Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Zur äußern Geschichte unsrer Sprache zu Ende des achten Jahrhunderts wieder ein Vorstoß des Deutschtums begann, *) Im neunten Jahrhundert sitzen viele Slawen diesseits der Grenze in Thüringen, um Unita, an obern Main, an derRednitz; noch im achtzehnten Jahrhundert sprach man wendisch bei Dannenberg an der untern Elbe, noch heute haben wir die Wenden der Lausitz: kleine Zeug¬ nisse für die große nachträgliche Arbeit der innern Kolonisation. Man hat sür Schlesien auch um bayrische Ansiedler denken zu müssen geglaubt wegen
des Deminutivsuffixes --el, --l. Zu dessen Erklärung genügt aber die Annahme fränkischer Kolo¬ nisten, wie sie für den ganzen Südstreifen des Königreichs Sachsen allein nachweisbar ist, wo dasselbe Suffix allein gebraucht wird. In Schnitz z. B,, dessen Ansiedler nachweislich aus der Vamberger Gegend stammen, tritt die doppelte Verkleinerung --est nur in geringschätzigen Sinne auf oder nach Liquiden zur scharfer" Abhebung des SnffixeZ: wer -- chen allein statt --el ge¬ braucht, wird mis Zieraffe ausgelacht. Die längere Form --ele (Südwestsachscn) erklärt sich wohl am einfachsten als vollere, weil nebentonige Mestnlt, und nicht als oberpfälzisch im Gegensatz Zu fränkischem --el. Vgl. die Arbeiten von Gerbet, Weiche und Philipp über die Mundarten des Vogtlandes, der Kirchfnlirt Schnitz und Zwicknus. Zur äußern Geschichte unsrer Sprache zu Ende des achten Jahrhunderts wieder ein Vorstoß des Deutschtums begann, *) Im neunten Jahrhundert sitzen viele Slawen diesseits der Grenze in Thüringen, um Unita, an obern Main, an derRednitz; noch im achtzehnten Jahrhundert sprach man wendisch bei Dannenberg an der untern Elbe, noch heute haben wir die Wenden der Lausitz: kleine Zeug¬ nisse für die große nachträgliche Arbeit der innern Kolonisation. Man hat sür Schlesien auch um bayrische Ansiedler denken zu müssen geglaubt wegen
des Deminutivsuffixes —el, —l. Zu dessen Erklärung genügt aber die Annahme fränkischer Kolo¬ nisten, wie sie für den ganzen Südstreifen des Königreichs Sachsen allein nachweisbar ist, wo dasselbe Suffix allein gebraucht wird. In Schnitz z. B,, dessen Ansiedler nachweislich aus der Vamberger Gegend stammen, tritt die doppelte Verkleinerung —est nur in geringschätzigen Sinne auf oder nach Liquiden zur scharfer» Abhebung des SnffixeZ: wer — chen allein statt —el ge¬ braucht, wird mis Zieraffe ausgelacht. Die längere Form —ele (Südwestsachscn) erklärt sich wohl am einfachsten als vollere, weil nebentonige Mestnlt, und nicht als oberpfälzisch im Gegensatz Zu fränkischem —el. Vgl. die Arbeiten von Gerbet, Weiche und Philipp über die Mundarten des Vogtlandes, der Kirchfnlirt Schnitz und Zwicknus. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0712" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229661"/> <fw type="header" place="top"> Zur äußern Geschichte unsrer Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_2469" prev="#ID_2468" next="#ID_2470"> zu Ende des achten Jahrhunderts wieder ein Vorstoß des Deutschtums begann,<lb/> im Süden mit solchem Erfolge, daß schon 822 der Name der Avaren zum<lb/> letztenmal erscheint. Bis 850 ergießt sich nun das Deutschtum zunächst das<lb/> rechte Douauufer hinab bis zum Wiener Wald, in der zweiten Hälfte des<lb/> Jahrhunderts auch links von dem Flusse auf Mähren zu. Das zehnte Jahr¬<lb/> hundert vernichtete freilich fast allen Gewinn des neunten im Osten wieder,<lb/> sodaß auch hier erst mit dem Jahre 1000 ein längeres ununterbrochnes Vor¬<lb/> dringen des Deutschtums einsetzt. Die Ungarn kamen. Und was unter Otto I.<lb/> »ach der Schlacht auf dem Lechfelde im Süden und Norden den Ostfeindeu<lb/> abgerungen wurde, ging in dem großen Slawenaufstande beim Tode Ottos II.<lb/> abermals verloren. Das Bistum Bamberg, das zu Anfang des elften Jahr¬<lb/> hunderts gegründet wurde, ist ein Eckstein sür das Vordringen der deutschen<lb/> Sprache im Osten gewesen. Erst jetzt wurden die slawischen Einschüsse im<lb/> Ostfräiikischen") völlig germanisirt. Und von Oberfranken ging es hinüber ins<lb/> Egerland. Der Ungarnfeldzug von 1043 sicherte die Leitha-Marchlinie. Aber<lb/> noch waren die Slawen Herren nördlich von Meißen und der Lausitz. Erst<lb/> das zwölfte Jahrhundert bringt es unter der kräftigen Leitung Lothars, Albrechts<lb/> des Bären und Heinrich des Löwen zur Kolonisation Brandenburgs, während<lb/> gleichzeitig südlich Mitteldeutsche tief in das ungarische Bergland bis in die<lb/> Zips und nach Siebenbürgen vordringen. Um die Wende des zwölften und<lb/> dreizehnten Jahrhunderts sehen wir das Einströmen fränkischer und nieder¬<lb/> deutscher Bauern in Schlesien,**) um die Wende des dreizehnten die Haupt-<lb/> einwanderung nach Böhmen und die Besitzergreifung nordöstlichster Gebiete durch<lb/> den Deutschen Orden. Das vierzehnte Jahrhundert bringt auch im Nord'öfter<lb/> uoch Fortschritte, befestigt aber in der Hauptsache und baut aus. Habsburger<lb/> und Luxemburger regieren über die deutsche Zunge von ihren eben erworbnen<lb/> Ostgebieten aus und knüpfen diese damit fester an das Ganze. Böhmen ist<lb/> damals seiner Litteratur nach nahezu ein völlig deutsches Land gewesen. Noch</p><lb/> <note xml:id="FID_79" place="foot"> *) Im neunten Jahrhundert sitzen viele Slawen diesseits der Grenze in Thüringen, um<lb/> Unita, an obern Main, an derRednitz; noch im achtzehnten Jahrhundert sprach man wendisch<lb/> bei Dannenberg an der untern Elbe, noch heute haben wir die Wenden der Lausitz: kleine Zeug¬<lb/> nisse für die große nachträgliche Arbeit der innern Kolonisation.</note><lb/> <note xml:id="FID_80" place="foot"> Man hat sür Schlesien auch um bayrische Ansiedler denken zu müssen geglaubt wegen<lb/> des Deminutivsuffixes —el, —l. Zu dessen Erklärung genügt aber die Annahme fränkischer Kolo¬<lb/> nisten, wie sie für den ganzen Südstreifen des Königreichs Sachsen allein nachweisbar ist, wo<lb/> dasselbe Suffix allein gebraucht wird. In Schnitz z. B,, dessen Ansiedler nachweislich aus der<lb/> Vamberger Gegend stammen, tritt die doppelte Verkleinerung —est nur in geringschätzigen Sinne<lb/> auf oder nach Liquiden zur scharfer» Abhebung des SnffixeZ: wer — chen allein statt —el ge¬<lb/> braucht, wird mis Zieraffe ausgelacht. Die längere Form —ele (Südwestsachscn) erklärt sich wohl<lb/> am einfachsten als vollere, weil nebentonige Mestnlt, und nicht als oberpfälzisch im Gegensatz<lb/> Zu fränkischem —el. Vgl. die Arbeiten von Gerbet, Weiche und Philipp über die Mundarten<lb/> des Vogtlandes, der Kirchfnlirt Schnitz und Zwicknus.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0712]
Zur äußern Geschichte unsrer Sprache
zu Ende des achten Jahrhunderts wieder ein Vorstoß des Deutschtums begann,
im Süden mit solchem Erfolge, daß schon 822 der Name der Avaren zum
letztenmal erscheint. Bis 850 ergießt sich nun das Deutschtum zunächst das
rechte Douauufer hinab bis zum Wiener Wald, in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts auch links von dem Flusse auf Mähren zu. Das zehnte Jahr¬
hundert vernichtete freilich fast allen Gewinn des neunten im Osten wieder,
sodaß auch hier erst mit dem Jahre 1000 ein längeres ununterbrochnes Vor¬
dringen des Deutschtums einsetzt. Die Ungarn kamen. Und was unter Otto I.
»ach der Schlacht auf dem Lechfelde im Süden und Norden den Ostfeindeu
abgerungen wurde, ging in dem großen Slawenaufstande beim Tode Ottos II.
abermals verloren. Das Bistum Bamberg, das zu Anfang des elften Jahr¬
hunderts gegründet wurde, ist ein Eckstein sür das Vordringen der deutschen
Sprache im Osten gewesen. Erst jetzt wurden die slawischen Einschüsse im
Ostfräiikischen") völlig germanisirt. Und von Oberfranken ging es hinüber ins
Egerland. Der Ungarnfeldzug von 1043 sicherte die Leitha-Marchlinie. Aber
noch waren die Slawen Herren nördlich von Meißen und der Lausitz. Erst
das zwölfte Jahrhundert bringt es unter der kräftigen Leitung Lothars, Albrechts
des Bären und Heinrich des Löwen zur Kolonisation Brandenburgs, während
gleichzeitig südlich Mitteldeutsche tief in das ungarische Bergland bis in die
Zips und nach Siebenbürgen vordringen. Um die Wende des zwölften und
dreizehnten Jahrhunderts sehen wir das Einströmen fränkischer und nieder¬
deutscher Bauern in Schlesien,**) um die Wende des dreizehnten die Haupt-
einwanderung nach Böhmen und die Besitzergreifung nordöstlichster Gebiete durch
den Deutschen Orden. Das vierzehnte Jahrhundert bringt auch im Nord'öfter
uoch Fortschritte, befestigt aber in der Hauptsache und baut aus. Habsburger
und Luxemburger regieren über die deutsche Zunge von ihren eben erworbnen
Ostgebieten aus und knüpfen diese damit fester an das Ganze. Böhmen ist
damals seiner Litteratur nach nahezu ein völlig deutsches Land gewesen. Noch
*) Im neunten Jahrhundert sitzen viele Slawen diesseits der Grenze in Thüringen, um
Unita, an obern Main, an derRednitz; noch im achtzehnten Jahrhundert sprach man wendisch
bei Dannenberg an der untern Elbe, noch heute haben wir die Wenden der Lausitz: kleine Zeug¬
nisse für die große nachträgliche Arbeit der innern Kolonisation.
Man hat sür Schlesien auch um bayrische Ansiedler denken zu müssen geglaubt wegen
des Deminutivsuffixes —el, —l. Zu dessen Erklärung genügt aber die Annahme fränkischer Kolo¬
nisten, wie sie für den ganzen Südstreifen des Königreichs Sachsen allein nachweisbar ist, wo
dasselbe Suffix allein gebraucht wird. In Schnitz z. B,, dessen Ansiedler nachweislich aus der
Vamberger Gegend stammen, tritt die doppelte Verkleinerung —est nur in geringschätzigen Sinne
auf oder nach Liquiden zur scharfer» Abhebung des SnffixeZ: wer — chen allein statt —el ge¬
braucht, wird mis Zieraffe ausgelacht. Die längere Form —ele (Südwestsachscn) erklärt sich wohl
am einfachsten als vollere, weil nebentonige Mestnlt, und nicht als oberpfälzisch im Gegensatz
Zu fränkischem —el. Vgl. die Arbeiten von Gerbet, Weiche und Philipp über die Mundarten
des Vogtlandes, der Kirchfnlirt Schnitz und Zwicknus.
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