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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Litterarische Rücksichtslosigkeiten eines Hagestolzen

ein Freund Gerfried Hitzig but el" Amt
, mit dem ein Titel von
sieben Silben und soviel Gehalt verbunden ist, wie er als Jung¬
geselle braucht. Seine Liebe z" den amtlichen Geschäften entspricht
seinem Range; tiefer geht die Liebe zur schönen Litteratur. Wenn
ihm ein freier Tag geschenkt wird, so finde ich die etwas kurz ge-
rntne Gestalt auf das Sofa hingestreckt, in der Hand einen seiner
Lieblingsschriftsteller, wozu der kritische und wählerische Mann sehr wenige ernennt.

Ein ungestümes Temperament ist allen Hitzigs eigen. In dieser Selbsterkenntnis
gab ihm sein Alter in der heiligen Taufe den Namen Gerfried. Das sollte der
Wegweiser sein, seinen natürlichen Charakter zu formen und zu besser". Der
wohlgerüstete Kampfer, der in dem Bewußtsein seiner Stärke den Frieden liebt
und Pflegt, war das Ideal, dem sein Sohn dereinst ans seinem Lebenswege zu¬
streben sollte.

Welche Entwicklung Gerfried genommen haben würde, wenn ihm der Vater
diesen Fingerzeig nicht erteilt, ihn dielleicht gar auf den Namen "Gerbald"
getauft hätte, das gehört dem Gebiet der freien Vermutung an. Ich kann nur
feststellen, daß der Gerfried den Hitzig nicht überwuchert hat, daß die Vorbedeutung
des Taufnamens nicht stark genng gewesen ist, ihn der Gemeinde der Friedseligen
ganz einzuverleiben, denn auch in dem Wesen dieses Hitzig liegt etwas von der
alten Unerbittlichkeit und Rücksichtslosigkeit. Und bei Gerfried ist sie ganz besonders
gegen das Geschlecht der Weiber gerichtet. Das Geheimnis der Frauenseele ist für
ihn siebenfach versiegelt, zumal über die Litteratur seiner Menschenschwestern urteilt
er abfällig, und von dem Weib an sich hält er nicht viel. Das heißt: dies alles
so in tnssi und im allgemeinen. Im Einzelfall ist er zu Zugeständnissen geneigt.
Vor seiner Schwester Elsa, einer lieben, alle" Familienüberliefernngen zuwider
weichherzige" alte" Jmigfer, die ihm den Hausstand führt, hegt er sogar eine un¬
begrenzte Hochachtung.

Es our vor Jahren an einem Fastnachtsmittwoch. Die Sitzung ist ausgefallen,
also liegt Gerfried auf dem Sofa und liest -- so dachte ich und beschloß, mit ihm
über seinen neusten Liebling zu plaudern. Aber Gerfried lag nicht auf dem
Sofa, er ging mit einer gewissen Erregung in seiner Stube auf und ab, ein zer¬
knülltes Zeitungsblatt in den kleinen, wohlgenährten Händen.

Und er machte mich zum Mitwisser seines Unmuts. Du kennst meine Grund¬
sätze, sagte er, niemals lese ich Zeitnngsgeschichten unter dem Strich. Muß
mich der Böse verführen, heute eine Ausnahme zu machen, als mir Elsa zu dem
Morgenkaffee die üblichen Heißewecken des Aschermittwochs und die Morgenzeitnng
auf den Tisch legt. Die Heißewecken habe ich ganz gut vertragen, an der Ge¬
schichte aber habe ich mir den Magen verdorben.

Heftig schlug er auf das arme Blatt --




Litterarische Rücksichtslosigkeiten eines Hagestolzen

ein Freund Gerfried Hitzig but el» Amt
, mit dem ein Titel von
sieben Silben und soviel Gehalt verbunden ist, wie er als Jung¬
geselle braucht. Seine Liebe z» den amtlichen Geschäften entspricht
seinem Range; tiefer geht die Liebe zur schönen Litteratur. Wenn
ihm ein freier Tag geschenkt wird, so finde ich die etwas kurz ge-
rntne Gestalt auf das Sofa hingestreckt, in der Hand einen seiner
Lieblingsschriftsteller, wozu der kritische und wählerische Mann sehr wenige ernennt.

Ein ungestümes Temperament ist allen Hitzigs eigen. In dieser Selbsterkenntnis
gab ihm sein Alter in der heiligen Taufe den Namen Gerfried. Das sollte der
Wegweiser sein, seinen natürlichen Charakter zu formen und zu besser«. Der
wohlgerüstete Kampfer, der in dem Bewußtsein seiner Stärke den Frieden liebt
und Pflegt, war das Ideal, dem sein Sohn dereinst ans seinem Lebenswege zu¬
streben sollte.

Welche Entwicklung Gerfried genommen haben würde, wenn ihm der Vater
diesen Fingerzeig nicht erteilt, ihn dielleicht gar auf den Namen „Gerbald"
getauft hätte, das gehört dem Gebiet der freien Vermutung an. Ich kann nur
feststellen, daß der Gerfried den Hitzig nicht überwuchert hat, daß die Vorbedeutung
des Taufnamens nicht stark genng gewesen ist, ihn der Gemeinde der Friedseligen
ganz einzuverleiben, denn auch in dem Wesen dieses Hitzig liegt etwas von der
alten Unerbittlichkeit und Rücksichtslosigkeit. Und bei Gerfried ist sie ganz besonders
gegen das Geschlecht der Weiber gerichtet. Das Geheimnis der Frauenseele ist für
ihn siebenfach versiegelt, zumal über die Litteratur seiner Menschenschwestern urteilt
er abfällig, und von dem Weib an sich hält er nicht viel. Das heißt: dies alles
so in tnssi und im allgemeinen. Im Einzelfall ist er zu Zugeständnissen geneigt.
Vor seiner Schwester Elsa, einer lieben, alle» Familienüberliefernngen zuwider
weichherzige» alte» Jmigfer, die ihm den Hausstand führt, hegt er sogar eine un¬
begrenzte Hochachtung.

Es our vor Jahren an einem Fastnachtsmittwoch. Die Sitzung ist ausgefallen,
also liegt Gerfried auf dem Sofa und liest — so dachte ich und beschloß, mit ihm
über seinen neusten Liebling zu plaudern. Aber Gerfried lag nicht auf dem
Sofa, er ging mit einer gewissen Erregung in seiner Stube auf und ab, ein zer¬
knülltes Zeitungsblatt in den kleinen, wohlgenährten Händen.

Und er machte mich zum Mitwisser seines Unmuts. Du kennst meine Grund¬
sätze, sagte er, niemals lese ich Zeitnngsgeschichten unter dem Strich. Muß
mich der Böse verführen, heute eine Ausnahme zu machen, als mir Elsa zu dem
Morgenkaffee die üblichen Heißewecken des Aschermittwochs und die Morgenzeitnng
auf den Tisch legt. Die Heißewecken habe ich ganz gut vertragen, an der Ge¬
schichte aber habe ich mir den Magen verdorben.

Heftig schlug er auf das arme Blatt —


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[0717] [Abbildung] Litterarische Rücksichtslosigkeiten eines Hagestolzen ein Freund Gerfried Hitzig but el» Amt , mit dem ein Titel von sieben Silben und soviel Gehalt verbunden ist, wie er als Jung¬ geselle braucht. Seine Liebe z» den amtlichen Geschäften entspricht seinem Range; tiefer geht die Liebe zur schönen Litteratur. Wenn ihm ein freier Tag geschenkt wird, so finde ich die etwas kurz ge- rntne Gestalt auf das Sofa hingestreckt, in der Hand einen seiner Lieblingsschriftsteller, wozu der kritische und wählerische Mann sehr wenige ernennt. Ein ungestümes Temperament ist allen Hitzigs eigen. In dieser Selbsterkenntnis gab ihm sein Alter in der heiligen Taufe den Namen Gerfried. Das sollte der Wegweiser sein, seinen natürlichen Charakter zu formen und zu besser«. Der wohlgerüstete Kampfer, der in dem Bewußtsein seiner Stärke den Frieden liebt und Pflegt, war das Ideal, dem sein Sohn dereinst ans seinem Lebenswege zu¬ streben sollte. Welche Entwicklung Gerfried genommen haben würde, wenn ihm der Vater diesen Fingerzeig nicht erteilt, ihn dielleicht gar auf den Namen „Gerbald" getauft hätte, das gehört dem Gebiet der freien Vermutung an. Ich kann nur feststellen, daß der Gerfried den Hitzig nicht überwuchert hat, daß die Vorbedeutung des Taufnamens nicht stark genng gewesen ist, ihn der Gemeinde der Friedseligen ganz einzuverleiben, denn auch in dem Wesen dieses Hitzig liegt etwas von der alten Unerbittlichkeit und Rücksichtslosigkeit. Und bei Gerfried ist sie ganz besonders gegen das Geschlecht der Weiber gerichtet. Das Geheimnis der Frauenseele ist für ihn siebenfach versiegelt, zumal über die Litteratur seiner Menschenschwestern urteilt er abfällig, und von dem Weib an sich hält er nicht viel. Das heißt: dies alles so in tnssi und im allgemeinen. Im Einzelfall ist er zu Zugeständnissen geneigt. Vor seiner Schwester Elsa, einer lieben, alle» Familienüberliefernngen zuwider weichherzige» alte» Jmigfer, die ihm den Hausstand führt, hegt er sogar eine un¬ begrenzte Hochachtung. Es our vor Jahren an einem Fastnachtsmittwoch. Die Sitzung ist ausgefallen, also liegt Gerfried auf dem Sofa und liest — so dachte ich und beschloß, mit ihm über seinen neusten Liebling zu plaudern. Aber Gerfried lag nicht auf dem Sofa, er ging mit einer gewissen Erregung in seiner Stube auf und ab, ein zer¬ knülltes Zeitungsblatt in den kleinen, wohlgenährten Händen. Und er machte mich zum Mitwisser seines Unmuts. Du kennst meine Grund¬ sätze, sagte er, niemals lese ich Zeitnngsgeschichten unter dem Strich. Muß mich der Böse verführen, heute eine Ausnahme zu machen, als mir Elsa zu dem Morgenkaffee die üblichen Heißewecken des Aschermittwochs und die Morgenzeitnng auf den Tisch legt. Die Heißewecken habe ich ganz gut vertragen, an der Ge¬ schichte aber habe ich mir den Magen verdorben. Heftig schlug er auf das arme Blatt —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/717>, abgerufen am 24.07.2024.