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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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leicht einen zu hohen Begriff von der hier gemeinten Bildung bekommen,
wenn er von der Kenntnis zweier fremder Sprachen liest. Man vergesse aber
nicht, daß es sich nicht um die Kenntnis, sondern nur um die ersten Elemente
der fremden Sprachen handelt. Die Bildung des Einjährigen bricht gerade da
ab, wo die Beschäftigung mit der fremden Sprache erst ihren eigentlichen Bil¬
dungswert bekommt. Die Kenntnis der ersten Elemente einer fremden Sprache
giebt bekanntlich keine Bildung, diese bietet eine fremde Sprache erst, wenn
man über die bloße grammatische Stümperei hinaus ist. Es hängt mit dem
Philologischen Bildungsgange des deutschen Volkes eng zusammen, daß man
den Bildungswert der Sprachen bei weitem überschätzt. Wer etwa betont
Euripides. gilt für ungebildet, aber der Gebildete darf frei bekennen, daß er
nicht weiß, was spezifisches Gewicht sei, ohne an seinem Ansehen als Ge¬
bildeter etwas zu verlieren. Mit dieser Überschätzung der Stümperei in
fremden Sprachen hat man jetzt insofern zu brechen begonnen, als dem Volks¬
schullehrerseminar, das obligatorisch keine fremden Sprachen treibt, die Be¬
rechtigung zum einjährigen Militärdienst eingeräumt worden ist. Man wird
bald genug die Konsequenzen ziehen müssen. Warum dem Seminar, einer
dreijährigen Fachschule, zugestehen, was man den gewerblichen Fachschulen, dem
Technikum, der Bergschule, der Bauschule u. a. versagt? Ein Bahnmeister¬
oder Maurermeisteraspirant, der sich in einzelne Fächer verhältnismäßig weit
vertieft, meist höhere Analysis, Mechanik usw. getrieben und -- was nicht zu
vergessen ist -- auch praktisch anzuwenden gelernt hat, hat sicherlich eine
bessere Bildung als einer, der eine sogenannte Presse durchgemacht und sich
meist in allen Fächern viel unverdautes Zeug angeeignet hat.

Doch man mag die Grenze zwischen gebildeten und ungebildeten Personen
so oder anders bestimmen, ein großer Unterschied zwischen beiden wird immer
bleiben; ist es denn aber nötig, diese Grenze so augenfällig zu ziehen? Und
soll man sie so augenfällig ziehen gerade im Heeresdienste, wo doch die all¬
gemeine Gleichheit des Dienstes, der Pflicht, der Leistung, der Opfer für das
Vaterland am meisten zu Tage treten sollte? Dazu kommt, daß der Unter¬
schied von gebildet und ungebildet oft nur ein Unterschied von reich und
arm ist. Denn der Reiche, auch wenn er wenig für höhere Bildung geeignet
ist, weiß sich doch durch den kostspieligen Unterricht auf besondern Dressur¬
anstalten das Prädikat Gebildet zu verschaffen. Auch der Unterschied zwischen
arm und reich wird freilich nie ausgeglichen werden, aber soll man ihn so
grell hervortreten lassen gerade da, wo im Dienst für das Vaterland arm und
reich keinen Unterschied machen darf?

Vielleicht sagt man: Im Kriege besteht dieser Unterschied nicht. Im
Kriege wohl, aber glücklicherweise sind die Kriege recht selten. Und im Frieden
ist doch ein sehr augenfälliger Unterschied zwischen einem Einjährigen und
einem Zwei- oder Dreijährigen. Sie sind allenfalls gleich im äußern Dienst,


leicht einen zu hohen Begriff von der hier gemeinten Bildung bekommen,
wenn er von der Kenntnis zweier fremder Sprachen liest. Man vergesse aber
nicht, daß es sich nicht um die Kenntnis, sondern nur um die ersten Elemente
der fremden Sprachen handelt. Die Bildung des Einjährigen bricht gerade da
ab, wo die Beschäftigung mit der fremden Sprache erst ihren eigentlichen Bil¬
dungswert bekommt. Die Kenntnis der ersten Elemente einer fremden Sprache
giebt bekanntlich keine Bildung, diese bietet eine fremde Sprache erst, wenn
man über die bloße grammatische Stümperei hinaus ist. Es hängt mit dem
Philologischen Bildungsgange des deutschen Volkes eng zusammen, daß man
den Bildungswert der Sprachen bei weitem überschätzt. Wer etwa betont
Euripides. gilt für ungebildet, aber der Gebildete darf frei bekennen, daß er
nicht weiß, was spezifisches Gewicht sei, ohne an seinem Ansehen als Ge¬
bildeter etwas zu verlieren. Mit dieser Überschätzung der Stümperei in
fremden Sprachen hat man jetzt insofern zu brechen begonnen, als dem Volks¬
schullehrerseminar, das obligatorisch keine fremden Sprachen treibt, die Be¬
rechtigung zum einjährigen Militärdienst eingeräumt worden ist. Man wird
bald genug die Konsequenzen ziehen müssen. Warum dem Seminar, einer
dreijährigen Fachschule, zugestehen, was man den gewerblichen Fachschulen, dem
Technikum, der Bergschule, der Bauschule u. a. versagt? Ein Bahnmeister¬
oder Maurermeisteraspirant, der sich in einzelne Fächer verhältnismäßig weit
vertieft, meist höhere Analysis, Mechanik usw. getrieben und — was nicht zu
vergessen ist — auch praktisch anzuwenden gelernt hat, hat sicherlich eine
bessere Bildung als einer, der eine sogenannte Presse durchgemacht und sich
meist in allen Fächern viel unverdautes Zeug angeeignet hat.

Doch man mag die Grenze zwischen gebildeten und ungebildeten Personen
so oder anders bestimmen, ein großer Unterschied zwischen beiden wird immer
bleiben; ist es denn aber nötig, diese Grenze so augenfällig zu ziehen? Und
soll man sie so augenfällig ziehen gerade im Heeresdienste, wo doch die all¬
gemeine Gleichheit des Dienstes, der Pflicht, der Leistung, der Opfer für das
Vaterland am meisten zu Tage treten sollte? Dazu kommt, daß der Unter¬
schied von gebildet und ungebildet oft nur ein Unterschied von reich und
arm ist. Denn der Reiche, auch wenn er wenig für höhere Bildung geeignet
ist, weiß sich doch durch den kostspieligen Unterricht auf besondern Dressur¬
anstalten das Prädikat Gebildet zu verschaffen. Auch der Unterschied zwischen
arm und reich wird freilich nie ausgeglichen werden, aber soll man ihn so
grell hervortreten lassen gerade da, wo im Dienst für das Vaterland arm und
reich keinen Unterschied machen darf?

Vielleicht sagt man: Im Kriege besteht dieser Unterschied nicht. Im
Kriege wohl, aber glücklicherweise sind die Kriege recht selten. Und im Frieden
ist doch ein sehr augenfälliger Unterschied zwischen einem Einjährigen und
einem Zwei- oder Dreijährigen. Sie sind allenfalls gleich im äußern Dienst,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/706>, abgerufen am 24.07.2024.