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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche

Augen steht und geht, redet und schweigt, umarmt und küßt! Ja, ist denn
nun aber das, was Adam wenigstens als Epiker und Dramatiker that, Nach¬
ahmung oder nicht? und hätten seine Söhne denselben Eindruck gehabt, wenn
Adam, anstatt sich an die Wirklichkeit zu halten, ihnen einfach etwas vorge¬
jodelt oder vorgetanzt hätte, wodurch er ja seiner "Stimmung" sich genau so
vollständig hätte entladen können? Nun können wirs kurz machen. Der
Lehrsatz, daß es einzig und allein auf die Stimmung ankomme, daß sie nicht
bloß Triebfeder (was ja keiner leugnen will), sondern auch Inhalt der Kunst
sei, ist ja für die Modernen, die ächzenden und ächzenden Dichter oder die
kritzelnden und klecksenden Maler ungemein bequem, suggestiv könnte man sagen.
Aber den "andern," dem Publikum, für das doch die Kunst bestimmt ist, liegt
an der Stimmung, die der Künstler gehabt haben muß. verzweifelt wenig, es
will sie selbst haben, es fragt nach dem, was ist, nach einem Verhältnis des
Kunstwerks zu der Erfahrung, der Natur, dem Stoffe, und zur Bezeichnung
dieses Verhältnisses steht der Sprache kein andrer Begriff zu Gebote als der
des Nachcchmens, womit selbstverständlich unendliche Verschiedenheiten der Art
und des Grades bezeichnet werden können. Wenn z. B. L. von Hofmann oder
Franz Stuck durch ein paar bunte Farbenflecke einige dunkle Striche ziehen
und das Waldsee oder Abendfrieden nennen, so haben wir vielleicht kein Recht,
an der subjektiven Aufrichtigkeit ihrer künstlerischen Stimmung zu zweifeln,
denn auch zeichnende Kinder und Primitive meinen ja bestimmte Gegenstände
darzustellen. Damit aber von allen Übrigen diese Gegenstände für Bäume,
Wasser oder Himmel gehalten werden, müssen sie in einer unserm Wirklich¬
keitsbedürfnis entsprechenden Weise der Natur angenähert sein. Das ist so
gewiß, wie daß ein Pusterohr uur dann ein Pusterohr ist, wenn es ein
Loch hat.

Dieser Grundsatz von der Stimmung als Inhalt des Kunstschaffens ist
also praktisch wertlos, und da er falsch ist, auch als Gedankenspiel ohne weiteres
Interesse. Wir wollen nun einige von Steigers Ausführungen, die manchen
Zusagen werden, an uns vorüberziehen lassen. Musik sei ganz innerlich und
unsinnlich, sie stehe den bildenden Künsten wie Ich und Nicht-Ich in schroffsten
Gegensatze gegenüber, beide seien in einer Persönlichkeit unvereinbar. Hier hat
die kenntnislose Konstruktion alle historische Erfahrung übersprungen, der Ver¬
sasser weiß also nichts von den zahlreichen musikalischen Malern der italie¬
nischen Renaissance und der neuern Zeit. Hat er auch nie die Bekanntschaft
unes Malers gemacht, der ein Instrument spielte und sang? Mit größerm
Rechte könnte man vielleicht sagen: Musik und Malerei gehören zusammen,
oder kennt Steiger keine holländischen Bilder? Nach ihm soll der Architekt
die ganze Außenwelt seiner Kunst dem Ich entnehmen; Statik, Mechanik,
"atnrnachahmendes Ornament scheinen ihm also ganz unbekannte Größen zu
sein. Anstatt zu jammern, daß heutzutage die Steine ein buntscheckiges Kauder-


Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche

Augen steht und geht, redet und schweigt, umarmt und küßt! Ja, ist denn
nun aber das, was Adam wenigstens als Epiker und Dramatiker that, Nach¬
ahmung oder nicht? und hätten seine Söhne denselben Eindruck gehabt, wenn
Adam, anstatt sich an die Wirklichkeit zu halten, ihnen einfach etwas vorge¬
jodelt oder vorgetanzt hätte, wodurch er ja seiner „Stimmung" sich genau so
vollständig hätte entladen können? Nun können wirs kurz machen. Der
Lehrsatz, daß es einzig und allein auf die Stimmung ankomme, daß sie nicht
bloß Triebfeder (was ja keiner leugnen will), sondern auch Inhalt der Kunst
sei, ist ja für die Modernen, die ächzenden und ächzenden Dichter oder die
kritzelnden und klecksenden Maler ungemein bequem, suggestiv könnte man sagen.
Aber den „andern," dem Publikum, für das doch die Kunst bestimmt ist, liegt
an der Stimmung, die der Künstler gehabt haben muß. verzweifelt wenig, es
will sie selbst haben, es fragt nach dem, was ist, nach einem Verhältnis des
Kunstwerks zu der Erfahrung, der Natur, dem Stoffe, und zur Bezeichnung
dieses Verhältnisses steht der Sprache kein andrer Begriff zu Gebote als der
des Nachcchmens, womit selbstverständlich unendliche Verschiedenheiten der Art
und des Grades bezeichnet werden können. Wenn z. B. L. von Hofmann oder
Franz Stuck durch ein paar bunte Farbenflecke einige dunkle Striche ziehen
und das Waldsee oder Abendfrieden nennen, so haben wir vielleicht kein Recht,
an der subjektiven Aufrichtigkeit ihrer künstlerischen Stimmung zu zweifeln,
denn auch zeichnende Kinder und Primitive meinen ja bestimmte Gegenstände
darzustellen. Damit aber von allen Übrigen diese Gegenstände für Bäume,
Wasser oder Himmel gehalten werden, müssen sie in einer unserm Wirklich¬
keitsbedürfnis entsprechenden Weise der Natur angenähert sein. Das ist so
gewiß, wie daß ein Pusterohr uur dann ein Pusterohr ist, wenn es ein
Loch hat.

Dieser Grundsatz von der Stimmung als Inhalt des Kunstschaffens ist
also praktisch wertlos, und da er falsch ist, auch als Gedankenspiel ohne weiteres
Interesse. Wir wollen nun einige von Steigers Ausführungen, die manchen
Zusagen werden, an uns vorüberziehen lassen. Musik sei ganz innerlich und
unsinnlich, sie stehe den bildenden Künsten wie Ich und Nicht-Ich in schroffsten
Gegensatze gegenüber, beide seien in einer Persönlichkeit unvereinbar. Hier hat
die kenntnislose Konstruktion alle historische Erfahrung übersprungen, der Ver¬
sasser weiß also nichts von den zahlreichen musikalischen Malern der italie¬
nischen Renaissance und der neuern Zeit. Hat er auch nie die Bekanntschaft
unes Malers gemacht, der ein Instrument spielte und sang? Mit größerm
Rechte könnte man vielleicht sagen: Musik und Malerei gehören zusammen,
oder kennt Steiger keine holländischen Bilder? Nach ihm soll der Architekt
die ganze Außenwelt seiner Kunst dem Ich entnehmen; Statik, Mechanik,
"atnrnachahmendes Ornament scheinen ihm also ganz unbekannte Größen zu
sein. Anstatt zu jammern, daß heutzutage die Steine ein buntscheckiges Kauder-


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[0097] Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche Augen steht und geht, redet und schweigt, umarmt und küßt! Ja, ist denn nun aber das, was Adam wenigstens als Epiker und Dramatiker that, Nach¬ ahmung oder nicht? und hätten seine Söhne denselben Eindruck gehabt, wenn Adam, anstatt sich an die Wirklichkeit zu halten, ihnen einfach etwas vorge¬ jodelt oder vorgetanzt hätte, wodurch er ja seiner „Stimmung" sich genau so vollständig hätte entladen können? Nun können wirs kurz machen. Der Lehrsatz, daß es einzig und allein auf die Stimmung ankomme, daß sie nicht bloß Triebfeder (was ja keiner leugnen will), sondern auch Inhalt der Kunst sei, ist ja für die Modernen, die ächzenden und ächzenden Dichter oder die kritzelnden und klecksenden Maler ungemein bequem, suggestiv könnte man sagen. Aber den „andern," dem Publikum, für das doch die Kunst bestimmt ist, liegt an der Stimmung, die der Künstler gehabt haben muß. verzweifelt wenig, es will sie selbst haben, es fragt nach dem, was ist, nach einem Verhältnis des Kunstwerks zu der Erfahrung, der Natur, dem Stoffe, und zur Bezeichnung dieses Verhältnisses steht der Sprache kein andrer Begriff zu Gebote als der des Nachcchmens, womit selbstverständlich unendliche Verschiedenheiten der Art und des Grades bezeichnet werden können. Wenn z. B. L. von Hofmann oder Franz Stuck durch ein paar bunte Farbenflecke einige dunkle Striche ziehen und das Waldsee oder Abendfrieden nennen, so haben wir vielleicht kein Recht, an der subjektiven Aufrichtigkeit ihrer künstlerischen Stimmung zu zweifeln, denn auch zeichnende Kinder und Primitive meinen ja bestimmte Gegenstände darzustellen. Damit aber von allen Übrigen diese Gegenstände für Bäume, Wasser oder Himmel gehalten werden, müssen sie in einer unserm Wirklich¬ keitsbedürfnis entsprechenden Weise der Natur angenähert sein. Das ist so gewiß, wie daß ein Pusterohr uur dann ein Pusterohr ist, wenn es ein Loch hat. Dieser Grundsatz von der Stimmung als Inhalt des Kunstschaffens ist also praktisch wertlos, und da er falsch ist, auch als Gedankenspiel ohne weiteres Interesse. Wir wollen nun einige von Steigers Ausführungen, die manchen Zusagen werden, an uns vorüberziehen lassen. Musik sei ganz innerlich und unsinnlich, sie stehe den bildenden Künsten wie Ich und Nicht-Ich in schroffsten Gegensatze gegenüber, beide seien in einer Persönlichkeit unvereinbar. Hier hat die kenntnislose Konstruktion alle historische Erfahrung übersprungen, der Ver¬ sasser weiß also nichts von den zahlreichen musikalischen Malern der italie¬ nischen Renaissance und der neuern Zeit. Hat er auch nie die Bekanntschaft unes Malers gemacht, der ein Instrument spielte und sang? Mit größerm Rechte könnte man vielleicht sagen: Musik und Malerei gehören zusammen, oder kennt Steiger keine holländischen Bilder? Nach ihm soll der Architekt die ganze Außenwelt seiner Kunst dem Ich entnehmen; Statik, Mechanik, "atnrnachahmendes Ornament scheinen ihm also ganz unbekannte Größen zu sein. Anstatt zu jammern, daß heutzutage die Steine ein buntscheckiges Kauder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/97>, abgerufen am 04.07.2024.