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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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spüre" im Schnee

Nein, noch nicht, antwortete der Leutnant,

Ja, aber das Papier kann sich ganz auflösen!

Nein, zu jener Zeit hatte man gutes Papier!

Das ist wohl wahr -- aber trotzdem --

Endlich nahm der Leutnant das Blatt aus dem Braukessel heraus und fing
vorsichtig an, das Bild, das die Burg Rheineck darstellte, an der einen Ecke von
seiner Unterlage loszulösen -- es ging!

Lassen Sie mich einmal sehen/ was da steht! sagte der Doktor und steckte die
Nase ganz ins Papier hinein. -- Pre -- Preber By -- Bydelsbcck! -- Zu
Knut Lavards Zeit gab es keine Bydelsbaks, die kennt man erst aus dem vier¬
zehnten Jahrhundert! -- Was kann dies nur sein!

Das Blatt war bald ganz von der rheinischen Burg befreit. Die Schrift
hatte nicht den geringsten Schaden gelitten, leider aber entpuppte die vermeintliche
Knndschrvnik sich nur als eine Leichenpredigt über den "guten Mann" Anders
Bagge, dessen Genealogie aus der ersten Seite aufgezählt wurde.

Das kann man wirklich eine Enttäuschung nennen! seufzte der Doktor. --
Was nun?

In, was nun? wiederholte der Leutnant. Wir sind festgefahren und müsse"
nun sehen, daß wir eine neue Spur finden -- das kann oft zu den überraschendsten
Resultaten führen,

Harriet senkte den Blick und errötete bis an die Haarwurzeln.

Herr Leutnant! sagte sie nach einer Weile. Ich möchte gern ein Wort mit
Ihnen reden.

Ich flehe ganz zu Ihrer Verfügung, mein gnädiges Fräulein!

Ich schulde Ihnen eine Erklärung, fuhr sie fort, nein, unterbrechen Sie mich
nicht! Sie haben ein Recht, alles zu wissen, und ich muß Ihnen danken, daß Sie
so diskret waren, nicht zu fragen. Der Mann, mit dem zusammen Sie mich heute
vormittag trafen, Gutsverwalter Jorge" Busch, ist mein Verlobter.

Der Leutnant verneigte sich. Das war mir selbstverständlich im ersten Augen¬
blick klar, mein gnädiges Fräulein.

Harriet fuhr fort, aber es kostete sie offenbar nicht geringe Überwindung zu
reden:

Er ist der Sohn eines Holzwärters hier auf dem Gut -- seine beiden Eltern
sind schon lange tot. Wir sind zusammen aufgewachsen -- er ist nur wenige Jahre
älter als ich --, nur spielten zusammen, wir lernten zusammen, und wir waren
unzertrennlich; schließlich gewann er mich lieb und ich ihn. Ich war fünfzehn Jahre
alt, als Vater uns einmal zusammen überraschte; er wurde heftig, entsetzlich heftig
er legte Hand an Jörgen, und das habe ich Vater nie vergessen können --
vielleicht ist das meine Schuld. Dann ging ich von daheim fort, zu meiner Tante,
und bei der blieb ich, bis sie starb. Jörgen aber ließ ich ausbilden -- ich hatte
freie Verfügung über mein Klostergeld --, natürlich ohne daß er es ahnte und
ahnt, woher die Hilfe kam; er machte sein Abiturientenexamen, besuchte die land¬
wirtschaftliche Akademie und wurde, wie Sie wissen, Reserveoffizier. Der, den ich
zum Manne erwählte, mußte selbstverständlich so sein, daß man weder über seine
Bildung, noch über seine soziale Stellung die Schultern Hochziehen konnte. Jetzt
soll er, wie Sie vorhin hörten, zum Frühling eine größere Pachtung übernehmen,
im nächsten Jahre werde ich großjährig, und dann heirate ich ihn, ohne irgend
jemand um Erlaubnis zu fragen. Bis dahin aber bitte ich Sie, unverbrüchliches
schweigen über das zu bewahren, in das Sie zufällig eingeweiht worden find. Ich


spüre» im Schnee

Nein, noch nicht, antwortete der Leutnant,

Ja, aber das Papier kann sich ganz auflösen!

Nein, zu jener Zeit hatte man gutes Papier!

Das ist wohl wahr — aber trotzdem —

Endlich nahm der Leutnant das Blatt aus dem Braukessel heraus und fing
vorsichtig an, das Bild, das die Burg Rheineck darstellte, an der einen Ecke von
seiner Unterlage loszulösen — es ging!

Lassen Sie mich einmal sehen/ was da steht! sagte der Doktor und steckte die
Nase ganz ins Papier hinein. — Pre — Preber By — Bydelsbcck! — Zu
Knut Lavards Zeit gab es keine Bydelsbaks, die kennt man erst aus dem vier¬
zehnten Jahrhundert! — Was kann dies nur sein!

Das Blatt war bald ganz von der rheinischen Burg befreit. Die Schrift
hatte nicht den geringsten Schaden gelitten, leider aber entpuppte die vermeintliche
Knndschrvnik sich nur als eine Leichenpredigt über den „guten Mann" Anders
Bagge, dessen Genealogie aus der ersten Seite aufgezählt wurde.

Das kann man wirklich eine Enttäuschung nennen! seufzte der Doktor. —
Was nun?

In, was nun? wiederholte der Leutnant. Wir sind festgefahren und müsse»
nun sehen, daß wir eine neue Spur finden — das kann oft zu den überraschendsten
Resultaten führen,

Harriet senkte den Blick und errötete bis an die Haarwurzeln.

Herr Leutnant! sagte sie nach einer Weile. Ich möchte gern ein Wort mit
Ihnen reden.

Ich flehe ganz zu Ihrer Verfügung, mein gnädiges Fräulein!

Ich schulde Ihnen eine Erklärung, fuhr sie fort, nein, unterbrechen Sie mich
nicht! Sie haben ein Recht, alles zu wissen, und ich muß Ihnen danken, daß Sie
so diskret waren, nicht zu fragen. Der Mann, mit dem zusammen Sie mich heute
vormittag trafen, Gutsverwalter Jorge» Busch, ist mein Verlobter.

Der Leutnant verneigte sich. Das war mir selbstverständlich im ersten Augen¬
blick klar, mein gnädiges Fräulein.

Harriet fuhr fort, aber es kostete sie offenbar nicht geringe Überwindung zu
reden:

Er ist der Sohn eines Holzwärters hier auf dem Gut — seine beiden Eltern
sind schon lange tot. Wir sind zusammen aufgewachsen — er ist nur wenige Jahre
älter als ich —, nur spielten zusammen, wir lernten zusammen, und wir waren
unzertrennlich; schließlich gewann er mich lieb und ich ihn. Ich war fünfzehn Jahre
alt, als Vater uns einmal zusammen überraschte; er wurde heftig, entsetzlich heftig
er legte Hand an Jörgen, und das habe ich Vater nie vergessen können —
vielleicht ist das meine Schuld. Dann ging ich von daheim fort, zu meiner Tante,
und bei der blieb ich, bis sie starb. Jörgen aber ließ ich ausbilden — ich hatte
freie Verfügung über mein Klostergeld —, natürlich ohne daß er es ahnte und
ahnt, woher die Hilfe kam; er machte sein Abiturientenexamen, besuchte die land¬
wirtschaftliche Akademie und wurde, wie Sie wissen, Reserveoffizier. Der, den ich
zum Manne erwählte, mußte selbstverständlich so sein, daß man weder über seine
Bildung, noch über seine soziale Stellung die Schultern Hochziehen konnte. Jetzt
soll er, wie Sie vorhin hörten, zum Frühling eine größere Pachtung übernehmen,
im nächsten Jahre werde ich großjährig, und dann heirate ich ihn, ohne irgend
jemand um Erlaubnis zu fragen. Bis dahin aber bitte ich Sie, unverbrüchliches
schweigen über das zu bewahren, in das Sie zufällig eingeweiht worden find. Ich


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[0663] spüre» im Schnee Nein, noch nicht, antwortete der Leutnant, Ja, aber das Papier kann sich ganz auflösen! Nein, zu jener Zeit hatte man gutes Papier! Das ist wohl wahr — aber trotzdem — Endlich nahm der Leutnant das Blatt aus dem Braukessel heraus und fing vorsichtig an, das Bild, das die Burg Rheineck darstellte, an der einen Ecke von seiner Unterlage loszulösen — es ging! Lassen Sie mich einmal sehen/ was da steht! sagte der Doktor und steckte die Nase ganz ins Papier hinein. — Pre — Preber By — Bydelsbcck! — Zu Knut Lavards Zeit gab es keine Bydelsbaks, die kennt man erst aus dem vier¬ zehnten Jahrhundert! — Was kann dies nur sein! Das Blatt war bald ganz von der rheinischen Burg befreit. Die Schrift hatte nicht den geringsten Schaden gelitten, leider aber entpuppte die vermeintliche Knndschrvnik sich nur als eine Leichenpredigt über den „guten Mann" Anders Bagge, dessen Genealogie aus der ersten Seite aufgezählt wurde. Das kann man wirklich eine Enttäuschung nennen! seufzte der Doktor. — Was nun? In, was nun? wiederholte der Leutnant. Wir sind festgefahren und müsse» nun sehen, daß wir eine neue Spur finden — das kann oft zu den überraschendsten Resultaten führen, Harriet senkte den Blick und errötete bis an die Haarwurzeln. Herr Leutnant! sagte sie nach einer Weile. Ich möchte gern ein Wort mit Ihnen reden. Ich flehe ganz zu Ihrer Verfügung, mein gnädiges Fräulein! Ich schulde Ihnen eine Erklärung, fuhr sie fort, nein, unterbrechen Sie mich nicht! Sie haben ein Recht, alles zu wissen, und ich muß Ihnen danken, daß Sie so diskret waren, nicht zu fragen. Der Mann, mit dem zusammen Sie mich heute vormittag trafen, Gutsverwalter Jorge» Busch, ist mein Verlobter. Der Leutnant verneigte sich. Das war mir selbstverständlich im ersten Augen¬ blick klar, mein gnädiges Fräulein. Harriet fuhr fort, aber es kostete sie offenbar nicht geringe Überwindung zu reden: Er ist der Sohn eines Holzwärters hier auf dem Gut — seine beiden Eltern sind schon lange tot. Wir sind zusammen aufgewachsen — er ist nur wenige Jahre älter als ich —, nur spielten zusammen, wir lernten zusammen, und wir waren unzertrennlich; schließlich gewann er mich lieb und ich ihn. Ich war fünfzehn Jahre alt, als Vater uns einmal zusammen überraschte; er wurde heftig, entsetzlich heftig er legte Hand an Jörgen, und das habe ich Vater nie vergessen können — vielleicht ist das meine Schuld. Dann ging ich von daheim fort, zu meiner Tante, und bei der blieb ich, bis sie starb. Jörgen aber ließ ich ausbilden — ich hatte freie Verfügung über mein Klostergeld —, natürlich ohne daß er es ahnte und ahnt, woher die Hilfe kam; er machte sein Abiturientenexamen, besuchte die land¬ wirtschaftliche Akademie und wurde, wie Sie wissen, Reserveoffizier. Der, den ich zum Manne erwählte, mußte selbstverständlich so sein, daß man weder über seine Bildung, noch über seine soziale Stellung die Schultern Hochziehen konnte. Jetzt soll er, wie Sie vorhin hörten, zum Frühling eine größere Pachtung übernehmen, im nächsten Jahre werde ich großjährig, und dann heirate ich ihn, ohne irgend jemand um Erlaubnis zu fragen. Bis dahin aber bitte ich Sie, unverbrüchliches schweigen über das zu bewahren, in das Sie zufällig eingeweiht worden find. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/663>, abgerufen am 12.12.2024.