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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

wie es zunächst noch hieß; am 21. November wurde auch die Militärkonvention
endgiltig festgestellt. Endlich, nachdem alles fertig war, reiste Jolly, zuletzt
noch durch Krankheit aufgehalten, am 28. November ab und traf am 30.
wohlbehalten wieder in Karlsruhe ein.*) Am 13. Dezember eröffnete er im
Namen des Großherzogs den Landtag, und nachdem dieser gegen nur wenige
Stimmen die Verträge freudig gutgeheißen hatte, schloß Jolly die Sitzungen
am 21. Dezember mit einer glänzenden, begeistert aufgenommnen Rede. Bei
einem Festmahle der beiden Kammern in der Karlsburg zu Durlach wurde
er gefeiert wie niemals ein badischer Staatsmann, und auch während der
Weihnachtszeit gingen ihm noch zahlreiche Glückwünsche zu. Die Kaiser-
Proklamation in Versailles am 18. Januar 1871 durfte er als die glänzende
Krönung auch seines Werkes betrachten, und mit besondrer Genugthuung er¬
füllte es ihn, daß in denselben Tagen die tapfern badischen Truppen an der
Lisaine, fast vor den Thoren des eignen Landes, die Übermacht Bourbakis
zurückwerfen halfen. Die preußische Schule, die ihnen Jolly verschafft hatte,
hatte sich bewährt.

Jolly war am 19. Februar eben in Berlin eingetroffen, um an den
ersten Verhandlungen des Deutschen Bundesrath teilzunehmen, als ihn
die Aufforderung Bismarcks wieder nach Versailles berief. Er reiste am
22. Februar von Karlsruhe dahin ab, traf, vom Großherzog mit der liebens¬
würdigsten Fürsorge empfangen, am 25. Februar dort ein und war bei
den Verhandlungen Bismarcks mit Thiers und Fcwre über den Vorfrieden
zugegen. Seine Briefe darüber gehören zu den wertvollsten Dokumenten dieser
Zeit, denn sie schildern diese historischen Vorgänge mit der frischesten An¬
schaulichkeit. So die Schlußverhandlung am 26. Februar: "Die Szene im
Versammlungssaale -- im Bundeskanzleramte -- ist das grandioseste, was die
Phantasie eines Dichters ersinnen, der Pinsel des genialsten Malers darstellen
könnte. Letzterer müßte sich als Mittelpunkt den Augenblick wählen, wo
Rothschild, ein kleines schmächtiges Männchen mit (einer unvergleichlichen
Judenphysiognomie und) schlotternden Knieen, vor dem etwas gereizten Bismarck
steht, der ärgerlich, daß die Sache nicht fertig wird, mit lauter Stimme und
trotz Hexenschuß hoch aufgerichtet erklärt: "Wenn der Herr Baron keine
Neigung hat, die gewünschten Vorschläge zu machen, müssen wir sehen, wie
wir sonst fertig werden." Stammelnde Antwort: "Exzellenz, ich bin geneigt.""
Schlagfertig gab Jolly selbst einmal Thiers, als dieser bei ihm, als dem
Nachkommen einer verjagten Hugenottenfamilie, Mitleid für Frankreich zu
erregen suchte und ihm zuletzt pathetisch zurief: "Hören Sie auf die Stimme
Ihres alten Vaterlandes!" die prächtige Antwort: "Der Ton aus der Ver¬
gangenheit, den ich hier am deutlichsten vernehme, ist die Glocke von



*) über diese Verhandlungen berichten auch die Tagebücher und Briefe Freudorfs bei
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat II, 172 ff.
Gin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

wie es zunächst noch hieß; am 21. November wurde auch die Militärkonvention
endgiltig festgestellt. Endlich, nachdem alles fertig war, reiste Jolly, zuletzt
noch durch Krankheit aufgehalten, am 28. November ab und traf am 30.
wohlbehalten wieder in Karlsruhe ein.*) Am 13. Dezember eröffnete er im
Namen des Großherzogs den Landtag, und nachdem dieser gegen nur wenige
Stimmen die Verträge freudig gutgeheißen hatte, schloß Jolly die Sitzungen
am 21. Dezember mit einer glänzenden, begeistert aufgenommnen Rede. Bei
einem Festmahle der beiden Kammern in der Karlsburg zu Durlach wurde
er gefeiert wie niemals ein badischer Staatsmann, und auch während der
Weihnachtszeit gingen ihm noch zahlreiche Glückwünsche zu. Die Kaiser-
Proklamation in Versailles am 18. Januar 1871 durfte er als die glänzende
Krönung auch seines Werkes betrachten, und mit besondrer Genugthuung er¬
füllte es ihn, daß in denselben Tagen die tapfern badischen Truppen an der
Lisaine, fast vor den Thoren des eignen Landes, die Übermacht Bourbakis
zurückwerfen halfen. Die preußische Schule, die ihnen Jolly verschafft hatte,
hatte sich bewährt.

Jolly war am 19. Februar eben in Berlin eingetroffen, um an den
ersten Verhandlungen des Deutschen Bundesrath teilzunehmen, als ihn
die Aufforderung Bismarcks wieder nach Versailles berief. Er reiste am
22. Februar von Karlsruhe dahin ab, traf, vom Großherzog mit der liebens¬
würdigsten Fürsorge empfangen, am 25. Februar dort ein und war bei
den Verhandlungen Bismarcks mit Thiers und Fcwre über den Vorfrieden
zugegen. Seine Briefe darüber gehören zu den wertvollsten Dokumenten dieser
Zeit, denn sie schildern diese historischen Vorgänge mit der frischesten An¬
schaulichkeit. So die Schlußverhandlung am 26. Februar: „Die Szene im
Versammlungssaale — im Bundeskanzleramte — ist das grandioseste, was die
Phantasie eines Dichters ersinnen, der Pinsel des genialsten Malers darstellen
könnte. Letzterer müßte sich als Mittelpunkt den Augenblick wählen, wo
Rothschild, ein kleines schmächtiges Männchen mit (einer unvergleichlichen
Judenphysiognomie und) schlotternden Knieen, vor dem etwas gereizten Bismarck
steht, der ärgerlich, daß die Sache nicht fertig wird, mit lauter Stimme und
trotz Hexenschuß hoch aufgerichtet erklärt: »Wenn der Herr Baron keine
Neigung hat, die gewünschten Vorschläge zu machen, müssen wir sehen, wie
wir sonst fertig werden.« Stammelnde Antwort: »Exzellenz, ich bin geneigt.«"
Schlagfertig gab Jolly selbst einmal Thiers, als dieser bei ihm, als dem
Nachkommen einer verjagten Hugenottenfamilie, Mitleid für Frankreich zu
erregen suchte und ihm zuletzt pathetisch zurief: „Hören Sie auf die Stimme
Ihres alten Vaterlandes!" die prächtige Antwort: „Der Ton aus der Ver¬
gangenheit, den ich hier am deutlichsten vernehme, ist die Glocke von



*) über diese Verhandlungen berichten auch die Tagebücher und Briefe Freudorfs bei
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat II, 172 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/80>, abgerufen am 24.07.2024.