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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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reich gesichert gewesen,*) wenn Cisleithanien ins Deutsche Reich aufgenommen
worden wäre; daß sechstehalb Millionen Tschechen in nationalen Fragen gegen
sechzig und mehr Millionen Deutsche nichts ausrichten könnten, liegt auf der
Hand. Das hat schon der Vater des Neutschechentums, Palacty, erkannt, wie
sein Brief an das Frankfurter Vorparlament beweist, den Vrba als Anhang
abdrückt. Er war zur Teilnahme an den Beratungen dieser Versammlung ein¬
geladen worden. Er dankt für die hohe Ehre, lehnt aber entschieden ab. Er
sei ein Böhme slawischer Abstammung, gehöre also nicht in eine Versammlung,
die sich die Neuordnung Deutschlands zur Aufgabe gesetzt habe. Zudem scheine
ihm die Tendenz der Frankfurter Herren auf die Vernichtung Österreichs als
eines unabhängigen Staats gerichtet zu sein, und dagegen müsse er protestiren.
Die Donaumonarchie habe die Aufgabe, die um die mittlere und untere Donau
gelagerten Völkerschaften zu einem Staate zu vereinigen, der stark genug sei,
gegen die Weltherrschaftsgelüste Rußlands einen Damm zu bilden; solle dieser
Staat aber stark sein, so müsse er zunächst unabhängig bleiben und dann die
innere Zwietracht dadurch überwinden, daß er allen seinen Nationalitäten
Gleichberechtigung einräume. Die Forderung, Österreich solle sich "volkstüm¬
lich" an Deutschland anschließen, d. h. in Deutschland aufgehen, bedeute die
Zumutung des Selbstmords, habe also weder Sinn noch Berechtigung. Einen
weit bessern Sinn würde die Forderung haben, Deutschland solle sich an Öster¬
reich anschließen, d. h. mit Österreich zusammen einen Staat bilden, dessen
Hauptstadt Wien wäre. Ist aber, schließt er, "auch diese Zumutung dem
deutschen Nationalgefühl gegenüber unstatthaft, so erübrigt nichts, als daß
beide Mächte, Österreich und Deutschland, neben einander gleichberechtigt sich
konstituiren, ihren bisherigen Bund in ein ewiges Schutz- und Trutzbündnis
verwandeln und allenfalls noch, wenn solches ihren beiderseitigen materiellen
Interessen zusagt, eine Zolleinigung unter einander abschließen." Also was
den Deutschen die Mehrheit und damit die Herrschaft in Österreich gesichert
hätte, ein Großdeutschland mit preußischer Spitze, ist nicht möglich gewesen;
das Jahr 1866 hat das 1848er Programm des Tschechenführers verwirklicht,
um die Mehrheit der Deutschen ist es geschehen und damit um ihre Herrschaft
in einem konstitutionellen Gesamtösterreich und auch schon in einem konstitu¬
tionellen Cisleithanien. Man wende nicht ein, daß ja auch im Deutschen Reiche
eine Minderheit ihren Willen durchgesetzt habe -- bei der Beendigung des
Kulturkampfes. Auf konstitutionellem Wege Hütten die Katholiken ihren Willen
nicht durchgesetzt, wenigstens nicht sobald; es war Bismcirck, der den Kultur¬
kampf beendet hat und beenden konnte, weil ihm die Mehrheit, wenn auch



*) Die politische, die offne, unmittelbare und verfassungsmäßige Herrschaft; indirekt,
durch überlegne .Kultur, oder durchs Geld, kann auch eine kleine Minderheit herrschen, wie nach
der Meinung ihrer Gegner in mehreren Staaten die Juden. Die Herrschaft durch Privilegien
ist eben im modernen Verfnssungssiaat ausgeschlossen.

reich gesichert gewesen,*) wenn Cisleithanien ins Deutsche Reich aufgenommen
worden wäre; daß sechstehalb Millionen Tschechen in nationalen Fragen gegen
sechzig und mehr Millionen Deutsche nichts ausrichten könnten, liegt auf der
Hand. Das hat schon der Vater des Neutschechentums, Palacty, erkannt, wie
sein Brief an das Frankfurter Vorparlament beweist, den Vrba als Anhang
abdrückt. Er war zur Teilnahme an den Beratungen dieser Versammlung ein¬
geladen worden. Er dankt für die hohe Ehre, lehnt aber entschieden ab. Er
sei ein Böhme slawischer Abstammung, gehöre also nicht in eine Versammlung,
die sich die Neuordnung Deutschlands zur Aufgabe gesetzt habe. Zudem scheine
ihm die Tendenz der Frankfurter Herren auf die Vernichtung Österreichs als
eines unabhängigen Staats gerichtet zu sein, und dagegen müsse er protestiren.
Die Donaumonarchie habe die Aufgabe, die um die mittlere und untere Donau
gelagerten Völkerschaften zu einem Staate zu vereinigen, der stark genug sei,
gegen die Weltherrschaftsgelüste Rußlands einen Damm zu bilden; solle dieser
Staat aber stark sein, so müsse er zunächst unabhängig bleiben und dann die
innere Zwietracht dadurch überwinden, daß er allen seinen Nationalitäten
Gleichberechtigung einräume. Die Forderung, Österreich solle sich „volkstüm¬
lich" an Deutschland anschließen, d. h. in Deutschland aufgehen, bedeute die
Zumutung des Selbstmords, habe also weder Sinn noch Berechtigung. Einen
weit bessern Sinn würde die Forderung haben, Deutschland solle sich an Öster¬
reich anschließen, d. h. mit Österreich zusammen einen Staat bilden, dessen
Hauptstadt Wien wäre. Ist aber, schließt er, „auch diese Zumutung dem
deutschen Nationalgefühl gegenüber unstatthaft, so erübrigt nichts, als daß
beide Mächte, Österreich und Deutschland, neben einander gleichberechtigt sich
konstituiren, ihren bisherigen Bund in ein ewiges Schutz- und Trutzbündnis
verwandeln und allenfalls noch, wenn solches ihren beiderseitigen materiellen
Interessen zusagt, eine Zolleinigung unter einander abschließen." Also was
den Deutschen die Mehrheit und damit die Herrschaft in Österreich gesichert
hätte, ein Großdeutschland mit preußischer Spitze, ist nicht möglich gewesen;
das Jahr 1866 hat das 1848er Programm des Tschechenführers verwirklicht,
um die Mehrheit der Deutschen ist es geschehen und damit um ihre Herrschaft
in einem konstitutionellen Gesamtösterreich und auch schon in einem konstitu¬
tionellen Cisleithanien. Man wende nicht ein, daß ja auch im Deutschen Reiche
eine Minderheit ihren Willen durchgesetzt habe — bei der Beendigung des
Kulturkampfes. Auf konstitutionellem Wege Hütten die Katholiken ihren Willen
nicht durchgesetzt, wenigstens nicht sobald; es war Bismcirck, der den Kultur¬
kampf beendet hat und beenden konnte, weil ihm die Mehrheit, wenn auch



*) Die politische, die offne, unmittelbare und verfassungsmäßige Herrschaft; indirekt,
durch überlegne .Kultur, oder durchs Geld, kann auch eine kleine Minderheit herrschen, wie nach
der Meinung ihrer Gegner in mehreren Staaten die Juden. Die Herrschaft durch Privilegien
ist eben im modernen Verfnssungssiaat ausgeschlossen.
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[0701] reich gesichert gewesen,*) wenn Cisleithanien ins Deutsche Reich aufgenommen worden wäre; daß sechstehalb Millionen Tschechen in nationalen Fragen gegen sechzig und mehr Millionen Deutsche nichts ausrichten könnten, liegt auf der Hand. Das hat schon der Vater des Neutschechentums, Palacty, erkannt, wie sein Brief an das Frankfurter Vorparlament beweist, den Vrba als Anhang abdrückt. Er war zur Teilnahme an den Beratungen dieser Versammlung ein¬ geladen worden. Er dankt für die hohe Ehre, lehnt aber entschieden ab. Er sei ein Böhme slawischer Abstammung, gehöre also nicht in eine Versammlung, die sich die Neuordnung Deutschlands zur Aufgabe gesetzt habe. Zudem scheine ihm die Tendenz der Frankfurter Herren auf die Vernichtung Österreichs als eines unabhängigen Staats gerichtet zu sein, und dagegen müsse er protestiren. Die Donaumonarchie habe die Aufgabe, die um die mittlere und untere Donau gelagerten Völkerschaften zu einem Staate zu vereinigen, der stark genug sei, gegen die Weltherrschaftsgelüste Rußlands einen Damm zu bilden; solle dieser Staat aber stark sein, so müsse er zunächst unabhängig bleiben und dann die innere Zwietracht dadurch überwinden, daß er allen seinen Nationalitäten Gleichberechtigung einräume. Die Forderung, Österreich solle sich „volkstüm¬ lich" an Deutschland anschließen, d. h. in Deutschland aufgehen, bedeute die Zumutung des Selbstmords, habe also weder Sinn noch Berechtigung. Einen weit bessern Sinn würde die Forderung haben, Deutschland solle sich an Öster¬ reich anschließen, d. h. mit Österreich zusammen einen Staat bilden, dessen Hauptstadt Wien wäre. Ist aber, schließt er, „auch diese Zumutung dem deutschen Nationalgefühl gegenüber unstatthaft, so erübrigt nichts, als daß beide Mächte, Österreich und Deutschland, neben einander gleichberechtigt sich konstituiren, ihren bisherigen Bund in ein ewiges Schutz- und Trutzbündnis verwandeln und allenfalls noch, wenn solches ihren beiderseitigen materiellen Interessen zusagt, eine Zolleinigung unter einander abschließen." Also was den Deutschen die Mehrheit und damit die Herrschaft in Österreich gesichert hätte, ein Großdeutschland mit preußischer Spitze, ist nicht möglich gewesen; das Jahr 1866 hat das 1848er Programm des Tschechenführers verwirklicht, um die Mehrheit der Deutschen ist es geschehen und damit um ihre Herrschaft in einem konstitutionellen Gesamtösterreich und auch schon in einem konstitu¬ tionellen Cisleithanien. Man wende nicht ein, daß ja auch im Deutschen Reiche eine Minderheit ihren Willen durchgesetzt habe — bei der Beendigung des Kulturkampfes. Auf konstitutionellem Wege Hütten die Katholiken ihren Willen nicht durchgesetzt, wenigstens nicht sobald; es war Bismcirck, der den Kultur¬ kampf beendet hat und beenden konnte, weil ihm die Mehrheit, wenn auch *) Die politische, die offne, unmittelbare und verfassungsmäßige Herrschaft; indirekt, durch überlegne .Kultur, oder durchs Geld, kann auch eine kleine Minderheit herrschen, wie nach der Meinung ihrer Gegner in mehreren Staaten die Juden. Die Herrschaft durch Privilegien ist eben im modernen Verfnssungssiaat ausgeschlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/701>, abgerufen am 24.07.2024.