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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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geworden ist, von Wichtigkeit zu sein. Das eine ist etwas negatives: daß,
wenn es gelänge, die Deutschen kalt zu stellen, ein auf sich selbst beschränktes
Nationalitätenparlament eben so wenig aktionsfähig sein würde wie das heutige,
die Deutschen daher ruhig abwarten könnten, bis es abgewirtschaftet hätte.
Es handelt sich nicht bloß um den weltgeschichtlichen Witz, daß die interessanten
Nationen gezwungen wären, deutsch mit einander zu verhandeln, um sich ver¬
ständigen zu können, wenn nicht etwa jeder Abgeordnete dazu verurteilt würde,
ein Jahr lang französische oder lateinische Konversationsstunden zu nehmen.
Auch nicht um den andern beinahe ebenso schönen Witz, daß die Ungarn, diese
unverschämtesten Unterdrücker des Deutschtums, um keinen Preis ein slawisches
Cis zulassen wollen, weil ein solches den slawischen Brüdern in Trans bei¬
springen und der magyarischen Herrlichkeit ein rasches Ende bereiten würde.
Sondern darum, daß, wie man aus dem vorliegende!, Buche sieht, die Slawen,
jn schon die Tschechen für sich allein arg zerklüftet sind. Ihre Einigkeit er¬
streckt sich nur auf den gemeinsamen Deutschenhaß, nicht einen Schritt weiter.
Die Alttschechen sind fromme und gläubige Katholiken, die Jungtschechen hus-
sitisch angehauchte Priesterfeinde. Die Streber unter den Tschechen, wie der
jungtschechische Finanzminister Kaizl, unterstützen die Regierung in ihrem Be¬
mühen, ganz Cisleithanien der Ausbeutung durch die Ungarn preiszugeben,
das tschechische Volk scheint, nach Vrbas Darstellung wenigstens, mit den
Deutschen im Widerstande gegen die ungarischen Finanzvirtuosen einig zu sein.
Und während die tschechischen Bürger und Bauern nationale Fanatiker sind,
pfeifen die sozialdemokratischen Arbeiter auf die Nationalität und stehen nur
insofern im Nationalitätenstreit auf der tschechischen Seite, als sie -- was
freilich Unsinn ist -- von einer Staatssprache nichts wissen wollen und für
alle Nationalitäten Gleichberechtigung fordern. Wie die Tschechen im ganzen
über die Juden denken, vermag ich nicht deutlich zu erkennen, aber soviel steht
fest, daß sie durch grundsätzliche Judenfeindschaft mit ihren galizischen Vettern
in Kollision geraten würden, denn der polnische Edelmann kann seinen Schank-
und Geldjuden nicht entbehren, wenn er auch, mittelalterliche" Überlieferungen
getreu, nichts dagegen hat, daß die Juden von Zeit zu Zeit abgeschlachtet oder
ausgeplündert werden. Den Juugtschecheu wirft die Arbeiterzeitung verschämten
Antisemitismus vor, und Vrba ist ein grimmiger und offner Judenfeind; nicht
weniger als die Juden haßt er auch die Sozialdemokraten und bringt beide
ihm widerwärtigen Menschensorten in innigste Verbindung mit einander. Er
erklärt alle Sozialdemokratenführer aller Länder für Juden und die christlichen
Arbeiter für ihre bethörten Opfer. Die sozialdemokratischen Arbeiter nennt er
ein verkommnes Gelichter und behauptet, daß die männlichen sämtlich Säufer,
die weiblichen Dirnen seien. Ausschließlich auf die Sozialdemokratie führt er
das Arbeiterelend zurück. Ausschließlich nämlich in dem Abschnitt, der von
der Sozialdemokratie handelt; aber Folgerichtigkeit und Gedächtnis sind nicht


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geworden ist, von Wichtigkeit zu sein. Das eine ist etwas negatives: daß,
wenn es gelänge, die Deutschen kalt zu stellen, ein auf sich selbst beschränktes
Nationalitätenparlament eben so wenig aktionsfähig sein würde wie das heutige,
die Deutschen daher ruhig abwarten könnten, bis es abgewirtschaftet hätte.
Es handelt sich nicht bloß um den weltgeschichtlichen Witz, daß die interessanten
Nationen gezwungen wären, deutsch mit einander zu verhandeln, um sich ver¬
ständigen zu können, wenn nicht etwa jeder Abgeordnete dazu verurteilt würde,
ein Jahr lang französische oder lateinische Konversationsstunden zu nehmen.
Auch nicht um den andern beinahe ebenso schönen Witz, daß die Ungarn, diese
unverschämtesten Unterdrücker des Deutschtums, um keinen Preis ein slawisches
Cis zulassen wollen, weil ein solches den slawischen Brüdern in Trans bei¬
springen und der magyarischen Herrlichkeit ein rasches Ende bereiten würde.
Sondern darum, daß, wie man aus dem vorliegende!, Buche sieht, die Slawen,
jn schon die Tschechen für sich allein arg zerklüftet sind. Ihre Einigkeit er¬
streckt sich nur auf den gemeinsamen Deutschenhaß, nicht einen Schritt weiter.
Die Alttschechen sind fromme und gläubige Katholiken, die Jungtschechen hus-
sitisch angehauchte Priesterfeinde. Die Streber unter den Tschechen, wie der
jungtschechische Finanzminister Kaizl, unterstützen die Regierung in ihrem Be¬
mühen, ganz Cisleithanien der Ausbeutung durch die Ungarn preiszugeben,
das tschechische Volk scheint, nach Vrbas Darstellung wenigstens, mit den
Deutschen im Widerstande gegen die ungarischen Finanzvirtuosen einig zu sein.
Und während die tschechischen Bürger und Bauern nationale Fanatiker sind,
pfeifen die sozialdemokratischen Arbeiter auf die Nationalität und stehen nur
insofern im Nationalitätenstreit auf der tschechischen Seite, als sie — was
freilich Unsinn ist — von einer Staatssprache nichts wissen wollen und für
alle Nationalitäten Gleichberechtigung fordern. Wie die Tschechen im ganzen
über die Juden denken, vermag ich nicht deutlich zu erkennen, aber soviel steht
fest, daß sie durch grundsätzliche Judenfeindschaft mit ihren galizischen Vettern
in Kollision geraten würden, denn der polnische Edelmann kann seinen Schank-
und Geldjuden nicht entbehren, wenn er auch, mittelalterliche» Überlieferungen
getreu, nichts dagegen hat, daß die Juden von Zeit zu Zeit abgeschlachtet oder
ausgeplündert werden. Den Juugtschecheu wirft die Arbeiterzeitung verschämten
Antisemitismus vor, und Vrba ist ein grimmiger und offner Judenfeind; nicht
weniger als die Juden haßt er auch die Sozialdemokraten und bringt beide
ihm widerwärtigen Menschensorten in innigste Verbindung mit einander. Er
erklärt alle Sozialdemokratenführer aller Länder für Juden und die christlichen
Arbeiter für ihre bethörten Opfer. Die sozialdemokratischen Arbeiter nennt er
ein verkommnes Gelichter und behauptet, daß die männlichen sämtlich Säufer,
die weiblichen Dirnen seien. Ausschließlich auf die Sozialdemokratie führt er
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/699>, abgerufen am 12.12.2024.