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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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recht" als Forderungen erscheinen mögen, die man mit "vergilbten Pergamenten"
begründet, so natürlich erscheint unter den heutigen Umständen die Absonderung
der vorherrschend tschechischen Länder als Anfang einer Neuorganisation der
österreichischen Monarchie. Auch die Sozialdemokraten fangen an, die Frage
zu erörtern,'") ob nicht die Trennung der industriellen Sudetenländer von den
agrarischen Alpenlündern und dem halbasiatischen Galizien vorteilhaft für sie
sein würde. Die Absonderung Galiziens und Dalmatiens von Cisleithanien
wird auch im deutschen Lager ganz allgemein gefordert. Geographisch gehört
Galizien zu Trans, aber die Ungarn mochten es nicht, um nicht ihre ohnehin
schon zweifelhafte magyarische Mehrheit ganz in die Brüche gehen zu lassen.
Die Forderung der Absonderung dieser Länder fanden wir dieser Tage in einer
Zentrumskorrespondenz vertreten; selbst die deutschen Klerikalen finden es un¬
gehörig, sich von Polen und Kroaten majorisiren und sich noch dazu von der
polnischen Schlachta finanziell ausbeuten zu lassen. In gewissen deutsch¬
nationalen Kreisen aber geht man, wie ich aus Briefen weiß, noch weiter,
man wünscht die Auflösung des Kaiserstaats in einen Staatenbund, der die
rein oder überwiegend deutschen Länder zu einem Sonderstaate vereinigen
und dessen Bewohnern ihr Deutschtum sichern soll; auch der Reichshauptstadt
Wien, die jetzt tschechisirt zu werden in Gefahr schwebt, bliebe dann ihr
deutscher Charakter gewahrt- Die Deutschen der Sudetenprovinzen blieben
zwar in übler Lage, aber schlimmer, als sie jetzt ist, könnte sie auch nicht
werden, und bei aller empfindlichen Einbuße an politischer Macht würden doch
ihr deutscher Volkscharakter und ihre Sprache schon deswegen nicht ernstlich
gefährdet werden, weil sie nicht im Innern des Wenzelstaates, sondern an
seinen Grenzen wohnen und mit den Reichsdeutschen in regem geselligem und
Geschäftsverkehr bleiben. Selbstverständlich würde auch das neue, nicht mehr
dualistische, sondern Pluralistische Österreich <denn Ungarn würde doch nur ein
Bundesstaat wie die andern sein), eines Zentralparlaments bedürfen; aber dessen
Kompetenz würde auf Militär, Auswärtiges und Zollangelegenheiten ein¬
geschränkt sein. Daß bei solcher Schwächung der Zentralgewalt der Staat
einmal auseinanderfiele, wäre nicht zu befürchten, so lange der heutige politische
Zustand Europas fortdauert, bei dem es, wie die Wiener Arbeiterzeitung einmal
sagte, keinen Platz giebt, wo die verschiednen Länder hinfallen könnten. Dieser
Weg sollte demnach, als vorläufiges Auskunftsmittel, einmal von allen
Deutschen ernstlich ins Auge gefaßt werden.





") Neue Zeit, Ur. !> und 10.
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recht" als Forderungen erscheinen mögen, die man mit „vergilbten Pergamenten"
begründet, so natürlich erscheint unter den heutigen Umständen die Absonderung
der vorherrschend tschechischen Länder als Anfang einer Neuorganisation der
österreichischen Monarchie. Auch die Sozialdemokraten fangen an, die Frage
zu erörtern,'") ob nicht die Trennung der industriellen Sudetenländer von den
agrarischen Alpenlündern und dem halbasiatischen Galizien vorteilhaft für sie
sein würde. Die Absonderung Galiziens und Dalmatiens von Cisleithanien
wird auch im deutschen Lager ganz allgemein gefordert. Geographisch gehört
Galizien zu Trans, aber die Ungarn mochten es nicht, um nicht ihre ohnehin
schon zweifelhafte magyarische Mehrheit ganz in die Brüche gehen zu lassen.
Die Forderung der Absonderung dieser Länder fanden wir dieser Tage in einer
Zentrumskorrespondenz vertreten; selbst die deutschen Klerikalen finden es un¬
gehörig, sich von Polen und Kroaten majorisiren und sich noch dazu von der
polnischen Schlachta finanziell ausbeuten zu lassen. In gewissen deutsch¬
nationalen Kreisen aber geht man, wie ich aus Briefen weiß, noch weiter,
man wünscht die Auflösung des Kaiserstaats in einen Staatenbund, der die
rein oder überwiegend deutschen Länder zu einem Sonderstaate vereinigen
und dessen Bewohnern ihr Deutschtum sichern soll; auch der Reichshauptstadt
Wien, die jetzt tschechisirt zu werden in Gefahr schwebt, bliebe dann ihr
deutscher Charakter gewahrt- Die Deutschen der Sudetenprovinzen blieben
zwar in übler Lage, aber schlimmer, als sie jetzt ist, könnte sie auch nicht
werden, und bei aller empfindlichen Einbuße an politischer Macht würden doch
ihr deutscher Volkscharakter und ihre Sprache schon deswegen nicht ernstlich
gefährdet werden, weil sie nicht im Innern des Wenzelstaates, sondern an
seinen Grenzen wohnen und mit den Reichsdeutschen in regem geselligem und
Geschäftsverkehr bleiben. Selbstverständlich würde auch das neue, nicht mehr
dualistische, sondern Pluralistische Österreich <denn Ungarn würde doch nur ein
Bundesstaat wie die andern sein), eines Zentralparlaments bedürfen; aber dessen
Kompetenz würde auf Militär, Auswärtiges und Zollangelegenheiten ein¬
geschränkt sein. Daß bei solcher Schwächung der Zentralgewalt der Staat
einmal auseinanderfiele, wäre nicht zu befürchten, so lange der heutige politische
Zustand Europas fortdauert, bei dem es, wie die Wiener Arbeiterzeitung einmal
sagte, keinen Platz giebt, wo die verschiednen Länder hinfallen könnten. Dieser
Weg sollte demnach, als vorläufiges Auskunftsmittel, einmal von allen
Deutschen ernstlich ins Auge gefaßt werden.





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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/703>, abgerufen am 12.12.2024.