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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Fürst Lichnowsky

paar hundert Schritte weit unter fast unglaublichen und doch wirklichen Mi߬
handlungen eines wahrhaft "vertierten" Haufens*) von zwanzig bis dreißig
Bewaffneten, der von einem Kerle mit einer Hellebarde angeführt wurde, und
in welchem sich auch -- ein Frauenzimmer, eine Zeitungsartikel im Sinne der
Linken schreibende Litteratin^) und fleißige ZuHörerin in der Paulskirche
befand!! Sie half, mit Worten anreizend, mit dem Regenschirme stoßend, den
Fürsten fortdrängen, schleppen, treiben, der sich vergebens darauf berief, daß
er es mit dem Volke wohl meine, daß er doch auch ein Deutscher sei. Ver¬
gebens waren die kniefälligen Bitten der Frau des Gärtners Schmidt, ver¬
gebens war auch die Fürsprache eines hinzugekommnen Arztes aus Bornheim.
Einige wollten den Gefangnen nach Hanau(!) geschleppt wissen, andre, und
namentlich der Anführer, bestanden auf seinem Tod: er sei ein Bluthund, an
allem schuld usw., Verwünschungen und scheußliche Mißhandlungen wechselten.
Zuletzt wurde ein weißes Tuch auf seinen Rücken befestigt, um besser zielen
zu können. Ein erster Schuß fiel und zerschmetterte ihm den einen Arm, noch
vier andre Schüsse trafen ihn in den Leib und abermals in den Arm. Er
hatte zuerst verzweiflungsvoll die Hände zum Himmel erhoben, jetzt stürzte er
auf das Gesicht; eine klaffende Wunde am Schädel scheint ihm durch eine
Sense beigebracht zu sein, ein Griff in letztere ihm die Hand durchschnitten zu
haben. Arm- und Bein- und Fingergelenke wurden ihm zerschlagen, zerbrochen.
Er bat vergebens, ihn rascher zu töten. Im eigentlichsten Sinne wurde ihm
ein Arm zerfleischt, und so ließ man ihn liegen, worauf man den Blutenden
und Halbtoten in die Wohnung des Gärtners Schmidt schaffte, wo noch
Knochen und Fleischstücke aus seinem Arme fielen. Der menschenfreundliche
Arzt hatte ihn mit seinem Leibe decken, der Fürst dies aber nicht leiden wollen;
er hatte sich seitwärts gewendet, damit die Streiche der Mörder seinen Helfer
nicht treffen möchten."

Soweit der offizielle Bericht. Dann fanden den zum Tode Gequälten
die ausgesandten Soldaten. "Er schlug matt die Augen auf und sagte: Ich
wußte wohl, daß ihr mich nicht verlassen würdet, und mit einem fast heitern
leuchtenden Blick lief sein Auge über die Reihen der Soldaten." Das ist eine
Mitteilung des preußischen Majors Dectz, dessen ich mich aus meinem elter¬
lichen Hause noch sehr wohl erinnere. Dann erklärte der Fürst dem Major
auf Französisch, daß jede Hoffnung dahin sei, da er durch den Leib geschossen
worden, und auf sein SW2 ig. ollsmiss erkannte Deetz die traurige Wahrheit.
Um elf Uhr nachts starb der wie ein Held, der stets wie ein Held geredet hatte,




Fehlt: bis zur ersten Pappel geschleppt.
Die Lokaltradition fabelte von einem Bornheimer Gemüseweib, Aber so blutgierig
sind Gemüseweiber nicht, höchstens litterarische! Die zahlreiche Gtirtnerbeuölkerung in unsrer
Umgegend ist sogar recht bieder und tüchtig, bei einiger Rauheit. Sie war aus Offenbach.
Fürst Lichnowsky

paar hundert Schritte weit unter fast unglaublichen und doch wirklichen Mi߬
handlungen eines wahrhaft »vertierten« Haufens*) von zwanzig bis dreißig
Bewaffneten, der von einem Kerle mit einer Hellebarde angeführt wurde, und
in welchem sich auch — ein Frauenzimmer, eine Zeitungsartikel im Sinne der
Linken schreibende Litteratin^) und fleißige ZuHörerin in der Paulskirche
befand!! Sie half, mit Worten anreizend, mit dem Regenschirme stoßend, den
Fürsten fortdrängen, schleppen, treiben, der sich vergebens darauf berief, daß
er es mit dem Volke wohl meine, daß er doch auch ein Deutscher sei. Ver¬
gebens waren die kniefälligen Bitten der Frau des Gärtners Schmidt, ver¬
gebens war auch die Fürsprache eines hinzugekommnen Arztes aus Bornheim.
Einige wollten den Gefangnen nach Hanau(!) geschleppt wissen, andre, und
namentlich der Anführer, bestanden auf seinem Tod: er sei ein Bluthund, an
allem schuld usw., Verwünschungen und scheußliche Mißhandlungen wechselten.
Zuletzt wurde ein weißes Tuch auf seinen Rücken befestigt, um besser zielen
zu können. Ein erster Schuß fiel und zerschmetterte ihm den einen Arm, noch
vier andre Schüsse trafen ihn in den Leib und abermals in den Arm. Er
hatte zuerst verzweiflungsvoll die Hände zum Himmel erhoben, jetzt stürzte er
auf das Gesicht; eine klaffende Wunde am Schädel scheint ihm durch eine
Sense beigebracht zu sein, ein Griff in letztere ihm die Hand durchschnitten zu
haben. Arm- und Bein- und Fingergelenke wurden ihm zerschlagen, zerbrochen.
Er bat vergebens, ihn rascher zu töten. Im eigentlichsten Sinne wurde ihm
ein Arm zerfleischt, und so ließ man ihn liegen, worauf man den Blutenden
und Halbtoten in die Wohnung des Gärtners Schmidt schaffte, wo noch
Knochen und Fleischstücke aus seinem Arme fielen. Der menschenfreundliche
Arzt hatte ihn mit seinem Leibe decken, der Fürst dies aber nicht leiden wollen;
er hatte sich seitwärts gewendet, damit die Streiche der Mörder seinen Helfer
nicht treffen möchten."

Soweit der offizielle Bericht. Dann fanden den zum Tode Gequälten
die ausgesandten Soldaten. „Er schlug matt die Augen auf und sagte: Ich
wußte wohl, daß ihr mich nicht verlassen würdet, und mit einem fast heitern
leuchtenden Blick lief sein Auge über die Reihen der Soldaten." Das ist eine
Mitteilung des preußischen Majors Dectz, dessen ich mich aus meinem elter¬
lichen Hause noch sehr wohl erinnere. Dann erklärte der Fürst dem Major
auf Französisch, daß jede Hoffnung dahin sei, da er durch den Leib geschossen
worden, und auf sein SW2 ig. ollsmiss erkannte Deetz die traurige Wahrheit.
Um elf Uhr nachts starb der wie ein Held, der stets wie ein Held geredet hatte,




Fehlt: bis zur ersten Pappel geschleppt.
Die Lokaltradition fabelte von einem Bornheimer Gemüseweib, Aber so blutgierig
sind Gemüseweiber nicht, höchstens litterarische! Die zahlreiche Gtirtnerbeuölkerung in unsrer
Umgegend ist sogar recht bieder und tüchtig, bei einiger Rauheit. Sie war aus Offenbach.
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[0089] Fürst Lichnowsky paar hundert Schritte weit unter fast unglaublichen und doch wirklichen Mi߬ handlungen eines wahrhaft »vertierten« Haufens*) von zwanzig bis dreißig Bewaffneten, der von einem Kerle mit einer Hellebarde angeführt wurde, und in welchem sich auch — ein Frauenzimmer, eine Zeitungsartikel im Sinne der Linken schreibende Litteratin^) und fleißige ZuHörerin in der Paulskirche befand!! Sie half, mit Worten anreizend, mit dem Regenschirme stoßend, den Fürsten fortdrängen, schleppen, treiben, der sich vergebens darauf berief, daß er es mit dem Volke wohl meine, daß er doch auch ein Deutscher sei. Ver¬ gebens waren die kniefälligen Bitten der Frau des Gärtners Schmidt, ver¬ gebens war auch die Fürsprache eines hinzugekommnen Arztes aus Bornheim. Einige wollten den Gefangnen nach Hanau(!) geschleppt wissen, andre, und namentlich der Anführer, bestanden auf seinem Tod: er sei ein Bluthund, an allem schuld usw., Verwünschungen und scheußliche Mißhandlungen wechselten. Zuletzt wurde ein weißes Tuch auf seinen Rücken befestigt, um besser zielen zu können. Ein erster Schuß fiel und zerschmetterte ihm den einen Arm, noch vier andre Schüsse trafen ihn in den Leib und abermals in den Arm. Er hatte zuerst verzweiflungsvoll die Hände zum Himmel erhoben, jetzt stürzte er auf das Gesicht; eine klaffende Wunde am Schädel scheint ihm durch eine Sense beigebracht zu sein, ein Griff in letztere ihm die Hand durchschnitten zu haben. Arm- und Bein- und Fingergelenke wurden ihm zerschlagen, zerbrochen. Er bat vergebens, ihn rascher zu töten. Im eigentlichsten Sinne wurde ihm ein Arm zerfleischt, und so ließ man ihn liegen, worauf man den Blutenden und Halbtoten in die Wohnung des Gärtners Schmidt schaffte, wo noch Knochen und Fleischstücke aus seinem Arme fielen. Der menschenfreundliche Arzt hatte ihn mit seinem Leibe decken, der Fürst dies aber nicht leiden wollen; er hatte sich seitwärts gewendet, damit die Streiche der Mörder seinen Helfer nicht treffen möchten." Soweit der offizielle Bericht. Dann fanden den zum Tode Gequälten die ausgesandten Soldaten. „Er schlug matt die Augen auf und sagte: Ich wußte wohl, daß ihr mich nicht verlassen würdet, und mit einem fast heitern leuchtenden Blick lief sein Auge über die Reihen der Soldaten." Das ist eine Mitteilung des preußischen Majors Dectz, dessen ich mich aus meinem elter¬ lichen Hause noch sehr wohl erinnere. Dann erklärte der Fürst dem Major auf Französisch, daß jede Hoffnung dahin sei, da er durch den Leib geschossen worden, und auf sein SW2 ig. ollsmiss erkannte Deetz die traurige Wahrheit. Um elf Uhr nachts starb der wie ein Held, der stets wie ein Held geredet hatte, Fehlt: bis zur ersten Pappel geschleppt. Die Lokaltradition fabelte von einem Bornheimer Gemüseweib, Aber so blutgierig sind Gemüseweiber nicht, höchstens litterarische! Die zahlreiche Gtirtnerbeuölkerung in unsrer Umgegend ist sogar recht bieder und tüchtig, bei einiger Rauheit. Sie war aus Offenbach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/89>, abgerufen am 12.12.2024.