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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Ein Neulutheraner

welsch reden, beobachtet er "das stille Werden der Dinge, die langsam aber
sicher eine neue Blütezeit der Baukunst vorbereiten. Wir warten alle auf den
Meister, der das Eisen reden lehrt." Wir ebenfalls, aber bis jetzt vergeblich.
Wir wollen ihm aber auf das Gebiet der bildenden Kunst nicht weiter folgen,
er hat von ihr flüchtige Eindrücke aufgenommen und verarbeitet sie zu den
seltsamsten Schilderungen, in denen alles durcheinander wirbelt, was zu ordnen
und zurechtzustellen viel mehr Worte fordern würde, als der Leser Geduld
hätte, sie anzuhören. Man darf annehmen, daß sich auch die Modernen, für
die der Verfasser schreibt, über diese Dinge an sich, wenn darnach ihr Sinn
steht, lieber aus andern Büchern unterrichten werden. Aber er will daraus
auch die neue Zeit, die nächste Zukunft verstehen lehren, und dieser Lektion
müssen wir allerdings noch geduldig standhalten. Man nannte das früher
Philosophie der Geschichte.

(Schluß folgt)




Ein Neulutheraner

le erfrischend wirkt doch eine geschlossene
, sich selbst klare, kräftige
und vollkommen aufrichtige Persönlichkeit! Wenn man auch ihre
Welt- und Lebensauffassung nicht teilt, vielleicht sogar bekämpfen
muß, und ganz andern Zielen zustrebt als sie, hat man doch
seine Freude an ihr. Eine solche Persönlichkeit ist der dem
Namen nach unbekannte deutsche Geistliche in Nordamerika, dessen Aufzeich¬
nungen L. Rymarski unter dem Titel: Ephemeriden des Isch Schache-
feth. Aus dem Tagebuch eines Einsamen ausgewählt, vorm Jahre bei
C. Bertelsmann in Gütersloh in zwei Bänden herausgegeben hat. Isch
Schachefeth heißt Mann der Schwindsucht. Was bei diesem Namen zu denken
sei, will der Herausgeber der Einbildungskraft des Lesers zu erraten über¬
lasten. Aus den eingestreuten Gedichten sieht man, daß ihm seine heißgeliebte
junge Frau gestorben ist,*) und zwar, wie es scheint, in Deutschland, als er



Die Gedichte sind nicht durchweg tadellos in der Form, aber als Ausdruck starker
Und echter Empfindung wirkliche Poesie. Wohl die meisten, darunter sehr rührende und er¬
greifende, sind dem Andenken der Gattin gewidmet. Das folgende mag seiner Originalität
wegen als Probe hier stehen, obgleich ich es nicht gerade für das schönste halte.
Bescheidner Geschmack
Man lobt des Lieben, Schönen viel auf Erden,
Es wird so manchem manches teuer werden.
Ein Neulutheraner

welsch reden, beobachtet er „das stille Werden der Dinge, die langsam aber
sicher eine neue Blütezeit der Baukunst vorbereiten. Wir warten alle auf den
Meister, der das Eisen reden lehrt." Wir ebenfalls, aber bis jetzt vergeblich.
Wir wollen ihm aber auf das Gebiet der bildenden Kunst nicht weiter folgen,
er hat von ihr flüchtige Eindrücke aufgenommen und verarbeitet sie zu den
seltsamsten Schilderungen, in denen alles durcheinander wirbelt, was zu ordnen
und zurechtzustellen viel mehr Worte fordern würde, als der Leser Geduld
hätte, sie anzuhören. Man darf annehmen, daß sich auch die Modernen, für
die der Verfasser schreibt, über diese Dinge an sich, wenn darnach ihr Sinn
steht, lieber aus andern Büchern unterrichten werden. Aber er will daraus
auch die neue Zeit, die nächste Zukunft verstehen lehren, und dieser Lektion
müssen wir allerdings noch geduldig standhalten. Man nannte das früher
Philosophie der Geschichte.

(Schluß folgt)




Ein Neulutheraner

le erfrischend wirkt doch eine geschlossene
, sich selbst klare, kräftige
und vollkommen aufrichtige Persönlichkeit! Wenn man auch ihre
Welt- und Lebensauffassung nicht teilt, vielleicht sogar bekämpfen
muß, und ganz andern Zielen zustrebt als sie, hat man doch
seine Freude an ihr. Eine solche Persönlichkeit ist der dem
Namen nach unbekannte deutsche Geistliche in Nordamerika, dessen Aufzeich¬
nungen L. Rymarski unter dem Titel: Ephemeriden des Isch Schache-
feth. Aus dem Tagebuch eines Einsamen ausgewählt, vorm Jahre bei
C. Bertelsmann in Gütersloh in zwei Bänden herausgegeben hat. Isch
Schachefeth heißt Mann der Schwindsucht. Was bei diesem Namen zu denken
sei, will der Herausgeber der Einbildungskraft des Lesers zu erraten über¬
lasten. Aus den eingestreuten Gedichten sieht man, daß ihm seine heißgeliebte
junge Frau gestorben ist,*) und zwar, wie es scheint, in Deutschland, als er



Die Gedichte sind nicht durchweg tadellos in der Form, aber als Ausdruck starker
Und echter Empfindung wirkliche Poesie. Wohl die meisten, darunter sehr rührende und er¬
greifende, sind dem Andenken der Gattin gewidmet. Das folgende mag seiner Originalität
wegen als Probe hier stehen, obgleich ich es nicht gerade für das schönste halte.
Bescheidner Geschmack
Man lobt des Lieben, Schönen viel auf Erden,
Es wird so manchem manches teuer werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/98>, abgerufen am 04.07.2024.