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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Fürst Lichnowsky

Versammlung gehalten, wo die Rechte geächtet ward von zwanzigtausend wild¬
tobenden Gesellen, und dann kam der "blaue" Montag mit seiner Müßig¬
gängerei und seiner schnöden Katerstimmung. Aber von Mainz her rückten
preußische und österreichische Truppen heran, die alsbald am Nachmittag die
Barrikaden, die sich im Nu in den engen Gassen um die Paulskirche erhoben
hatten, sauberem. Damit war die Nationalversammlung, wie einst der Konvent,
in den Kampf selbst hineingezogen.^) Männer von der Linken traten für das
"Volk" ein, besonders dann vermittelnd, wenn die Truppen schneidig vor¬
gingen, und Abgeordnete von der Rechten führten geradezu die Truppen in
den Straßen. Zur Ehre beider darf man sagen, daß sie das Blutbad ein¬
schränken wollten. Jener Herr von Baily, der einst seine erste Rede so über¬
aus schwungvoll begonnen hatte: "Deutschlands Fittiche, deren Schwungfedern
in der Nord- und Ostsee und im Mittelländischen Meere trinken, wollen Deutsch¬
land zur Einheit erheben," und dann sehr klanglos geschlossen hatte, zeigte hier
im Feuer Geschick und Mut, wie auch am 18. auf der Tribüne. Auerswald und
Lichnowsky aber wollten keineswegs, wie Beckers Weltgeschichte (und Haus Blum!)
in der unkundigen Menge noch heute verbreiten hilft, den Truppen entgegenreiten,
sondern den von der Linken angebotnen Waffenstillstand dem Reichsverweser
vermitteln; sie wurden durch bewaffnete Banden, in deren Feuer sie vor dem
Thore gerieten, vom Bockenheimer Thore nach Osten versprengt. Hierüber
läßt das offizielle Flugblatt der Nationalversammlung gar keinen Zweifel. Es
war gewiß von diesen Edelleuten unvorsichtig, sich ganz unbewaffnet in die
wildwogenden Straßen zu wagen, auf militärisch zugerittenen Rossen, in mili¬
tärischer Haltung; aber Lichnowsky lebte nach seinem stolzen Worte von der
Tribüne: "Ich glaube an keine Gefahr (von der Demokratie), am allerwenigsten
aber an eine dringende." Die Katastrophe selbst schildert das Flugblatt
folgendermaßen, seine schlichte Sprache steht im Gegensatz zu dem himmel¬
schreienden Frevel: "Sie gerieten plötzlich in das Feuer von zahlreich ver¬
sammelten Zuzügeru. Einer derselben hatte das Zeichen gegeben: "Das ist
Lichnowsky, der Bluthund!" Sie sprengten weiter, dem Allerheiligenthore zu
^die breite Glacisstraße^, und dann in mehrere Seitenwege zwischen den Gurten,
überall verfolgt und mehreremal durch Flintenschüsse begrüßt. Keiner unbe¬
setzten Ausweg findend, sprangen sie an der Wohnung des Gärtners Schmidt
von den Pferden und verbargen sich, Auerswald auf dem Boden, Lichnowsky
in einem Keller. Sie wurden gesucht und zwischen fünf und sechs Uhr auf¬
gesunden und auf die anstoßende Bornheimer Heide hinausgeschleppt. Auers¬
wald scheint an den ihm beigebrachten Hieb- und Schußwunden sogleich, oder
doch sehr bald verschieden zu sein. Lichnowsky wurde aus dem Garten ein



*) Auch am 21. wollten die Massen die Paulskirche stürmen: Blum nannte das "eine
Komödie."
Fürst Lichnowsky

Versammlung gehalten, wo die Rechte geächtet ward von zwanzigtausend wild¬
tobenden Gesellen, und dann kam der „blaue" Montag mit seiner Müßig¬
gängerei und seiner schnöden Katerstimmung. Aber von Mainz her rückten
preußische und österreichische Truppen heran, die alsbald am Nachmittag die
Barrikaden, die sich im Nu in den engen Gassen um die Paulskirche erhoben
hatten, sauberem. Damit war die Nationalversammlung, wie einst der Konvent,
in den Kampf selbst hineingezogen.^) Männer von der Linken traten für das
„Volk" ein, besonders dann vermittelnd, wenn die Truppen schneidig vor¬
gingen, und Abgeordnete von der Rechten führten geradezu die Truppen in
den Straßen. Zur Ehre beider darf man sagen, daß sie das Blutbad ein¬
schränken wollten. Jener Herr von Baily, der einst seine erste Rede so über¬
aus schwungvoll begonnen hatte: „Deutschlands Fittiche, deren Schwungfedern
in der Nord- und Ostsee und im Mittelländischen Meere trinken, wollen Deutsch¬
land zur Einheit erheben," und dann sehr klanglos geschlossen hatte, zeigte hier
im Feuer Geschick und Mut, wie auch am 18. auf der Tribüne. Auerswald und
Lichnowsky aber wollten keineswegs, wie Beckers Weltgeschichte (und Haus Blum!)
in der unkundigen Menge noch heute verbreiten hilft, den Truppen entgegenreiten,
sondern den von der Linken angebotnen Waffenstillstand dem Reichsverweser
vermitteln; sie wurden durch bewaffnete Banden, in deren Feuer sie vor dem
Thore gerieten, vom Bockenheimer Thore nach Osten versprengt. Hierüber
läßt das offizielle Flugblatt der Nationalversammlung gar keinen Zweifel. Es
war gewiß von diesen Edelleuten unvorsichtig, sich ganz unbewaffnet in die
wildwogenden Straßen zu wagen, auf militärisch zugerittenen Rossen, in mili¬
tärischer Haltung; aber Lichnowsky lebte nach seinem stolzen Worte von der
Tribüne: „Ich glaube an keine Gefahr (von der Demokratie), am allerwenigsten
aber an eine dringende." Die Katastrophe selbst schildert das Flugblatt
folgendermaßen, seine schlichte Sprache steht im Gegensatz zu dem himmel¬
schreienden Frevel: „Sie gerieten plötzlich in das Feuer von zahlreich ver¬
sammelten Zuzügeru. Einer derselben hatte das Zeichen gegeben: »Das ist
Lichnowsky, der Bluthund!« Sie sprengten weiter, dem Allerheiligenthore zu
^die breite Glacisstraße^, und dann in mehrere Seitenwege zwischen den Gurten,
überall verfolgt und mehreremal durch Flintenschüsse begrüßt. Keiner unbe¬
setzten Ausweg findend, sprangen sie an der Wohnung des Gärtners Schmidt
von den Pferden und verbargen sich, Auerswald auf dem Boden, Lichnowsky
in einem Keller. Sie wurden gesucht und zwischen fünf und sechs Uhr auf¬
gesunden und auf die anstoßende Bornheimer Heide hinausgeschleppt. Auers¬
wald scheint an den ihm beigebrachten Hieb- und Schußwunden sogleich, oder
doch sehr bald verschieden zu sein. Lichnowsky wurde aus dem Garten ein



*) Auch am 21. wollten die Massen die Paulskirche stürmen: Blum nannte das „eine
Komödie."
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[0088] Fürst Lichnowsky Versammlung gehalten, wo die Rechte geächtet ward von zwanzigtausend wild¬ tobenden Gesellen, und dann kam der „blaue" Montag mit seiner Müßig¬ gängerei und seiner schnöden Katerstimmung. Aber von Mainz her rückten preußische und österreichische Truppen heran, die alsbald am Nachmittag die Barrikaden, die sich im Nu in den engen Gassen um die Paulskirche erhoben hatten, sauberem. Damit war die Nationalversammlung, wie einst der Konvent, in den Kampf selbst hineingezogen.^) Männer von der Linken traten für das „Volk" ein, besonders dann vermittelnd, wenn die Truppen schneidig vor¬ gingen, und Abgeordnete von der Rechten führten geradezu die Truppen in den Straßen. Zur Ehre beider darf man sagen, daß sie das Blutbad ein¬ schränken wollten. Jener Herr von Baily, der einst seine erste Rede so über¬ aus schwungvoll begonnen hatte: „Deutschlands Fittiche, deren Schwungfedern in der Nord- und Ostsee und im Mittelländischen Meere trinken, wollen Deutsch¬ land zur Einheit erheben," und dann sehr klanglos geschlossen hatte, zeigte hier im Feuer Geschick und Mut, wie auch am 18. auf der Tribüne. Auerswald und Lichnowsky aber wollten keineswegs, wie Beckers Weltgeschichte (und Haus Blum!) in der unkundigen Menge noch heute verbreiten hilft, den Truppen entgegenreiten, sondern den von der Linken angebotnen Waffenstillstand dem Reichsverweser vermitteln; sie wurden durch bewaffnete Banden, in deren Feuer sie vor dem Thore gerieten, vom Bockenheimer Thore nach Osten versprengt. Hierüber läßt das offizielle Flugblatt der Nationalversammlung gar keinen Zweifel. Es war gewiß von diesen Edelleuten unvorsichtig, sich ganz unbewaffnet in die wildwogenden Straßen zu wagen, auf militärisch zugerittenen Rossen, in mili¬ tärischer Haltung; aber Lichnowsky lebte nach seinem stolzen Worte von der Tribüne: „Ich glaube an keine Gefahr (von der Demokratie), am allerwenigsten aber an eine dringende." Die Katastrophe selbst schildert das Flugblatt folgendermaßen, seine schlichte Sprache steht im Gegensatz zu dem himmel¬ schreienden Frevel: „Sie gerieten plötzlich in das Feuer von zahlreich ver¬ sammelten Zuzügeru. Einer derselben hatte das Zeichen gegeben: »Das ist Lichnowsky, der Bluthund!« Sie sprengten weiter, dem Allerheiligenthore zu ^die breite Glacisstraße^, und dann in mehrere Seitenwege zwischen den Gurten, überall verfolgt und mehreremal durch Flintenschüsse begrüßt. Keiner unbe¬ setzten Ausweg findend, sprangen sie an der Wohnung des Gärtners Schmidt von den Pferden und verbargen sich, Auerswald auf dem Boden, Lichnowsky in einem Keller. Sie wurden gesucht und zwischen fünf und sechs Uhr auf¬ gesunden und auf die anstoßende Bornheimer Heide hinausgeschleppt. Auers¬ wald scheint an den ihm beigebrachten Hieb- und Schußwunden sogleich, oder doch sehr bald verschieden zu sein. Lichnowsky wurde aus dem Garten ein *) Auch am 21. wollten die Massen die Paulskirche stürmen: Blum nannte das „eine Komödie."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/88>, abgerufen am 24.07.2024.