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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

Ausgaben, in der Thronrede, mit der er am 5. August den umgewühlten
Landtag eröffnete, beendete auch den innern Konflikt. Am nächsten Tage er¬
schien der französische Gesandte Graf Benedetti bei Bismarck. Die aufdring¬
liche Vermittlung Napoleons III. hatte diesen gezwungen, den Abschluß des
Vorfriedens mit Österreich in Nikolsburg am 26. Juli zu beschleunigen und
die Reform des Deutschen Bundes auf die Länder nördlich vom Maine zu be¬
schränken, wofür Österreich und Frankreich für Preußen ausgedehnte Annexionen
in Norddeutschland zugestanden. Da stellte Benedetti dem Grafen Bismarck
die schon früher angedeutete Forderung, Preußen solle an Frankreich als
"Kompensationen" für die eigne Vergrößerung Rheinhessen mit Mainz, die
bayrische Pfalz und das Saargcbiet gewähren. "Wenn Sie das verweigern,
setzte er hinzu, so bedeutet das den Krieg." "Gut, dann ist Krieg," bemerkte
Graf Bismarck trocken und berichtete dem König. Am 7. August holte sich
der Franzose bei Bismarck die deutsche Antwort: Jede Abtretung deutschen
Bodens sei für Preußen unmöglich, damit würde es trotz aller Siege bankerott
machen. Wenn Frankreich trotzdem auf seinen Forderungen bestehe, dann werde
Preußen sich um jeden Preis mit Österreich verständigen und die ganze deutsche
Nation aufrufen. "Dann aber gehen wir mit 800000 Mann über den Rhein
und nehmen euch das Elsaß ab; unsre beiden Armeen sind mobil, die eure
nicht, die Folgen denken Sie sich selbst." Zur Bekräftigung dieser Worte ging
die schwere Belagerungsartillerie, die schon auf dem Wege nach Böhmen war,
nach den Rheinfestungen ab. Erschrocken von dem furchtbaren Ernste dieser
Erklärungen eilte Benedetti nach Paris, und Napoleon III. erklärte die Forde¬
rung von "Kompensationen" für ein "Mißverständnis."

Es war keines gewesen, die Rücksicht auf sein eitles, murrendes Volk,
das "Vergeltung für Sadowa" begehrte, weil der preußische Waffenruhm den
französischen überstrahlte, zwang Napoleon III., irgend welche Gebietsver¬
größerung zu erstreben und sich der werdenden Einheit Deutschlands in den
Weg zu stellen. Seit dem August 1867 bestand ein Einvernehmen mit Öster¬
reich, das ebenfalls den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen
Bund verhindern wollte; ein Kriegsbündnis gegen das neue Deutschland war
im Entstehen, in das auch Italien mit hereingezogen werden sollte, und in den
ersten Monaten des Jahres 1870 wurde zwischen Wien und Paris ein Feld¬
zugsplan etwa für 1871 verabredet, uach dem die Heere der drei Mächte Süd¬
deutschland von drei Seiten angreifen, sich bei Nürnberg vereinigen und über
Leipzig auf Berlin vordringen sollten. Es war eine Lage fast wie 1756 für
Friedrich den Großen. Kein Zweifel, daß Graf Bismarcks Scharfblick, so gut
wie damals König Friedrich, im ganzen diese Lage durchschaut hat. Er vermied
es, Frankreich unnütz zu reizen, aber er sah den Krieg kommen und war ent-
schlossen, ihn aufzunehmen, natürlich unter möglichst günstigen Bedingungen;
er hat deshalb seit 1869 die spanische Thrvntandidatur des Prinzen Leopold


Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

Ausgaben, in der Thronrede, mit der er am 5. August den umgewühlten
Landtag eröffnete, beendete auch den innern Konflikt. Am nächsten Tage er¬
schien der französische Gesandte Graf Benedetti bei Bismarck. Die aufdring¬
liche Vermittlung Napoleons III. hatte diesen gezwungen, den Abschluß des
Vorfriedens mit Österreich in Nikolsburg am 26. Juli zu beschleunigen und
die Reform des Deutschen Bundes auf die Länder nördlich vom Maine zu be¬
schränken, wofür Österreich und Frankreich für Preußen ausgedehnte Annexionen
in Norddeutschland zugestanden. Da stellte Benedetti dem Grafen Bismarck
die schon früher angedeutete Forderung, Preußen solle an Frankreich als
„Kompensationen" für die eigne Vergrößerung Rheinhessen mit Mainz, die
bayrische Pfalz und das Saargcbiet gewähren. „Wenn Sie das verweigern,
setzte er hinzu, so bedeutet das den Krieg." „Gut, dann ist Krieg," bemerkte
Graf Bismarck trocken und berichtete dem König. Am 7. August holte sich
der Franzose bei Bismarck die deutsche Antwort: Jede Abtretung deutschen
Bodens sei für Preußen unmöglich, damit würde es trotz aller Siege bankerott
machen. Wenn Frankreich trotzdem auf seinen Forderungen bestehe, dann werde
Preußen sich um jeden Preis mit Österreich verständigen und die ganze deutsche
Nation aufrufen. „Dann aber gehen wir mit 800000 Mann über den Rhein
und nehmen euch das Elsaß ab; unsre beiden Armeen sind mobil, die eure
nicht, die Folgen denken Sie sich selbst." Zur Bekräftigung dieser Worte ging
die schwere Belagerungsartillerie, die schon auf dem Wege nach Böhmen war,
nach den Rheinfestungen ab. Erschrocken von dem furchtbaren Ernste dieser
Erklärungen eilte Benedetti nach Paris, und Napoleon III. erklärte die Forde¬
rung von „Kompensationen" für ein „Mißverständnis."

Es war keines gewesen, die Rücksicht auf sein eitles, murrendes Volk,
das „Vergeltung für Sadowa" begehrte, weil der preußische Waffenruhm den
französischen überstrahlte, zwang Napoleon III., irgend welche Gebietsver¬
größerung zu erstreben und sich der werdenden Einheit Deutschlands in den
Weg zu stellen. Seit dem August 1867 bestand ein Einvernehmen mit Öster¬
reich, das ebenfalls den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen
Bund verhindern wollte; ein Kriegsbündnis gegen das neue Deutschland war
im Entstehen, in das auch Italien mit hereingezogen werden sollte, und in den
ersten Monaten des Jahres 1870 wurde zwischen Wien und Paris ein Feld¬
zugsplan etwa für 1871 verabredet, uach dem die Heere der drei Mächte Süd¬
deutschland von drei Seiten angreifen, sich bei Nürnberg vereinigen und über
Leipzig auf Berlin vordringen sollten. Es war eine Lage fast wie 1756 für
Friedrich den Großen. Kein Zweifel, daß Graf Bismarcks Scharfblick, so gut
wie damals König Friedrich, im ganzen diese Lage durchschaut hat. Er vermied
es, Frankreich unnütz zu reizen, aber er sah den Krieg kommen und war ent-
schlossen, ihn aufzunehmen, natürlich unter möglichst günstigen Bedingungen;
er hat deshalb seit 1869 die spanische Thrvntandidatur des Prinzen Leopold


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/679>, abgerufen am 12.12.2024.