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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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1870 bewiesen die tapfern wlirttembergischen Bataillone, daß die "Schwaben¬
streiche" nicht nur eine Legende seien.

Neue Kämpfe standen dem Fürsten Bismarck bevor, als das Reich ge¬
gründet und die Kaiserkrone erneuert war. Denn zwei internationale Mächte
traten dem nationalen Aufschwünge feindlich entgegen, eine uralte und eine
neue, der Ultramontanismus und die Sozialdemokratie. So entbrannte der
.Kulturkampf." ein Unheil für die Nation, aber ein unabwendbares. Was
Fürst Bismarck damit bezweckte, war etwas Notwendiges und daher Selbst¬
verständliches. Er war kein Feind der Kirche, auch nicht der römisch-katho¬
lischen -- er Hütte sonst doch wohl nicht den päpstlichen Christusorden in
Brillanten erhalten --, er war auch kein konfessioneller Heißsporn, obwohl ein
guter Protestant, sondern er war ein Staatsmann und wollte als solcher dem
Staate die ihm zustehende unbeschränkte Souveränität wahren. In seiner Rede
vom 10. Mnrz 1873 während der Debatte über die Maigesetze führte er den
Streit auf die wirklichen, die letzten Gründe zurück. "Es handelt sich nicht,
wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um den Kampf einer evan¬
gelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht um einen
Kampf zwischen Glauben und Unglauben, es handelt sich um den uralten
Machtstreit, der so alt ist wie das Menschengeschlecht, um den Machtstreit
zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel älter ist als die
Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt, den Machtstreit, in dem Aga-
memnon in Antis mit seinen Sehern lag, der ihm dort die Tochter kostete und
die Griechen am Auslaufen verhinderte, den Machtstreit, der die deutsche Ge¬
schichte des Mittelalters bis zur Zersetzung des Deutschen Reichs erfüllt hat.
Es handelt sich um die Verteidigung des Staats, es handelt sich um die Ab¬
grenzung, wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft
gehen soll, und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat
seinerseits dabei bestehen kann. Denn in dem Reiche dieser Welt hat er das
Regiment und den Vortritt."

Die Sozialdemokratie bekämpfte er als eine Partei, die sich selbst außer¬
halb des geltenden Rechts gestellt habe und also im Kriegszustande mit dem
Staate sei. "Wer nicht will mitdeichen, muß weichen." sagte er einmal ge¬
sprächsweise, und er trug kein Bedenken, ihre Organisation und ihre Presse
durch ein Ausnahmegesetz zu zerstören. Aber er faßte den Staat nicht nur
auf als "Nachtwächter." der aus die notdürftigste äußere Ordnung zu sehen
habe, sondern als die sittliche Macht, die auch die wirtschaftliche Wohlfahrt
des Volkes durch einsichtsvolle Fürsorge zu fördern, die wirtschaftlich Schwachen
M schützen. Gefahren abzuwenden habe. "Das Ganze (der Sozialgesetzgebung),
so führte er am 15. März 1884 im Reichstage aus. liegt in der Frage be¬
gründet: Hat der Staat die Pflicht, für seine hilflosen Mitbürger zu sorgen,
oder hat er sie nicht? Ich behaupte: er hat diese Pflicht, und zwar nicht
bloß der christliche Staat, sondern jeder Staat an sich. -- Wenn man nur


1870 bewiesen die tapfern wlirttembergischen Bataillone, daß die „Schwaben¬
streiche" nicht nur eine Legende seien.

Neue Kämpfe standen dem Fürsten Bismarck bevor, als das Reich ge¬
gründet und die Kaiserkrone erneuert war. Denn zwei internationale Mächte
traten dem nationalen Aufschwünge feindlich entgegen, eine uralte und eine
neue, der Ultramontanismus und die Sozialdemokratie. So entbrannte der
.Kulturkampf." ein Unheil für die Nation, aber ein unabwendbares. Was
Fürst Bismarck damit bezweckte, war etwas Notwendiges und daher Selbst¬
verständliches. Er war kein Feind der Kirche, auch nicht der römisch-katho¬
lischen — er Hütte sonst doch wohl nicht den päpstlichen Christusorden in
Brillanten erhalten —, er war auch kein konfessioneller Heißsporn, obwohl ein
guter Protestant, sondern er war ein Staatsmann und wollte als solcher dem
Staate die ihm zustehende unbeschränkte Souveränität wahren. In seiner Rede
vom 10. Mnrz 1873 während der Debatte über die Maigesetze führte er den
Streit auf die wirklichen, die letzten Gründe zurück. „Es handelt sich nicht,
wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um den Kampf einer evan¬
gelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht um einen
Kampf zwischen Glauben und Unglauben, es handelt sich um den uralten
Machtstreit, der so alt ist wie das Menschengeschlecht, um den Machtstreit
zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel älter ist als die
Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt, den Machtstreit, in dem Aga-
memnon in Antis mit seinen Sehern lag, der ihm dort die Tochter kostete und
die Griechen am Auslaufen verhinderte, den Machtstreit, der die deutsche Ge¬
schichte des Mittelalters bis zur Zersetzung des Deutschen Reichs erfüllt hat.
Es handelt sich um die Verteidigung des Staats, es handelt sich um die Ab¬
grenzung, wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft
gehen soll, und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat
seinerseits dabei bestehen kann. Denn in dem Reiche dieser Welt hat er das
Regiment und den Vortritt."

Die Sozialdemokratie bekämpfte er als eine Partei, die sich selbst außer¬
halb des geltenden Rechts gestellt habe und also im Kriegszustande mit dem
Staate sei. „Wer nicht will mitdeichen, muß weichen." sagte er einmal ge¬
sprächsweise, und er trug kein Bedenken, ihre Organisation und ihre Presse
durch ein Ausnahmegesetz zu zerstören. Aber er faßte den Staat nicht nur
auf als „Nachtwächter." der aus die notdürftigste äußere Ordnung zu sehen
habe, sondern als die sittliche Macht, die auch die wirtschaftliche Wohlfahrt
des Volkes durch einsichtsvolle Fürsorge zu fördern, die wirtschaftlich Schwachen
M schützen. Gefahren abzuwenden habe. „Das Ganze (der Sozialgesetzgebung),
so führte er am 15. März 1884 im Reichstage aus. liegt in der Frage be¬
gründet: Hat der Staat die Pflicht, für seine hilflosen Mitbürger zu sorgen,
oder hat er sie nicht? Ich behaupte: er hat diese Pflicht, und zwar nicht
bloß der christliche Staat, sondern jeder Staat an sich. — Wenn man nur


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[0686] 1870 bewiesen die tapfern wlirttembergischen Bataillone, daß die „Schwaben¬ streiche" nicht nur eine Legende seien. Neue Kämpfe standen dem Fürsten Bismarck bevor, als das Reich ge¬ gründet und die Kaiserkrone erneuert war. Denn zwei internationale Mächte traten dem nationalen Aufschwünge feindlich entgegen, eine uralte und eine neue, der Ultramontanismus und die Sozialdemokratie. So entbrannte der .Kulturkampf." ein Unheil für die Nation, aber ein unabwendbares. Was Fürst Bismarck damit bezweckte, war etwas Notwendiges und daher Selbst¬ verständliches. Er war kein Feind der Kirche, auch nicht der römisch-katho¬ lischen — er Hütte sonst doch wohl nicht den päpstlichen Christusorden in Brillanten erhalten —, er war auch kein konfessioneller Heißsporn, obwohl ein guter Protestant, sondern er war ein Staatsmann und wollte als solcher dem Staate die ihm zustehende unbeschränkte Souveränität wahren. In seiner Rede vom 10. Mnrz 1873 während der Debatte über die Maigesetze führte er den Streit auf die wirklichen, die letzten Gründe zurück. „Es handelt sich nicht, wie unsern katholischen Mitbürgern eingeredet wird, um den Kampf einer evan¬ gelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht um einen Kampf zwischen Glauben und Unglauben, es handelt sich um den uralten Machtstreit, der so alt ist wie das Menschengeschlecht, um den Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum, den Machtstreit, der viel älter ist als die Erscheinung unsers Erlösers in dieser Welt, den Machtstreit, in dem Aga- memnon in Antis mit seinen Sehern lag, der ihm dort die Tochter kostete und die Griechen am Auslaufen verhinderte, den Machtstreit, der die deutsche Ge¬ schichte des Mittelalters bis zur Zersetzung des Deutschen Reichs erfüllt hat. Es handelt sich um die Verteidigung des Staats, es handelt sich um die Ab¬ grenzung, wie weit die Priesterherrschaft und wie weit die Königsherrschaft gehen soll, und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat seinerseits dabei bestehen kann. Denn in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt." Die Sozialdemokratie bekämpfte er als eine Partei, die sich selbst außer¬ halb des geltenden Rechts gestellt habe und also im Kriegszustande mit dem Staate sei. „Wer nicht will mitdeichen, muß weichen." sagte er einmal ge¬ sprächsweise, und er trug kein Bedenken, ihre Organisation und ihre Presse durch ein Ausnahmegesetz zu zerstören. Aber er faßte den Staat nicht nur auf als „Nachtwächter." der aus die notdürftigste äußere Ordnung zu sehen habe, sondern als die sittliche Macht, die auch die wirtschaftliche Wohlfahrt des Volkes durch einsichtsvolle Fürsorge zu fördern, die wirtschaftlich Schwachen M schützen. Gefahren abzuwenden habe. „Das Ganze (der Sozialgesetzgebung), so führte er am 15. März 1884 im Reichstage aus. liegt in der Frage be¬ gründet: Hat der Staat die Pflicht, für seine hilflosen Mitbürger zu sorgen, oder hat er sie nicht? Ich behaupte: er hat diese Pflicht, und zwar nicht bloß der christliche Staat, sondern jeder Staat an sich. — Wenn man nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/686>, abgerufen am 24.07.2024.