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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Weltlage am Jahresanfang

Ergebnis aber reicht weit über den unmittelbaren Erfolg des Krieges hinaus,
weit über die Thatsache, daß zwei der größten Inseln der Antillen und dazu
die Philippinen in irgend welcher Form unter die Herrschaft der großen angel¬
sächsischen Republik gefallen sind. Mit diesen Erwerbungen auf beiden Halb¬
kugeln zugleich ist die Union räumlich und grundsätzlich über die bisher stets
festgehaltnen Grenzen ihrer Macht hinausgegangen. Sie hat, nur in gro߬
artigeren Maßstabe, genau denselben Schritt gethan, den das alte Rom that,
als es seine Heere gegen Karthago nach Sizilien sandte und damit die streng
kontinentale Politik verließ. Wie die antike Stadtrepublik damals den ersten
Schritt zur Weltherrschaft that, so hat jetzt die Union Beziehungen angeknüpft,
die sie unaufhaltsam in die Weltpolitik hineinreißen werden. Bis jetzt ohne
Nachbarn und deshalb fast ohne auswärtige Politik, ist sie jetzt in die Inter¬
essensphäre fast aller Großmächte eingetreten und dadurch ihr Nachbar ge¬
worden. Mit ihrer selbstzufriednem Isolierung ist es damit zu Ende. Sie
steht an dem entscheidendsten Wendepunkt ihrer Geschichte, sie muß eine Gro߬
macht, also eine Weltmacht werden. Heute ist sie das noch nicht, trotz der
ungeheuern Ausdehnung ihres Gebietes, trotz der 71 Millionen ihrer Bevöl¬
kerung, trotz ihrer unermeßlichen Hilfsquellen. Denn Kriege führt man nicht
allein mit Geld und Schiffen, sondern mit organisierten und geschulten mensch¬
lichen Streitlüsten, in letzter Instanz also mit sittlichen Kräften. Wenn die
Amerikaner jetzt mit ihren schwachen oder ungeschulten Soldtruppen (denn etwas
andres sind auch die sogenannten Freiwilligen nicht) einen leichten Erfolg über
ein gänzlich verlottertes Heerwesen erfochten haben, so ist das kein Beweis
dafür, daß sie mit solchen Kräften ihre neue Stellung behaupten können, und
sie wissen das auch, sie bereiten sich vor, eine große Flotte und eine für ihre
Verhältnisse große stehende Armee aufzustellen. Wie sich eine solche Organi¬
sation, die ohne einen starken militärischen Geist unmöglich ist, mit dieser sou¬
veränen Demokratie vertragen wird, wie dieses beständig wechselnde Beamtentum
ohne sachliche Schulung und ohne wirkliches Pflichtgefühl, diese von den zu¬
fälligen Mehrheiten des Kongresses abhängige Bundesgewalt den Anforderungen
einer großen, aktiven, verwickelten Politik gewachsen sein wird, die nicht
nur mit prahlerischer Worten und mit dem Ellenbogen, sondern mit kühl
abwägenden Verstände und mit Takt gemacht sein will, das vermag jetzt noch
kein Mensch zu sagen. Das aber kann man schon hente sagen: eine reine
Demokratie hat noch niemals eine Großmacht, eine, die es ist, auf die Dauer
geleitet. Die Zeit kann kommen, daß die Nordcunerilaner vor die Wahl gestellt
werden, ob sie eine Weltmacht oder eine Demokratie sein wollen.

Aber gleichviel: zunächst ist ihr Selbstbewußtsein und das des ganzen
Angelsachsentums gewaltig gestiegen. Die Engländer haben von Anfang an
die Erfolge ihrer Stammverwandten mit lebhaften Sympathien begleitet, offenbar
nicht nur deshalb, weil ihnen die Rücksicht auf Kanada verbot, die Empfind¬
lichkeit der Jankees zu reizen, sondern auch in dem unmittelbaren Gefühle


Die Weltlage am Jahresanfang

Ergebnis aber reicht weit über den unmittelbaren Erfolg des Krieges hinaus,
weit über die Thatsache, daß zwei der größten Inseln der Antillen und dazu
die Philippinen in irgend welcher Form unter die Herrschaft der großen angel¬
sächsischen Republik gefallen sind. Mit diesen Erwerbungen auf beiden Halb¬
kugeln zugleich ist die Union räumlich und grundsätzlich über die bisher stets
festgehaltnen Grenzen ihrer Macht hinausgegangen. Sie hat, nur in gro߬
artigeren Maßstabe, genau denselben Schritt gethan, den das alte Rom that,
als es seine Heere gegen Karthago nach Sizilien sandte und damit die streng
kontinentale Politik verließ. Wie die antike Stadtrepublik damals den ersten
Schritt zur Weltherrschaft that, so hat jetzt die Union Beziehungen angeknüpft,
die sie unaufhaltsam in die Weltpolitik hineinreißen werden. Bis jetzt ohne
Nachbarn und deshalb fast ohne auswärtige Politik, ist sie jetzt in die Inter¬
essensphäre fast aller Großmächte eingetreten und dadurch ihr Nachbar ge¬
worden. Mit ihrer selbstzufriednem Isolierung ist es damit zu Ende. Sie
steht an dem entscheidendsten Wendepunkt ihrer Geschichte, sie muß eine Gro߬
macht, also eine Weltmacht werden. Heute ist sie das noch nicht, trotz der
ungeheuern Ausdehnung ihres Gebietes, trotz der 71 Millionen ihrer Bevöl¬
kerung, trotz ihrer unermeßlichen Hilfsquellen. Denn Kriege führt man nicht
allein mit Geld und Schiffen, sondern mit organisierten und geschulten mensch¬
lichen Streitlüsten, in letzter Instanz also mit sittlichen Kräften. Wenn die
Amerikaner jetzt mit ihren schwachen oder ungeschulten Soldtruppen (denn etwas
andres sind auch die sogenannten Freiwilligen nicht) einen leichten Erfolg über
ein gänzlich verlottertes Heerwesen erfochten haben, so ist das kein Beweis
dafür, daß sie mit solchen Kräften ihre neue Stellung behaupten können, und
sie wissen das auch, sie bereiten sich vor, eine große Flotte und eine für ihre
Verhältnisse große stehende Armee aufzustellen. Wie sich eine solche Organi¬
sation, die ohne einen starken militärischen Geist unmöglich ist, mit dieser sou¬
veränen Demokratie vertragen wird, wie dieses beständig wechselnde Beamtentum
ohne sachliche Schulung und ohne wirkliches Pflichtgefühl, diese von den zu¬
fälligen Mehrheiten des Kongresses abhängige Bundesgewalt den Anforderungen
einer großen, aktiven, verwickelten Politik gewachsen sein wird, die nicht
nur mit prahlerischer Worten und mit dem Ellenbogen, sondern mit kühl
abwägenden Verstände und mit Takt gemacht sein will, das vermag jetzt noch
kein Mensch zu sagen. Das aber kann man schon hente sagen: eine reine
Demokratie hat noch niemals eine Großmacht, eine, die es ist, auf die Dauer
geleitet. Die Zeit kann kommen, daß die Nordcunerilaner vor die Wahl gestellt
werden, ob sie eine Weltmacht oder eine Demokratie sein wollen.

Aber gleichviel: zunächst ist ihr Selbstbewußtsein und das des ganzen
Angelsachsentums gewaltig gestiegen. Die Engländer haben von Anfang an
die Erfolge ihrer Stammverwandten mit lebhaften Sympathien begleitet, offenbar
nicht nur deshalb, weil ihnen die Rücksicht auf Kanada verbot, die Empfind¬
lichkeit der Jankees zu reizen, sondern auch in dem unmittelbaren Gefühle


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[0010] Die Weltlage am Jahresanfang Ergebnis aber reicht weit über den unmittelbaren Erfolg des Krieges hinaus, weit über die Thatsache, daß zwei der größten Inseln der Antillen und dazu die Philippinen in irgend welcher Form unter die Herrschaft der großen angel¬ sächsischen Republik gefallen sind. Mit diesen Erwerbungen auf beiden Halb¬ kugeln zugleich ist die Union räumlich und grundsätzlich über die bisher stets festgehaltnen Grenzen ihrer Macht hinausgegangen. Sie hat, nur in gro߬ artigeren Maßstabe, genau denselben Schritt gethan, den das alte Rom that, als es seine Heere gegen Karthago nach Sizilien sandte und damit die streng kontinentale Politik verließ. Wie die antike Stadtrepublik damals den ersten Schritt zur Weltherrschaft that, so hat jetzt die Union Beziehungen angeknüpft, die sie unaufhaltsam in die Weltpolitik hineinreißen werden. Bis jetzt ohne Nachbarn und deshalb fast ohne auswärtige Politik, ist sie jetzt in die Inter¬ essensphäre fast aller Großmächte eingetreten und dadurch ihr Nachbar ge¬ worden. Mit ihrer selbstzufriednem Isolierung ist es damit zu Ende. Sie steht an dem entscheidendsten Wendepunkt ihrer Geschichte, sie muß eine Gro߬ macht, also eine Weltmacht werden. Heute ist sie das noch nicht, trotz der ungeheuern Ausdehnung ihres Gebietes, trotz der 71 Millionen ihrer Bevöl¬ kerung, trotz ihrer unermeßlichen Hilfsquellen. Denn Kriege führt man nicht allein mit Geld und Schiffen, sondern mit organisierten und geschulten mensch¬ lichen Streitlüsten, in letzter Instanz also mit sittlichen Kräften. Wenn die Amerikaner jetzt mit ihren schwachen oder ungeschulten Soldtruppen (denn etwas andres sind auch die sogenannten Freiwilligen nicht) einen leichten Erfolg über ein gänzlich verlottertes Heerwesen erfochten haben, so ist das kein Beweis dafür, daß sie mit solchen Kräften ihre neue Stellung behaupten können, und sie wissen das auch, sie bereiten sich vor, eine große Flotte und eine für ihre Verhältnisse große stehende Armee aufzustellen. Wie sich eine solche Organi¬ sation, die ohne einen starken militärischen Geist unmöglich ist, mit dieser sou¬ veränen Demokratie vertragen wird, wie dieses beständig wechselnde Beamtentum ohne sachliche Schulung und ohne wirkliches Pflichtgefühl, diese von den zu¬ fälligen Mehrheiten des Kongresses abhängige Bundesgewalt den Anforderungen einer großen, aktiven, verwickelten Politik gewachsen sein wird, die nicht nur mit prahlerischer Worten und mit dem Ellenbogen, sondern mit kühl abwägenden Verstände und mit Takt gemacht sein will, das vermag jetzt noch kein Mensch zu sagen. Das aber kann man schon hente sagen: eine reine Demokratie hat noch niemals eine Großmacht, eine, die es ist, auf die Dauer geleitet. Die Zeit kann kommen, daß die Nordcunerilaner vor die Wahl gestellt werden, ob sie eine Weltmacht oder eine Demokratie sein wollen. Aber gleichviel: zunächst ist ihr Selbstbewußtsein und das des ganzen Angelsachsentums gewaltig gestiegen. Die Engländer haben von Anfang an die Erfolge ihrer Stammverwandten mit lebhaften Sympathien begleitet, offenbar nicht nur deshalb, weil ihnen die Rücksicht auf Kanada verbot, die Empfind¬ lichkeit der Jankees zu reizen, sondern auch in dem unmittelbaren Gefühle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/10>, abgerufen am 23.07.2024.