüge klar geworden, daß man
Schlenther kein Unrecht thut, wenn man ihn als Kritiker der Parteilichkeit
beschuldigt. Seine völlige Berechtigung findet dieser Vorwurf aber, wenn wir
sehen, daß er auch ein Loblied des „Biberpelzes" zu singen versucht. Seine
unbedeutenden Ausstellungen an dem verfehlten Stück versteckt er unter einem
Vergleich mit Kleists „Zerbrochnem Krug," den er dabei mit Recht eine der
besten Komödien der Weltlitteratur nennt. Geschickt versteht er die klaffenden
Unterschiede zu verdecken. Nur zuletzt muß er klein beigeben. Aber er weiß
sich zu helfen: nur keinen Stein auf die Komödie! „Daß die Spannung im
Laufe dieses köstlichen Genrebildes nachläßt, hat der Dichter zu verantworten.
Er hat dieselben Situationen zu oft wiederkehren lassen. Was wir schon beim
Holzdiebstahl erlebten, erleben wir beim Pelzdiebstahl noch einmal. Für den
Bestohlnen mag am Pelz mehr liegen als am Holz. Für unsre Seelenerkenntnis
ist das eine soviel wert wie das andre. Und so hatte Hauptmanns Stück bei
seiner ersten Berliner Bühnenaufführung mit größerm (also doch!) Recht das¬
selbe Schicksal, das ursprünglich auch Kleists Stück hatte. Es ermüdete auf
der Bühne. Der große Weimarer Dramaturg suchte dem dadurch abzuhelfen,
daß er die Handlung des »Zerbrochnen Kruges« in mehrere Akte zerriß und
so noch weniger befriedigte. Heute funden sich vielleicht Dramaturgen, die
den »Biberpelz« in einen oder zwei Akte zusammenziehen möchten. Auch sie
würden nur Undank ernten (das heißt doch also, es ist ihm nicht zu helfen!).
Man muß die Komödie nehmen, wie sie ist, und ihren Witz herausspüren.
Wem das nicht gelingt, darf sich mit keinem Geringern vertrösten, als mit
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