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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Line Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

gilt es, das alte Verhältnis zu Österreich wieder zu gewinnen," Und das
mitten in der Siegesfreude, die jeden andern berauscht hätte!

Es ist vier Jahre später, am Nachmittage des 18. August 1870. Heiß
brennt die Sonne auf die fruchtreiche lothringische Hochebne westlich von Metz
hernieder, kein Lüftchen regt sich. Da hält König Wilhelm, diesmal als der
Oberbefehlshaber des deutschen Heeres, gegen fünf Uhr inmitten seines Stabes
im Felde nördlich von dem großen Dorfe Gravelotte. Seitwärts von dem
Wege, der links ab nach Malmaison und Berneville führt, bezeichnet heute ein
mächtiger Felsblock mit Inschrift die Stelle. Der König ist um drei Uhr morgens
von seinem Hauptquartier Pont-ä-Moussou aufgebrochen und über das Schlacht¬
feld des 16. August, wo der Heldenmut vor allem der Brandenburger den
abziehenden Franzosen den Weg versperrte, auf der schnurgeraden Pappelallee
von Rezonville ostwärts geritten. Erst allmählich ist es während des Vor¬
mittags klar geworden, daß die Franzosen in die starke Stellung westlich von
Metz zurückgewichen sind; seit Mittag ist der Angriff auf sie im vollen Gange.
Ein erschütterndes Getöse erfüllt die Luft. Wenig hundert Schritt von dem
König dehnt sich die lange Linie deutscher Batterien quer über die Straße,
die sich von Gravelotte nach dem tief eingeschnittnen waldigen Thale der Manee,
der "Schlucht von Gravelotte" blutigen Angedenkens, hinunterzieht und dann
drüben höher hinaufsteigt nach dein Gehöft von Se. Hubert, einem mächtigen,
weithin sichtbaren Steinhause und dem noch höher gelegnen Hofe von Point
du Jour mit seinen Pappeln, dem Gipfelpunkt der Straße, dort, wo heute
der Aussichtsturm ragt. Links nimmt der langgestreckte Wald von Genivaux
die Aussicht nach Norden. Wieder hält Graf Vismarck mit Moltke und Roon
hinter seinem König. Er weiß, daß seine beiden Söhne am 16. mit im Fetter
gewesen sind, daß Graf Herbert verwundet ist. Aber diese persönlichen Sorgen
stehen hinter dem Gedanken an das große Ganze weit zurück. Eben ist die
Nachricht vom linken Flügel, von dem nur der Kanonendonner herüberdröhnt,
eingetroffen, daß dort alles gut stehe, da giebt der König den Befehl, mit allen
Kräften gegen den Point du Jour vorzugehen und auch das soeben bei Rezon¬
ville eingetrofsne II. (pommersche) Korps dafür bereit zu halten.

Es ist gegen sieben Uhr, das Artilleriefeuer der Franzosen ist seit längerer
Zeit fast verstummt; man glaubt, sie hätten den Kampf an dieser Stelle auf¬
gegeben. Vismarck hat seine hnlbverdürsteten Pferde zu Wasser geschickt und
steht selbst neben einer feuernder Batterie. Da plötzlich beginnt von drüben
aufs neue ein wütendes Jener, es ist "ein unaufhörliches Krachen und Rollen,
Sausen und Heulen in der Luft," kein Zweifel, die Franzosen leiten einen
neuen Vorstoß ein. Die Granaten fliegen über das Gefolge des Königs
hinweg, auf Novus Bitten reitet dieser zurück, und dabei wird Vismarck von
ihm "abgeklemmt." Ohne Pferd, wie er in diesem Augenblick ist, macht er
sich schon darauf gefaßt, wenn auch die Artillerie zurück müsse, sich auf den


Line Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

gilt es, das alte Verhältnis zu Österreich wieder zu gewinnen," Und das
mitten in der Siegesfreude, die jeden andern berauscht hätte!

Es ist vier Jahre später, am Nachmittage des 18. August 1870. Heiß
brennt die Sonne auf die fruchtreiche lothringische Hochebne westlich von Metz
hernieder, kein Lüftchen regt sich. Da hält König Wilhelm, diesmal als der
Oberbefehlshaber des deutschen Heeres, gegen fünf Uhr inmitten seines Stabes
im Felde nördlich von dem großen Dorfe Gravelotte. Seitwärts von dem
Wege, der links ab nach Malmaison und Berneville führt, bezeichnet heute ein
mächtiger Felsblock mit Inschrift die Stelle. Der König ist um drei Uhr morgens
von seinem Hauptquartier Pont-ä-Moussou aufgebrochen und über das Schlacht¬
feld des 16. August, wo der Heldenmut vor allem der Brandenburger den
abziehenden Franzosen den Weg versperrte, auf der schnurgeraden Pappelallee
von Rezonville ostwärts geritten. Erst allmählich ist es während des Vor¬
mittags klar geworden, daß die Franzosen in die starke Stellung westlich von
Metz zurückgewichen sind; seit Mittag ist der Angriff auf sie im vollen Gange.
Ein erschütterndes Getöse erfüllt die Luft. Wenig hundert Schritt von dem
König dehnt sich die lange Linie deutscher Batterien quer über die Straße,
die sich von Gravelotte nach dem tief eingeschnittnen waldigen Thale der Manee,
der „Schlucht von Gravelotte" blutigen Angedenkens, hinunterzieht und dann
drüben höher hinaufsteigt nach dein Gehöft von Se. Hubert, einem mächtigen,
weithin sichtbaren Steinhause und dem noch höher gelegnen Hofe von Point
du Jour mit seinen Pappeln, dem Gipfelpunkt der Straße, dort, wo heute
der Aussichtsturm ragt. Links nimmt der langgestreckte Wald von Genivaux
die Aussicht nach Norden. Wieder hält Graf Vismarck mit Moltke und Roon
hinter seinem König. Er weiß, daß seine beiden Söhne am 16. mit im Fetter
gewesen sind, daß Graf Herbert verwundet ist. Aber diese persönlichen Sorgen
stehen hinter dem Gedanken an das große Ganze weit zurück. Eben ist die
Nachricht vom linken Flügel, von dem nur der Kanonendonner herüberdröhnt,
eingetroffen, daß dort alles gut stehe, da giebt der König den Befehl, mit allen
Kräften gegen den Point du Jour vorzugehen und auch das soeben bei Rezon¬
ville eingetrofsne II. (pommersche) Korps dafür bereit zu halten.

Es ist gegen sieben Uhr, das Artilleriefeuer der Franzosen ist seit längerer
Zeit fast verstummt; man glaubt, sie hätten den Kampf an dieser Stelle auf¬
gegeben. Vismarck hat seine hnlbverdürsteten Pferde zu Wasser geschickt und
steht selbst neben einer feuernder Batterie. Da plötzlich beginnt von drüben
aufs neue ein wütendes Jener, es ist „ein unaufhörliches Krachen und Rollen,
Sausen und Heulen in der Luft," kein Zweifel, die Franzosen leiten einen
neuen Vorstoß ein. Die Granaten fliegen über das Gefolge des Königs
hinweg, auf Novus Bitten reitet dieser zurück, und dabei wird Vismarck von
ihm „abgeklemmt." Ohne Pferd, wie er in diesem Augenblick ist, macht er
sich schon darauf gefaßt, wenn auch die Artillerie zurück müsse, sich auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/683>, abgerufen am 24.07.2024.