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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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und mit der staatsmämiisch-methodischen Obstruktion versuchen -- das ändert
nichts daran, daß die Volksvertretung in dem Augenblick gelähmt ist, wo die
Minderheit erklärt, sich der Mehrheit nicht fügen zu wollen. Und bei diesem
Zustande bleibt es vorläufig in Cisleithcmicn; denn, wie allgemein anerkannt
wird, in dem unwahrscheinlichen Falle, daß es die Deutschen zu einer Mehr¬
heit brächten, würden ja die Slawen obstruiren. Damit ist der § 14 zum
Herrscher eingesetzt, ein ministerieller Absolutismus, der sich dem Hochadel und
der mit ihm eng verbundnen Hochfinanz als gefügiges Werkzeug erweist.

Diesen merkwürdigen Zustand auch einmal mit den Augen eines Tschechen
zu betrachten, muß nicht uninteressant sein, dachte ich, als mir der Vrba in die
Hände siel; beim Lesen bemerkte ich dann, daß es auch lehrreich und nützlich
sei. Nicht etwa, daß das Buch in die Betrachtung der österreichischen Ver¬
wirrung einige Ordnung brächte; es ist selbst nur ein wüstes Gemengsel von
Zeitungsausschnitten, Lesefrüchten aus Palacky, Statistiker, Betrachtungen,
Predigten, Ausrufungen, ohne Plan und Ordnung. Auch wird den zum Über¬
druß breit getretner streitigen Gegenständen keine neue Seite abgewonnen.
Der Streitpunkt, der beide Parteien im innersten berührt, der die Quelle des
nationalen Fanatismus ist, und der alle Völker Österreichs in leidenschaftlicher
Erregung erhält, der ist nicht zu heben, und zu einer Einigung über ihn wird
es niemals kommen. Die Deutschen werden jederzeit behaupten, daß sie eine
höhere Nasse als die Slawen seien, und daß ihre Kultur der slawischen über¬
legen sei; und die Slawen werden das jederzeit leugnen und werden die Eben¬
bürtigkeit beanspruchen. Kann denn ein Mensch dafür, daß er als Tscheche
geboren ist? fragt Vrba und beruft sich auf Christus und Paulus, nach deren
Aussprüchen die Menschen aller Völker Gottes liebe Kinder seien, zwischen
denen er keinen Unterschied mache nach der Geburt und Abstammung. Beides
ist richtig. Aber das erste, daß man ohne eignes Verschulden als Glied eines
minderwertigen Volkes geboren werden kann, gehört eben zu der unbegreifliche"
Tragik des Menschenlebens, gerade so, wie daß einzelne Mitglieder der höchsten
Rassen blind, taub, schwächlich oder als Krüppel geboren werden. Und das
zweite mildert zwar diese Tragik, beseitigt sie aber nicht. Christliche Liebe kann
den Verkehr der Nassen mit einander erträglich machen, die Rassenunterschiede
aber nicht aufheben. Ich verstehe ganz gut, daß das Bewußtsein, einer niedern
Rasse anzugehören, furchtbar schmerzlich sein und entweder zu wildem, nei¬
dischem Haß gegen die höhern Rassen stacheln oder allen Lebensmut vernichten,
die Seele niederdrücken und mit Schwermut erfüllen muß. Die Neger sind
bekanntlich von Natur ausgelassen lustig; aber einen europäisch gebildeten
Neger kann ich mir nicht anders als schwermütig vorstellen. Die Tschechen
stehen nun von uns bei weitem nicht so sehr ab wie die Schwarzen, aber doch
nimmt man auch schon bei einer Durchreise durch Böhmen deutlich wahr, daß
sie ein bedeutend weniger schönes Volk sind als die Deutschen. Und die törper-


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und mit der staatsmämiisch-methodischen Obstruktion versuchen — das ändert
nichts daran, daß die Volksvertretung in dem Augenblick gelähmt ist, wo die
Minderheit erklärt, sich der Mehrheit nicht fügen zu wollen. Und bei diesem
Zustande bleibt es vorläufig in Cisleithcmicn; denn, wie allgemein anerkannt
wird, in dem unwahrscheinlichen Falle, daß es die Deutschen zu einer Mehr¬
heit brächten, würden ja die Slawen obstruiren. Damit ist der § 14 zum
Herrscher eingesetzt, ein ministerieller Absolutismus, der sich dem Hochadel und
der mit ihm eng verbundnen Hochfinanz als gefügiges Werkzeug erweist.

Diesen merkwürdigen Zustand auch einmal mit den Augen eines Tschechen
zu betrachten, muß nicht uninteressant sein, dachte ich, als mir der Vrba in die
Hände siel; beim Lesen bemerkte ich dann, daß es auch lehrreich und nützlich
sei. Nicht etwa, daß das Buch in die Betrachtung der österreichischen Ver¬
wirrung einige Ordnung brächte; es ist selbst nur ein wüstes Gemengsel von
Zeitungsausschnitten, Lesefrüchten aus Palacky, Statistiker, Betrachtungen,
Predigten, Ausrufungen, ohne Plan und Ordnung. Auch wird den zum Über¬
druß breit getretner streitigen Gegenständen keine neue Seite abgewonnen.
Der Streitpunkt, der beide Parteien im innersten berührt, der die Quelle des
nationalen Fanatismus ist, und der alle Völker Österreichs in leidenschaftlicher
Erregung erhält, der ist nicht zu heben, und zu einer Einigung über ihn wird
es niemals kommen. Die Deutschen werden jederzeit behaupten, daß sie eine
höhere Nasse als die Slawen seien, und daß ihre Kultur der slawischen über¬
legen sei; und die Slawen werden das jederzeit leugnen und werden die Eben¬
bürtigkeit beanspruchen. Kann denn ein Mensch dafür, daß er als Tscheche
geboren ist? fragt Vrba und beruft sich auf Christus und Paulus, nach deren
Aussprüchen die Menschen aller Völker Gottes liebe Kinder seien, zwischen
denen er keinen Unterschied mache nach der Geburt und Abstammung. Beides
ist richtig. Aber das erste, daß man ohne eignes Verschulden als Glied eines
minderwertigen Volkes geboren werden kann, gehört eben zu der unbegreifliche»
Tragik des Menschenlebens, gerade so, wie daß einzelne Mitglieder der höchsten
Rassen blind, taub, schwächlich oder als Krüppel geboren werden. Und das
zweite mildert zwar diese Tragik, beseitigt sie aber nicht. Christliche Liebe kann
den Verkehr der Nassen mit einander erträglich machen, die Rassenunterschiede
aber nicht aufheben. Ich verstehe ganz gut, daß das Bewußtsein, einer niedern
Rasse anzugehören, furchtbar schmerzlich sein und entweder zu wildem, nei¬
dischem Haß gegen die höhern Rassen stacheln oder allen Lebensmut vernichten,
die Seele niederdrücken und mit Schwermut erfüllen muß. Die Neger sind
bekanntlich von Natur ausgelassen lustig; aber einen europäisch gebildeten
Neger kann ich mir nicht anders als schwermütig vorstellen. Die Tschechen
stehen nun von uns bei weitem nicht so sehr ab wie die Schwarzen, aber doch
nimmt man auch schon bei einer Durchreise durch Böhmen deutlich wahr, daß
sie ein bedeutend weniger schönes Volk sind als die Deutschen. Und die törper-


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[0697] vrba und mit der staatsmämiisch-methodischen Obstruktion versuchen — das ändert nichts daran, daß die Volksvertretung in dem Augenblick gelähmt ist, wo die Minderheit erklärt, sich der Mehrheit nicht fügen zu wollen. Und bei diesem Zustande bleibt es vorläufig in Cisleithcmicn; denn, wie allgemein anerkannt wird, in dem unwahrscheinlichen Falle, daß es die Deutschen zu einer Mehr¬ heit brächten, würden ja die Slawen obstruiren. Damit ist der § 14 zum Herrscher eingesetzt, ein ministerieller Absolutismus, der sich dem Hochadel und der mit ihm eng verbundnen Hochfinanz als gefügiges Werkzeug erweist. Diesen merkwürdigen Zustand auch einmal mit den Augen eines Tschechen zu betrachten, muß nicht uninteressant sein, dachte ich, als mir der Vrba in die Hände siel; beim Lesen bemerkte ich dann, daß es auch lehrreich und nützlich sei. Nicht etwa, daß das Buch in die Betrachtung der österreichischen Ver¬ wirrung einige Ordnung brächte; es ist selbst nur ein wüstes Gemengsel von Zeitungsausschnitten, Lesefrüchten aus Palacky, Statistiker, Betrachtungen, Predigten, Ausrufungen, ohne Plan und Ordnung. Auch wird den zum Über¬ druß breit getretner streitigen Gegenständen keine neue Seite abgewonnen. Der Streitpunkt, der beide Parteien im innersten berührt, der die Quelle des nationalen Fanatismus ist, und der alle Völker Österreichs in leidenschaftlicher Erregung erhält, der ist nicht zu heben, und zu einer Einigung über ihn wird es niemals kommen. Die Deutschen werden jederzeit behaupten, daß sie eine höhere Nasse als die Slawen seien, und daß ihre Kultur der slawischen über¬ legen sei; und die Slawen werden das jederzeit leugnen und werden die Eben¬ bürtigkeit beanspruchen. Kann denn ein Mensch dafür, daß er als Tscheche geboren ist? fragt Vrba und beruft sich auf Christus und Paulus, nach deren Aussprüchen die Menschen aller Völker Gottes liebe Kinder seien, zwischen denen er keinen Unterschied mache nach der Geburt und Abstammung. Beides ist richtig. Aber das erste, daß man ohne eignes Verschulden als Glied eines minderwertigen Volkes geboren werden kann, gehört eben zu der unbegreifliche» Tragik des Menschenlebens, gerade so, wie daß einzelne Mitglieder der höchsten Rassen blind, taub, schwächlich oder als Krüppel geboren werden. Und das zweite mildert zwar diese Tragik, beseitigt sie aber nicht. Christliche Liebe kann den Verkehr der Nassen mit einander erträglich machen, die Rassenunterschiede aber nicht aufheben. Ich verstehe ganz gut, daß das Bewußtsein, einer niedern Rasse anzugehören, furchtbar schmerzlich sein und entweder zu wildem, nei¬ dischem Haß gegen die höhern Rassen stacheln oder allen Lebensmut vernichten, die Seele niederdrücken und mit Schwermut erfüllen muß. Die Neger sind bekanntlich von Natur ausgelassen lustig; aber einen europäisch gebildeten Neger kann ich mir nicht anders als schwermütig vorstellen. Die Tschechen stehen nun von uns bei weitem nicht so sehr ab wie die Schwarzen, aber doch nimmt man auch schon bei einer Durchreise durch Böhmen deutlich wahr, daß sie ein bedeutend weniger schönes Volk sind als die Deutschen. Und die törper-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/697>, abgerufen am 24.07.2024.