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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Vereinigten Staaten im Kampfe für Freiheit und Humanität

aber konnte bei diesem Kampf von einer Verteidigung idealer Menschenrechte nicht
die Rede sein. Man hat Franklin mit Anspielung auf seine Erfindung des
Blitzableiters in Amerika als einen modernen Prometheus gefeiert, der mit
kühner Hand hinaufgegrisfeu habe zum Himmel, um ewige Menschenrechte
herunterzuholen einem armen, geknechteten Volke. Dazu war dieser biedre,
wohlwollende, einfache Quäker zu nüchtern, zu sehr als echter Amerikaner auf
praktischen Nutzen aus, zu hausbacken, als daß er als ein Wächter ewiger
Ideale der Menschheit gefeiert werden könnte. In seinem "Kalender des armen
Richard" erscheint er als ein Mensch, der wirklich glaubt, "der Mensch lebe
von Brot allein." Auch der vornehme Charakter Washingtons war doch echt
amerikanisch besonnen und nüchtern, er war ein zu kluger Staatsmann, als
daß er für Ideen gestritten hätte, ohne den thatsächlichen Nutzen zu berechnen,
der seinem Volke daraus entspringen würde. Als die schon vom Unabhäugig-
keitSkampfc her verbündete und befreundete Nation Frankreich nun selbst zur
Revolution schritt, da lohte eine Glut der Begeisterung für die Schwester¬
republik durch die Reihen der Demokraten, oder wie sie damals hießen, Republi¬
kaner. "Auf für die Menschenrechte, kämpft Seite an Seite gegen Tyrannei
und Herrschsucht mit den frauzöstschen Brüdern, ihr müßt es schon aus Dank¬
barkeit für frühere Hilfe, schon um zu zeigen, ob eure Freiheitsliebe echt ist,"
predigte der anmaßende französische Agent Genet. Aber Washington war
Realpolitiker, und seine maßvolle, in edler Selbstbeherrschung geübte Persön¬
lichkeit wurde von den wüsten Ausschreitungen der Pariser Revolution so ab¬
gestoßen, daß er die wichtige Neutralitätserklärung Frankreich gegenüber erließ,
unbekümmert um die zahlreichen Feinde, die er sich damit unter den republi¬
kanischen Gefühlspolitikern seiner Zeit schaffte.

Obwohl die Ideen von Freiheit und Humanität damals in Amerika fast
so billig waren wie Kieselsteine, so merkte doch das Volk noch gar nicht, in
welch schreienden Widerspruch dazu die Einrichtung der Sklaverei stand, auf
die die Hälfte der Nation ihren behaglichen Wohlstand gründete. Ja die
Freiheit bezog man auch nur auf die bessern Nassen; die hatten das Recht,
ihre Freiheit gegenüber minderwertigen geltend zu machen. Zu diesen Wesen
geringern Wertes pflegte der Durchschnittsamerikaner damals auch gewisse
deutsche Einwandrer zu rechnen, tuoss claransä vuwumsn, die arm und ohne
Selbstbewußtsein hinüberkamen und ganz einfach von den Agenten oder Schiffs¬
eigentümern meistbietend versteigert wurden, um die Überfahrt bezahlt zu
machen. Zeitungsanzeigen jener Tage lassen erkennen, daß Ackerknechte und
Handwerker leicht verkäuflich, deutsche Gelehrte, Lehrer oder Offiziere aber
gänzlich unverkäuflich waren. Nimmt es Wunder, daß bei diesem Sklaven¬
handel mit Deutschen sich schon die Kinder des berühmten Millionärs Astor,
der als armer Deutscher einwanderte, im freien Amerika schämten, Deutsche zu
sein? Freiseinwollen und Herrschenwollen waren eben von jeher auch in


Die Vereinigten Staaten im Kampfe für Freiheit und Humanität

aber konnte bei diesem Kampf von einer Verteidigung idealer Menschenrechte nicht
die Rede sein. Man hat Franklin mit Anspielung auf seine Erfindung des
Blitzableiters in Amerika als einen modernen Prometheus gefeiert, der mit
kühner Hand hinaufgegrisfeu habe zum Himmel, um ewige Menschenrechte
herunterzuholen einem armen, geknechteten Volke. Dazu war dieser biedre,
wohlwollende, einfache Quäker zu nüchtern, zu sehr als echter Amerikaner auf
praktischen Nutzen aus, zu hausbacken, als daß er als ein Wächter ewiger
Ideale der Menschheit gefeiert werden könnte. In seinem „Kalender des armen
Richard" erscheint er als ein Mensch, der wirklich glaubt, „der Mensch lebe
von Brot allein." Auch der vornehme Charakter Washingtons war doch echt
amerikanisch besonnen und nüchtern, er war ein zu kluger Staatsmann, als
daß er für Ideen gestritten hätte, ohne den thatsächlichen Nutzen zu berechnen,
der seinem Volke daraus entspringen würde. Als die schon vom Unabhäugig-
keitSkampfc her verbündete und befreundete Nation Frankreich nun selbst zur
Revolution schritt, da lohte eine Glut der Begeisterung für die Schwester¬
republik durch die Reihen der Demokraten, oder wie sie damals hießen, Republi¬
kaner. „Auf für die Menschenrechte, kämpft Seite an Seite gegen Tyrannei
und Herrschsucht mit den frauzöstschen Brüdern, ihr müßt es schon aus Dank¬
barkeit für frühere Hilfe, schon um zu zeigen, ob eure Freiheitsliebe echt ist,"
predigte der anmaßende französische Agent Genet. Aber Washington war
Realpolitiker, und seine maßvolle, in edler Selbstbeherrschung geübte Persön¬
lichkeit wurde von den wüsten Ausschreitungen der Pariser Revolution so ab¬
gestoßen, daß er die wichtige Neutralitätserklärung Frankreich gegenüber erließ,
unbekümmert um die zahlreichen Feinde, die er sich damit unter den republi¬
kanischen Gefühlspolitikern seiner Zeit schaffte.

Obwohl die Ideen von Freiheit und Humanität damals in Amerika fast
so billig waren wie Kieselsteine, so merkte doch das Volk noch gar nicht, in
welch schreienden Widerspruch dazu die Einrichtung der Sklaverei stand, auf
die die Hälfte der Nation ihren behaglichen Wohlstand gründete. Ja die
Freiheit bezog man auch nur auf die bessern Nassen; die hatten das Recht,
ihre Freiheit gegenüber minderwertigen geltend zu machen. Zu diesen Wesen
geringern Wertes pflegte der Durchschnittsamerikaner damals auch gewisse
deutsche Einwandrer zu rechnen, tuoss claransä vuwumsn, die arm und ohne
Selbstbewußtsein hinüberkamen und ganz einfach von den Agenten oder Schiffs¬
eigentümern meistbietend versteigert wurden, um die Überfahrt bezahlt zu
machen. Zeitungsanzeigen jener Tage lassen erkennen, daß Ackerknechte und
Handwerker leicht verkäuflich, deutsche Gelehrte, Lehrer oder Offiziere aber
gänzlich unverkäuflich waren. Nimmt es Wunder, daß bei diesem Sklaven¬
handel mit Deutschen sich schon die Kinder des berühmten Millionärs Astor,
der als armer Deutscher einwanderte, im freien Amerika schämten, Deutsche zu
sein? Freiseinwollen und Herrschenwollen waren eben von jeher auch in


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[0691] Die Vereinigten Staaten im Kampfe für Freiheit und Humanität aber konnte bei diesem Kampf von einer Verteidigung idealer Menschenrechte nicht die Rede sein. Man hat Franklin mit Anspielung auf seine Erfindung des Blitzableiters in Amerika als einen modernen Prometheus gefeiert, der mit kühner Hand hinaufgegrisfeu habe zum Himmel, um ewige Menschenrechte herunterzuholen einem armen, geknechteten Volke. Dazu war dieser biedre, wohlwollende, einfache Quäker zu nüchtern, zu sehr als echter Amerikaner auf praktischen Nutzen aus, zu hausbacken, als daß er als ein Wächter ewiger Ideale der Menschheit gefeiert werden könnte. In seinem „Kalender des armen Richard" erscheint er als ein Mensch, der wirklich glaubt, „der Mensch lebe von Brot allein." Auch der vornehme Charakter Washingtons war doch echt amerikanisch besonnen und nüchtern, er war ein zu kluger Staatsmann, als daß er für Ideen gestritten hätte, ohne den thatsächlichen Nutzen zu berechnen, der seinem Volke daraus entspringen würde. Als die schon vom Unabhäugig- keitSkampfc her verbündete und befreundete Nation Frankreich nun selbst zur Revolution schritt, da lohte eine Glut der Begeisterung für die Schwester¬ republik durch die Reihen der Demokraten, oder wie sie damals hießen, Republi¬ kaner. „Auf für die Menschenrechte, kämpft Seite an Seite gegen Tyrannei und Herrschsucht mit den frauzöstschen Brüdern, ihr müßt es schon aus Dank¬ barkeit für frühere Hilfe, schon um zu zeigen, ob eure Freiheitsliebe echt ist," predigte der anmaßende französische Agent Genet. Aber Washington war Realpolitiker, und seine maßvolle, in edler Selbstbeherrschung geübte Persön¬ lichkeit wurde von den wüsten Ausschreitungen der Pariser Revolution so ab¬ gestoßen, daß er die wichtige Neutralitätserklärung Frankreich gegenüber erließ, unbekümmert um die zahlreichen Feinde, die er sich damit unter den republi¬ kanischen Gefühlspolitikern seiner Zeit schaffte. Obwohl die Ideen von Freiheit und Humanität damals in Amerika fast so billig waren wie Kieselsteine, so merkte doch das Volk noch gar nicht, in welch schreienden Widerspruch dazu die Einrichtung der Sklaverei stand, auf die die Hälfte der Nation ihren behaglichen Wohlstand gründete. Ja die Freiheit bezog man auch nur auf die bessern Nassen; die hatten das Recht, ihre Freiheit gegenüber minderwertigen geltend zu machen. Zu diesen Wesen geringern Wertes pflegte der Durchschnittsamerikaner damals auch gewisse deutsche Einwandrer zu rechnen, tuoss claransä vuwumsn, die arm und ohne Selbstbewußtsein hinüberkamen und ganz einfach von den Agenten oder Schiffs¬ eigentümern meistbietend versteigert wurden, um die Überfahrt bezahlt zu machen. Zeitungsanzeigen jener Tage lassen erkennen, daß Ackerknechte und Handwerker leicht verkäuflich, deutsche Gelehrte, Lehrer oder Offiziere aber gänzlich unverkäuflich waren. Nimmt es Wunder, daß bei diesem Sklaven¬ handel mit Deutschen sich schon die Kinder des berühmten Millionärs Astor, der als armer Deutscher einwanderte, im freien Amerika schämten, Deutsche zu sein? Freiseinwollen und Herrschenwollen waren eben von jeher auch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/691>, abgerufen am 24.07.2024.