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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

oder den Krieg zu beginnen, sofort, schlecht gerüstet, ohne Bundesgenossen!
Mit genialen Blick und schneidiger Energie hatte Graf Vismarck die Lage
blitzschnell erfaßt und verwandelt, und seiner hellen, schmetternden Fanfare
antwortete der brausende Kriegsruf des deutschen Volks. Im rechten Augen¬
blick wurde der Krieg, der unvermeidliche, begonnen und durchgeführt bis zum
ruhmvollsten Ende!

Es ist in diesem Verfahren Bismarcks etwas von dem raschen Blick, dem
schnellen Entschluß eines großen Reiterführers, der den rechten Augenblick zum
entscheidenden Angriff erfaßt. Und in der That, Bismarck war ebenso Soldat
wie Diplomat. Wenn man sein Standbild am schönen Leipziger Siegesdenkmal
betrachtet, wie er, den Stahlhelm auf dem Haupte, den Pallasch an der Seite,
das starke Roß mit kräftiger Faust zurückreißt, ist es da nicht, als wenn man
einen gebietenden Feldherrn vor sich hätte? Und so ist er mit seinem König
nicht nur ins Feld gezogen, sondern auch hineingeritten in die tobende Schlacht
bis ins feindliche Granatenfeuer. Dieses Bild des reisigen Staatsmanns ist
unserm waffenfreudigen Volke noch teurer als das des großen parlamentarischen
Streitredners, und es findet nicht seinesgleichen in der Geschichte. Es ist nicht
der kriegerische Mut, den wir hier an ihm bewundern, denn den Stab eines
Königs treffen, da er sich nicht aussetzen darf, selten feindliche Geschosse, es
ist vielmehr der moralische Mut. Mit der vollen Kenntnis dessen, was
politisch und militärisch auf dem Spiele steht, die ungeheure Spannung eines
Schlachttages Stunde für Stunde zu durchleben, dabei nur beobachten, nicht
selbst handeln zu dürfen, dazu gehört noch mehr Charakterstärke als ins Feuer
zu gehen.

Niemals hat Bismarck diesen Mut mehr bewiesen als um Tage von
Königgrätz. Als am 30. Juni 1866 nachmittags nach drei Uhr König Wilhelm
mit seinem Gefolge auf der Fahrt nach dem böhmischen Kriegsschauplatze den
Bahnhof Zittau passirte, da spähten die Hunderte von Einwohnern der säch¬
sischen Grenzstadt, die ihn halb grollend, halb ehrfurchtsvoll und in dem
dunkeln Gefühle, daß die große Entscheidung nunmehr unmittelbar bevorstehe,
erwarteten, vor allem nach dem Grafen Bismarck. Er stieg ans wie der König
und ging eine kurze Zeit vor der Wagenreihe auf und ab, ohne sich weiter
um die Menge zu kümmern. Wenige Tage später, am 3. Juli, früh gegen
acht Uhr, hielt er unter dem glänzenden Stäbe des Königs neben Moltke und
Roon auf der Höhe von Dub, wo sich die Straße nach Sadowa und König¬
grätz ins breite Wiesenthal der Bistritz hinuntersenkt, um dann nach den Höhen
von Lipa und China hinaufzusteigen. Es war nach langer Hitze ein trüber
regnerischer Morgen. Vor ihnen brüllte die Schlacht; auf stundenweite stand
die Armee des Prinzen Friedrich Karl unter dem furchtbaren Granatenhagel
der überlegnen, beherrschend aufgestellten österreichischen Artillerie. Allerorten
rollender Kanonendonner, knatternde Salven, auflodernde Flammen, dichter,


Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

oder den Krieg zu beginnen, sofort, schlecht gerüstet, ohne Bundesgenossen!
Mit genialen Blick und schneidiger Energie hatte Graf Vismarck die Lage
blitzschnell erfaßt und verwandelt, und seiner hellen, schmetternden Fanfare
antwortete der brausende Kriegsruf des deutschen Volks. Im rechten Augen¬
blick wurde der Krieg, der unvermeidliche, begonnen und durchgeführt bis zum
ruhmvollsten Ende!

Es ist in diesem Verfahren Bismarcks etwas von dem raschen Blick, dem
schnellen Entschluß eines großen Reiterführers, der den rechten Augenblick zum
entscheidenden Angriff erfaßt. Und in der That, Bismarck war ebenso Soldat
wie Diplomat. Wenn man sein Standbild am schönen Leipziger Siegesdenkmal
betrachtet, wie er, den Stahlhelm auf dem Haupte, den Pallasch an der Seite,
das starke Roß mit kräftiger Faust zurückreißt, ist es da nicht, als wenn man
einen gebietenden Feldherrn vor sich hätte? Und so ist er mit seinem König
nicht nur ins Feld gezogen, sondern auch hineingeritten in die tobende Schlacht
bis ins feindliche Granatenfeuer. Dieses Bild des reisigen Staatsmanns ist
unserm waffenfreudigen Volke noch teurer als das des großen parlamentarischen
Streitredners, und es findet nicht seinesgleichen in der Geschichte. Es ist nicht
der kriegerische Mut, den wir hier an ihm bewundern, denn den Stab eines
Königs treffen, da er sich nicht aussetzen darf, selten feindliche Geschosse, es
ist vielmehr der moralische Mut. Mit der vollen Kenntnis dessen, was
politisch und militärisch auf dem Spiele steht, die ungeheure Spannung eines
Schlachttages Stunde für Stunde zu durchleben, dabei nur beobachten, nicht
selbst handeln zu dürfen, dazu gehört noch mehr Charakterstärke als ins Feuer
zu gehen.

Niemals hat Bismarck diesen Mut mehr bewiesen als um Tage von
Königgrätz. Als am 30. Juni 1866 nachmittags nach drei Uhr König Wilhelm
mit seinem Gefolge auf der Fahrt nach dem böhmischen Kriegsschauplatze den
Bahnhof Zittau passirte, da spähten die Hunderte von Einwohnern der säch¬
sischen Grenzstadt, die ihn halb grollend, halb ehrfurchtsvoll und in dem
dunkeln Gefühle, daß die große Entscheidung nunmehr unmittelbar bevorstehe,
erwarteten, vor allem nach dem Grafen Bismarck. Er stieg ans wie der König
und ging eine kurze Zeit vor der Wagenreihe auf und ab, ohne sich weiter
um die Menge zu kümmern. Wenige Tage später, am 3. Juli, früh gegen
acht Uhr, hielt er unter dem glänzenden Stäbe des Königs neben Moltke und
Roon auf der Höhe von Dub, wo sich die Straße nach Sadowa und König¬
grätz ins breite Wiesenthal der Bistritz hinuntersenkt, um dann nach den Höhen
von Lipa und China hinaufzusteigen. Es war nach langer Hitze ein trüber
regnerischer Morgen. Vor ihnen brüllte die Schlacht; auf stundenweite stand
die Armee des Prinzen Friedrich Karl unter dem furchtbaren Granatenhagel
der überlegnen, beherrschend aufgestellten österreichischen Artillerie. Allerorten
rollender Kanonendonner, knatternde Salven, auflodernde Flammen, dichter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/681>, abgerufen am 24.07.2024.