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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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seine Sache, und so macht er denn an andern Stellen der Reihe nach die
Juden, nicht als Sozinlistenftthrer. sondern als Finanzmänner, den Dualismus
oder die Magyaren, die deutschen Fabrikanten, die Religionslosigkeit für das
Elend der tschechischen Arbeiter verantwortlich. Von den Lehrern sagt er, daß
sie sich meistens zur Religion oder Religionslosigkeit der Sozialdemokraten be¬
kennten, daß aber in politischer Beziehung die deutschen der Partei Schmierers,
die tschechischen der radikalen Jungtschechenpartei angehörten. Da es aber
immerhin unter den tschechischen, ebenso wie unter den deutschen Lehrern auch
"och kirchlich gläubige giebt, so ist damit ein weiteres Element der Zerklüftung
gegeben. Kurzum, in dem Augenblicke, wo die Slawen nnter sich wären,
würden sie aufhören, ein einig Volk von Brüdern zu sein.

Das zweite, was nur beim Lesen dieser Schrift klar geworden ist. ist
positiver Natur. In all den schönen Artikeln deutscher Zeitungen, die den
kämpfenden deutscheu Brüdern in Österreich gewidmet werden, findet sich auch
nicht die Spur eines positiven Gehalts, d. h. nicht ein einziger Vorschlag,
dessen Ausführung eine Besserung der Lage herbeizuführen geeignet wäre. Sie
sind allesamt nur Variationen des Themas: O diese unverschämten Slawen!
Euch allein, ihr deutschen Brüder, gebührt die Herrschaft in Österreich; haltet
nur tapfer Stand und bändigt das slawische Gesinde!! Das haben sich nun
die deutschen Brüder seit dreißig Jahren selbst gesagt, unaufhörlich gesagt,
haben es deu Slawen mit dem Munde, mit der Feder und mit den Fäusten
gesagt, sind aber damit keinen Schritt vorwärts, sondern immer nur rückwärts
gekommen. Noch in den dreißiger Jahren haben die Josephiner daran gearbeitet,
den Nationalitäten -- um einen Ausdruck Schäffles zu gebrauchen -- die
Zunge auszureißen; nicht einmal in der Schule, nicht einmal im Religions¬
unterricht, geschweige denn in der Amtsstube wollten sie die tschechische Sprache
dulden. Die Deutschliberalen gestanden zu der Zeit ihrer Herrschaft den
Tschechen in den rein tschechischen Bezirken den Gebrauch ihrer Muttersprache
zu beim Verkehr der Parteien mit den Behörden, während die innere Amts¬
sprache die deutsche blieb, d. h. beim Verkehr der Behörden unter einander deutsch
gesprochen und geschrieben werden mußte. Heute wolle" die Deutschen das
Tschechische den rein tschechischen Bezirken auch als innere Amtssprache zugestehen
und sträuben sich uur uoch gegen die von den Badenischen Verordnungen für
ganz Böhmen vorgeschriebne Zweisprachigkeit, die alle in Böhmen angestellten
oder anzustellenden deutschen Beamten zwingen würde, tschechisch zu lernen.
Ihren Willen gegen die Mehrheit durchzusetzen, giebt es im Verfassungsstaat
für die Minderheit kein Mittel; die Deutschen waren also den Slawen gegen¬
über in Angelegenheiten der Nationalität verloren, sobald sie in die Minderheit
geraten waren, denn es verstand sich nun von selbst, daß sich die Slawen jetzt
für das von Joseph und den josephinischen Zentralisten Erduldete rächen
würden. Nur dann wäre die politische Herrschaft der Deutschen in Öster-


Grenzboten IV 1898 87
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seine Sache, und so macht er denn an andern Stellen der Reihe nach die
Juden, nicht als Sozinlistenftthrer. sondern als Finanzmänner, den Dualismus
oder die Magyaren, die deutschen Fabrikanten, die Religionslosigkeit für das
Elend der tschechischen Arbeiter verantwortlich. Von den Lehrern sagt er, daß
sie sich meistens zur Religion oder Religionslosigkeit der Sozialdemokraten be¬
kennten, daß aber in politischer Beziehung die deutschen der Partei Schmierers,
die tschechischen der radikalen Jungtschechenpartei angehörten. Da es aber
immerhin unter den tschechischen, ebenso wie unter den deutschen Lehrern auch
»och kirchlich gläubige giebt, so ist damit ein weiteres Element der Zerklüftung
gegeben. Kurzum, in dem Augenblicke, wo die Slawen nnter sich wären,
würden sie aufhören, ein einig Volk von Brüdern zu sein.

Das zweite, was nur beim Lesen dieser Schrift klar geworden ist. ist
positiver Natur. In all den schönen Artikeln deutscher Zeitungen, die den
kämpfenden deutscheu Brüdern in Österreich gewidmet werden, findet sich auch
nicht die Spur eines positiven Gehalts, d. h. nicht ein einziger Vorschlag,
dessen Ausführung eine Besserung der Lage herbeizuführen geeignet wäre. Sie
sind allesamt nur Variationen des Themas: O diese unverschämten Slawen!
Euch allein, ihr deutschen Brüder, gebührt die Herrschaft in Österreich; haltet
nur tapfer Stand und bändigt das slawische Gesinde!! Das haben sich nun
die deutschen Brüder seit dreißig Jahren selbst gesagt, unaufhörlich gesagt,
haben es deu Slawen mit dem Munde, mit der Feder und mit den Fäusten
gesagt, sind aber damit keinen Schritt vorwärts, sondern immer nur rückwärts
gekommen. Noch in den dreißiger Jahren haben die Josephiner daran gearbeitet,
den Nationalitäten — um einen Ausdruck Schäffles zu gebrauchen — die
Zunge auszureißen; nicht einmal in der Schule, nicht einmal im Religions¬
unterricht, geschweige denn in der Amtsstube wollten sie die tschechische Sprache
dulden. Die Deutschliberalen gestanden zu der Zeit ihrer Herrschaft den
Tschechen in den rein tschechischen Bezirken den Gebrauch ihrer Muttersprache
zu beim Verkehr der Parteien mit den Behörden, während die innere Amts¬
sprache die deutsche blieb, d. h. beim Verkehr der Behörden unter einander deutsch
gesprochen und geschrieben werden mußte. Heute wolle» die Deutschen das
Tschechische den rein tschechischen Bezirken auch als innere Amtssprache zugestehen
und sträuben sich uur uoch gegen die von den Badenischen Verordnungen für
ganz Böhmen vorgeschriebne Zweisprachigkeit, die alle in Böhmen angestellten
oder anzustellenden deutschen Beamten zwingen würde, tschechisch zu lernen.
Ihren Willen gegen die Mehrheit durchzusetzen, giebt es im Verfassungsstaat
für die Minderheit kein Mittel; die Deutschen waren also den Slawen gegen¬
über in Angelegenheiten der Nationalität verloren, sobald sie in die Minderheit
geraten waren, denn es verstand sich nun von selbst, daß sich die Slawen jetzt
für das von Joseph und den josephinischen Zentralisten Erduldete rächen
würden. Nur dann wäre die politische Herrschaft der Deutschen in Öster-


Grenzboten IV 1898 87
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/700>, abgerufen am 24.07.2024.