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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gegenüber diesen großen Vorteile", die die Abschaffung des Vorrechts des
einjährigen Heeresdienstes für die Schule und für das ganze soziale Leben im
großen und im einzelnen zur Folge haben würde, kann man kaum noch für
die Beibehaltung dieser Einrichtung weiter eintreten. Erst mit dem Aufgeben
dieses Vorrechts würde die allgemeine Wehrpflicht wirklich durchgeführt sein.




Zur äußern Geschichte unsrer Sprache

meer Deutsch versteht die Wissenschaft die Sprache, die heute von
Gravelingen bis Preßburg und Se. Gotthard an der Raab, von
Tilsit bis zur Birs und an den Monte Rosa gesprochen wird.
Wir Deutschen, mit Einschluß also nicht nur der deutschen
Schweizer und Österreicher, sondern auch der Holländer und
Blauen, machen den größern südöstlichen Teil der westgermanischen Volks¬
stämme aus, den kleinern nordwestlichen bilden mit wesentlich abweichender
Sprache die Friesen und die Engländer. Noch ferner stehen uns sprachlich
die Nordgermanen und standen uns die Ostgermanen, die germanischen Opfer
der Völkerwanderung. Die hochbegabten Goten und die Vandalen, die Bur¬
gunder und Langobarden haben sich alle bei dem Versuche, Nationalstaaten
zu gründen, verblutet, die beiden letzten im Kampfe mit germanischen Brüdern,
von vielen kleinen germanischen Vvlkersplittern zu schweigen, und seit der Mitte
des neunten Jahrhunderts sind uns auch die romanisirten Westfrankcn verloren
gegangen; erst wir Deutschen des zweiten Jahrtausends haben uns zur Nation
bilden können.

Romanen und Slawen sind unsre Nachbarn. Gegen die Romanen steht
unsre Sprachgrenze im großen und ganzen seit tausend Jahren fest: hüben und
drüben sitzt eine geschlossene Masse bis unmittelbar an die Grenze heran, Ein¬
sprengsel fehlen im Westen ganz, im Süden fast ganz. In der ersten Hälfte
unsers Jahrtausends haben allerdings die Deutschen die Romanen stellenweise
etwas zurückgeschoben, und in der zweiten Hälfte hat eine langsame umgekehrte
Bewegung stattgefunden: erst die jüngste Gegenwart scheint dem Vordringen
des Romanentums wieder Einhalt zu thun. Im vierzehnten Jahrhundert war
Flandern das stärkste Bollwerk des Deutschtums im Westen, in Elsaß-Loth¬
ringen gewinnt das Deutsche vom Beginn des dreizehnten bis zur Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts ganz allmählich, aber auf breiter Linie an Boden,
durch die Besiedlung des Oberwallis vom Haslithal aus wurde in mittelhoch-


Gegenüber diesen großen Vorteile», die die Abschaffung des Vorrechts des
einjährigen Heeresdienstes für die Schule und für das ganze soziale Leben im
großen und im einzelnen zur Folge haben würde, kann man kaum noch für
die Beibehaltung dieser Einrichtung weiter eintreten. Erst mit dem Aufgeben
dieses Vorrechts würde die allgemeine Wehrpflicht wirklich durchgeführt sein.




Zur äußern Geschichte unsrer Sprache

meer Deutsch versteht die Wissenschaft die Sprache, die heute von
Gravelingen bis Preßburg und Se. Gotthard an der Raab, von
Tilsit bis zur Birs und an den Monte Rosa gesprochen wird.
Wir Deutschen, mit Einschluß also nicht nur der deutschen
Schweizer und Österreicher, sondern auch der Holländer und
Blauen, machen den größern südöstlichen Teil der westgermanischen Volks¬
stämme aus, den kleinern nordwestlichen bilden mit wesentlich abweichender
Sprache die Friesen und die Engländer. Noch ferner stehen uns sprachlich
die Nordgermanen und standen uns die Ostgermanen, die germanischen Opfer
der Völkerwanderung. Die hochbegabten Goten und die Vandalen, die Bur¬
gunder und Langobarden haben sich alle bei dem Versuche, Nationalstaaten
zu gründen, verblutet, die beiden letzten im Kampfe mit germanischen Brüdern,
von vielen kleinen germanischen Vvlkersplittern zu schweigen, und seit der Mitte
des neunten Jahrhunderts sind uns auch die romanisirten Westfrankcn verloren
gegangen; erst wir Deutschen des zweiten Jahrtausends haben uns zur Nation
bilden können.

Romanen und Slawen sind unsre Nachbarn. Gegen die Romanen steht
unsre Sprachgrenze im großen und ganzen seit tausend Jahren fest: hüben und
drüben sitzt eine geschlossene Masse bis unmittelbar an die Grenze heran, Ein¬
sprengsel fehlen im Westen ganz, im Süden fast ganz. In der ersten Hälfte
unsers Jahrtausends haben allerdings die Deutschen die Romanen stellenweise
etwas zurückgeschoben, und in der zweiten Hälfte hat eine langsame umgekehrte
Bewegung stattgefunden: erst die jüngste Gegenwart scheint dem Vordringen
des Romanentums wieder Einhalt zu thun. Im vierzehnten Jahrhundert war
Flandern das stärkste Bollwerk des Deutschtums im Westen, in Elsaß-Loth¬
ringen gewinnt das Deutsche vom Beginn des dreizehnten bis zur Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts ganz allmählich, aber auf breiter Linie an Boden,
durch die Besiedlung des Oberwallis vom Haslithal aus wurde in mittelhoch-


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[0710] Gegenüber diesen großen Vorteile», die die Abschaffung des Vorrechts des einjährigen Heeresdienstes für die Schule und für das ganze soziale Leben im großen und im einzelnen zur Folge haben würde, kann man kaum noch für die Beibehaltung dieser Einrichtung weiter eintreten. Erst mit dem Aufgeben dieses Vorrechts würde die allgemeine Wehrpflicht wirklich durchgeführt sein. Zur äußern Geschichte unsrer Sprache meer Deutsch versteht die Wissenschaft die Sprache, die heute von Gravelingen bis Preßburg und Se. Gotthard an der Raab, von Tilsit bis zur Birs und an den Monte Rosa gesprochen wird. Wir Deutschen, mit Einschluß also nicht nur der deutschen Schweizer und Österreicher, sondern auch der Holländer und Blauen, machen den größern südöstlichen Teil der westgermanischen Volks¬ stämme aus, den kleinern nordwestlichen bilden mit wesentlich abweichender Sprache die Friesen und die Engländer. Noch ferner stehen uns sprachlich die Nordgermanen und standen uns die Ostgermanen, die germanischen Opfer der Völkerwanderung. Die hochbegabten Goten und die Vandalen, die Bur¬ gunder und Langobarden haben sich alle bei dem Versuche, Nationalstaaten zu gründen, verblutet, die beiden letzten im Kampfe mit germanischen Brüdern, von vielen kleinen germanischen Vvlkersplittern zu schweigen, und seit der Mitte des neunten Jahrhunderts sind uns auch die romanisirten Westfrankcn verloren gegangen; erst wir Deutschen des zweiten Jahrtausends haben uns zur Nation bilden können. Romanen und Slawen sind unsre Nachbarn. Gegen die Romanen steht unsre Sprachgrenze im großen und ganzen seit tausend Jahren fest: hüben und drüben sitzt eine geschlossene Masse bis unmittelbar an die Grenze heran, Ein¬ sprengsel fehlen im Westen ganz, im Süden fast ganz. In der ersten Hälfte unsers Jahrtausends haben allerdings die Deutschen die Romanen stellenweise etwas zurückgeschoben, und in der zweiten Hälfte hat eine langsame umgekehrte Bewegung stattgefunden: erst die jüngste Gegenwart scheint dem Vordringen des Romanentums wieder Einhalt zu thun. Im vierzehnten Jahrhundert war Flandern das stärkste Bollwerk des Deutschtums im Westen, in Elsaß-Loth¬ ringen gewinnt das Deutsche vom Beginn des dreizehnten bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ganz allmählich, aber auf breiter Linie an Boden, durch die Besiedlung des Oberwallis vom Haslithal aus wurde in mittelhoch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/710>, abgerufen am 12.12.2024.