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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lili mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

den Norddeutschen Bund und die Wiederherstellung der Kaiserwürde an. Graf
Vismarck antwortete zustimmend von Rheims aus in einer Note vom 12. Sep¬
tember an den preußischen Gesandten in Karlsruhe, den Grafen Flemming,
die dieser am 18. September (natürlich nicht am 18. Januar, wie es im
Buche aus Versehen fälschlicherweise heißt) Jollh vorlas, doch wollte er
wenigstens "einstweilen" Elsaß-Lothringen "als gemeinsames, unmittelbares
Reichsland" verwaltet wissen und schob die Initiative zu den Verhandlungen
den süddeutschen Staaten zu. Auch zahlreiche Volksversammlungen in den
badischen Städten, die nach sedem im Einverständnis mit Jolly von liberalen
Abgeordneten, namentlich dem eifrigen Kiefer, berufen wurden, sprachen sich
für seine Vorschläge aus. Da sich nun Bayern und Württemberg nicht rührten,
so forderte Bismarck durch seinen Gesandten am 2. Oktober Baden auf, den
beabsichtigten Antrag zu stellen, und bat, als dies schou am 3. Oktober ge¬
schehen war, am 12. Oktober die badische Regierung, Unterhändler nach Ver¬
sailles zu schicken, wo sich das große Hauptquartier seit dem 5. Oktober befand.

Als solche reisten Jolly und sein Kollege, der Minister des Auswärtigen,
Rudolf v. Freydorf, am 20. Oktober nach Versailles ab, wo sie nach mancherlei
mit Gemütsruhe ertrcignen Fährlichkeiten am 23. mittags anlangten und überall
mit großer Zuvorkommenheit, vom König Wilhelm und vom Kronprinzen "mehr
als gnädig" aufgenommen wurden. Über Bismarck schrieb Jolly am 28. Ok¬
tober: "Bismarck ist ein wunderbarer Mann. Bei seinem Abschied (von einem
Besuche) war ich, ich muß bekennen, von seiner Persönlichkeit entzückt. -- Die
sprudelnde Fülle von Gedanken und Anschauungen, die ganz überlegne Be¬
trachtung der Dinge im großen versteht sich von selbst, und anch der Bilder¬
reichtum der öffentlichen Rede kehrt ungemein anregend im Privatgespräch
wieder, um so auffallender bei der etwas stockenden Sprache." Bewundernde
Sympathie erweckten ihm auch das Benehmen der deutschen Truppen und der
höhern Offiziere, mit denen er in Berührung kam. Die Unterhandlungen, die
namentlich Delbrück führte, machten mit Baden und Württemberg gute Fort¬
schritte, mit Bayern so langsame, daß Vismarck unter Umstünden auch ohne
Bayern abschließen wollte. Über den Kaisertitel war man schon damals
ziemlich einig. Als Beweis für "das geringe Zeitverstündnis" des Grafen
Vray berichtet Jolly, dieser habe ihn aufgefordert, für Baden den Königstitel
zu verlangen, "in dem Augenblicke, wo dieser Staat sich wegen der Mängel
der Kleinstaaterei der Souveränität begeben und in einen Bundesstaat eintreten
wollte"; er sah freilich dahinter den alten bayrischen Wunsch, die badische
Pfalz gegen ein Stück des Elsasses einzutauschen. Um die Frage wegen
der badisch.preußischen Militärkonvention zu erledigen, traf der Großherzog
am 6. November selbst in Versailles ein, die Verhandlungen aber führte
Jolly meist mit Podbielsky zum Abschluß. Im frohen Bewußtsein "großer
herrlicher Thaten und Zeiten" unterzeichnete er am 15. November zugleich
wie Hessen den Vertrag über den Beitritt Badens zum "Deutschen Bunde,"


Lili mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

den Norddeutschen Bund und die Wiederherstellung der Kaiserwürde an. Graf
Vismarck antwortete zustimmend von Rheims aus in einer Note vom 12. Sep¬
tember an den preußischen Gesandten in Karlsruhe, den Grafen Flemming,
die dieser am 18. September (natürlich nicht am 18. Januar, wie es im
Buche aus Versehen fälschlicherweise heißt) Jollh vorlas, doch wollte er
wenigstens „einstweilen" Elsaß-Lothringen „als gemeinsames, unmittelbares
Reichsland" verwaltet wissen und schob die Initiative zu den Verhandlungen
den süddeutschen Staaten zu. Auch zahlreiche Volksversammlungen in den
badischen Städten, die nach sedem im Einverständnis mit Jolly von liberalen
Abgeordneten, namentlich dem eifrigen Kiefer, berufen wurden, sprachen sich
für seine Vorschläge aus. Da sich nun Bayern und Württemberg nicht rührten,
so forderte Bismarck durch seinen Gesandten am 2. Oktober Baden auf, den
beabsichtigten Antrag zu stellen, und bat, als dies schou am 3. Oktober ge¬
schehen war, am 12. Oktober die badische Regierung, Unterhändler nach Ver¬
sailles zu schicken, wo sich das große Hauptquartier seit dem 5. Oktober befand.

Als solche reisten Jolly und sein Kollege, der Minister des Auswärtigen,
Rudolf v. Freydorf, am 20. Oktober nach Versailles ab, wo sie nach mancherlei
mit Gemütsruhe ertrcignen Fährlichkeiten am 23. mittags anlangten und überall
mit großer Zuvorkommenheit, vom König Wilhelm und vom Kronprinzen „mehr
als gnädig" aufgenommen wurden. Über Bismarck schrieb Jolly am 28. Ok¬
tober: „Bismarck ist ein wunderbarer Mann. Bei seinem Abschied (von einem
Besuche) war ich, ich muß bekennen, von seiner Persönlichkeit entzückt. — Die
sprudelnde Fülle von Gedanken und Anschauungen, die ganz überlegne Be¬
trachtung der Dinge im großen versteht sich von selbst, und anch der Bilder¬
reichtum der öffentlichen Rede kehrt ungemein anregend im Privatgespräch
wieder, um so auffallender bei der etwas stockenden Sprache." Bewundernde
Sympathie erweckten ihm auch das Benehmen der deutschen Truppen und der
höhern Offiziere, mit denen er in Berührung kam. Die Unterhandlungen, die
namentlich Delbrück führte, machten mit Baden und Württemberg gute Fort¬
schritte, mit Bayern so langsame, daß Vismarck unter Umstünden auch ohne
Bayern abschließen wollte. Über den Kaisertitel war man schon damals
ziemlich einig. Als Beweis für „das geringe Zeitverstündnis" des Grafen
Vray berichtet Jolly, dieser habe ihn aufgefordert, für Baden den Königstitel
zu verlangen, „in dem Augenblicke, wo dieser Staat sich wegen der Mängel
der Kleinstaaterei der Souveränität begeben und in einen Bundesstaat eintreten
wollte"; er sah freilich dahinter den alten bayrischen Wunsch, die badische
Pfalz gegen ein Stück des Elsasses einzutauschen. Um die Frage wegen
der badisch.preußischen Militärkonvention zu erledigen, traf der Großherzog
am 6. November selbst in Versailles ein, die Verhandlungen aber führte
Jolly meist mit Podbielsky zum Abschluß. Im frohen Bewußtsein „großer
herrlicher Thaten und Zeiten" unterzeichnete er am 15. November zugleich
wie Hessen den Vertrag über den Beitritt Badens zum „Deutschen Bunde,"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/79>, abgerufen am 12.12.2024.