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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Zur Abriistungsfrcige

Flotte oder gar einem Landheer eines dieser Staaten irgend welches Grauen
zu bereiten. Wenn die genannten drei Staaten, dazu Österreich und Italien,
auf dem Kongresse, der ja unzweifelhaft zu stände kommen wird, zusammen¬
stehen, so ist England völlig gelähmt. Denn in Asien unterliegt es zweifellos
in einem etwaigen Landkriege gegen Nußland, trotz seines neuesten Kriegsruhms
bei Omdurmcm. Was ein solcher Sieg nur einigermaßen europäisch geschulter
Truppen über barbarische Völkerschaften sagen will, wird am besten durch den
Prinzen Friedrich Karl charakterisirt, der es bei seinem Aufenthalt in Ägypten
in den achtziger Jahren ablehnte, das Schlachtfeld von Tel el Kebir zu be¬
sichtigen, weil er sich davon keine Bereicherung seiner Kriegskeuntnisfe ver¬
sprechen könnte. Und auch zur See, wenn England mit einem Landkriege in
Asien gegen Nußland einen Seekrieg in Europa verbinden wollte, würde das
Zusammenstehen des Dreibundes mit dem Zweibuude in den Gewässern Europas
Englands Seemacht, deren Mängel bekannt sind, die Wage halten. Es ist
keine Frage, daß das russisch-französische Bündnis vor allem gegen England
gerichtet ist. Auch die Franzosen werden allmählich einsehen, daß von einer
Rückgabe oder Neutralistruug Elsaß-Lothringens keine Rede sein kann. Die
allgemeine Übereinstimmung über diese Frage hat unser Kaiser erst kürzlich bei
den Manövern in Westfalen ganz klar und bestimmt ausgesprochen; auch bei
der Enthüllung des Denkmals sür Kaiser Friedrich bei Worts 1895 ist er für
die Festhaltung von Elsaß-Lothringen in uicht mißzuverstehender Weise ein¬
getreten. Wenn man weiter an die jetzt umlaufenden Gerüchte von einem
Vertrage Deutschlands mit England in Afrika die Meinung knüpft, Deutsch¬
land wolle die Sympathien für Transvaal aufgeben und damit unsre kolo¬
nialen Erwerbungen in Südwestafrika in Gefahr bringen, so ist das für den
deutschen Vaterlandsfreund kaum glaublich.

Man muß sagen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine all¬
gemeine Konferenz der europäische" Staaten eine absolute Notwendigkeit ist.
Zar Nikolaus hat sich mit ihrer Zusammenberufung ein großes Verdienst er¬
worben. Von einer Abrüstung kann aber keine Rede sein. Abrüsten konnte
mau zu den Zeiten der Landsknechte, der gewordnen Truppen. Die brauchte
man nach abgelaufner Werdezeit nur einfach zu entlassen. Heutzutage aber ist
unser Heer eine Schule für das Volk, die wir unter keinen Uniständen auf¬
geben können. Eine Revision des Frankfurter Friedens von 1871, eine Wieder¬
herstellung des Kirchenstaats kann nicht in Frage kommen. Es bleibt also
die Regelung der Erwerbungen Europas in den asiatischen und afrikanischen
Gebieten. Und das ist eine Aufgabe, die namentlich jetzt nach dem spanisch-
amerikanischen Kriege immer dringender geworden ist. England hat einen
solchen Vorsprung an Erwerbungen für sich gemacht, daß ihm unbedingt Halt
geboten werden muß. Auch seine Besitzungen im Mittelmeer und an den
Küsten davon müssen einer Revision unterzogen werden. Gibraltar, Malta,


Zur Abriistungsfrcige

Flotte oder gar einem Landheer eines dieser Staaten irgend welches Grauen
zu bereiten. Wenn die genannten drei Staaten, dazu Österreich und Italien,
auf dem Kongresse, der ja unzweifelhaft zu stände kommen wird, zusammen¬
stehen, so ist England völlig gelähmt. Denn in Asien unterliegt es zweifellos
in einem etwaigen Landkriege gegen Nußland, trotz seines neuesten Kriegsruhms
bei Omdurmcm. Was ein solcher Sieg nur einigermaßen europäisch geschulter
Truppen über barbarische Völkerschaften sagen will, wird am besten durch den
Prinzen Friedrich Karl charakterisirt, der es bei seinem Aufenthalt in Ägypten
in den achtziger Jahren ablehnte, das Schlachtfeld von Tel el Kebir zu be¬
sichtigen, weil er sich davon keine Bereicherung seiner Kriegskeuntnisfe ver¬
sprechen könnte. Und auch zur See, wenn England mit einem Landkriege in
Asien gegen Nußland einen Seekrieg in Europa verbinden wollte, würde das
Zusammenstehen des Dreibundes mit dem Zweibuude in den Gewässern Europas
Englands Seemacht, deren Mängel bekannt sind, die Wage halten. Es ist
keine Frage, daß das russisch-französische Bündnis vor allem gegen England
gerichtet ist. Auch die Franzosen werden allmählich einsehen, daß von einer
Rückgabe oder Neutralistruug Elsaß-Lothringens keine Rede sein kann. Die
allgemeine Übereinstimmung über diese Frage hat unser Kaiser erst kürzlich bei
den Manövern in Westfalen ganz klar und bestimmt ausgesprochen; auch bei
der Enthüllung des Denkmals sür Kaiser Friedrich bei Worts 1895 ist er für
die Festhaltung von Elsaß-Lothringen in uicht mißzuverstehender Weise ein¬
getreten. Wenn man weiter an die jetzt umlaufenden Gerüchte von einem
Vertrage Deutschlands mit England in Afrika die Meinung knüpft, Deutsch¬
land wolle die Sympathien für Transvaal aufgeben und damit unsre kolo¬
nialen Erwerbungen in Südwestafrika in Gefahr bringen, so ist das für den
deutschen Vaterlandsfreund kaum glaublich.

Man muß sagen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine all¬
gemeine Konferenz der europäische» Staaten eine absolute Notwendigkeit ist.
Zar Nikolaus hat sich mit ihrer Zusammenberufung ein großes Verdienst er¬
worben. Von einer Abrüstung kann aber keine Rede sein. Abrüsten konnte
mau zu den Zeiten der Landsknechte, der gewordnen Truppen. Die brauchte
man nach abgelaufner Werdezeit nur einfach zu entlassen. Heutzutage aber ist
unser Heer eine Schule für das Volk, die wir unter keinen Uniständen auf¬
geben können. Eine Revision des Frankfurter Friedens von 1871, eine Wieder¬
herstellung des Kirchenstaats kann nicht in Frage kommen. Es bleibt also
die Regelung der Erwerbungen Europas in den asiatischen und afrikanischen
Gebieten. Und das ist eine Aufgabe, die namentlich jetzt nach dem spanisch-
amerikanischen Kriege immer dringender geworden ist. England hat einen
solchen Vorsprung an Erwerbungen für sich gemacht, daß ihm unbedingt Halt
geboten werden muß. Auch seine Besitzungen im Mittelmeer und an den
Küsten davon müssen einer Revision unterzogen werden. Gibraltar, Malta,


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[0063] Zur Abriistungsfrcige Flotte oder gar einem Landheer eines dieser Staaten irgend welches Grauen zu bereiten. Wenn die genannten drei Staaten, dazu Österreich und Italien, auf dem Kongresse, der ja unzweifelhaft zu stände kommen wird, zusammen¬ stehen, so ist England völlig gelähmt. Denn in Asien unterliegt es zweifellos in einem etwaigen Landkriege gegen Nußland, trotz seines neuesten Kriegsruhms bei Omdurmcm. Was ein solcher Sieg nur einigermaßen europäisch geschulter Truppen über barbarische Völkerschaften sagen will, wird am besten durch den Prinzen Friedrich Karl charakterisirt, der es bei seinem Aufenthalt in Ägypten in den achtziger Jahren ablehnte, das Schlachtfeld von Tel el Kebir zu be¬ sichtigen, weil er sich davon keine Bereicherung seiner Kriegskeuntnisfe ver¬ sprechen könnte. Und auch zur See, wenn England mit einem Landkriege in Asien gegen Nußland einen Seekrieg in Europa verbinden wollte, würde das Zusammenstehen des Dreibundes mit dem Zweibuude in den Gewässern Europas Englands Seemacht, deren Mängel bekannt sind, die Wage halten. Es ist keine Frage, daß das russisch-französische Bündnis vor allem gegen England gerichtet ist. Auch die Franzosen werden allmählich einsehen, daß von einer Rückgabe oder Neutralistruug Elsaß-Lothringens keine Rede sein kann. Die allgemeine Übereinstimmung über diese Frage hat unser Kaiser erst kürzlich bei den Manövern in Westfalen ganz klar und bestimmt ausgesprochen; auch bei der Enthüllung des Denkmals sür Kaiser Friedrich bei Worts 1895 ist er für die Festhaltung von Elsaß-Lothringen in uicht mißzuverstehender Weise ein¬ getreten. Wenn man weiter an die jetzt umlaufenden Gerüchte von einem Vertrage Deutschlands mit England in Afrika die Meinung knüpft, Deutsch¬ land wolle die Sympathien für Transvaal aufgeben und damit unsre kolo¬ nialen Erwerbungen in Südwestafrika in Gefahr bringen, so ist das für den deutschen Vaterlandsfreund kaum glaublich. Man muß sagen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine all¬ gemeine Konferenz der europäische» Staaten eine absolute Notwendigkeit ist. Zar Nikolaus hat sich mit ihrer Zusammenberufung ein großes Verdienst er¬ worben. Von einer Abrüstung kann aber keine Rede sein. Abrüsten konnte mau zu den Zeiten der Landsknechte, der gewordnen Truppen. Die brauchte man nach abgelaufner Werdezeit nur einfach zu entlassen. Heutzutage aber ist unser Heer eine Schule für das Volk, die wir unter keinen Uniständen auf¬ geben können. Eine Revision des Frankfurter Friedens von 1871, eine Wieder¬ herstellung des Kirchenstaats kann nicht in Frage kommen. Es bleibt also die Regelung der Erwerbungen Europas in den asiatischen und afrikanischen Gebieten. Und das ist eine Aufgabe, die namentlich jetzt nach dem spanisch- amerikanischen Kriege immer dringender geworden ist. England hat einen solchen Vorsprung an Erwerbungen für sich gemacht, daß ihm unbedingt Halt geboten werden muß. Auch seine Besitzungen im Mittelmeer und an den Küsten davon müssen einer Revision unterzogen werden. Gibraltar, Malta,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/63>, abgerufen am 24.07.2024.