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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Ausweisungen in Nordschleswig

Jetzt freilich wird es vielen klar, daß die Sache nicht unwichtig ist. Un¬
nütze Anstrengungen des patriotischen Eifers sind eine Kraftvergeudung, die
sich irgendwie rächen muß, und so hat sich auch in der letzten Zeit in Kreisen,
die etwas auf nationale Ehre halten, ein Gefühl der Beschämung geltend ge¬
macht; die Dänen sind zu klein, wir legen keine Ehre damit ein, daß wir sie
unsre Übermacht fühlen lassen, sagt mau sich. Diese Einsicht sollte aber dazu
führen, daß man in Zukunft auf die Leute, die sich rühme", für die Forde¬
rungen der nationalen Ehre ein besonders feines Verständnis zu haben, besser
aufpaßt.

Durch die Ausweisungsmaßregel ist der Bogen überspannt worden. Wer
aber die Vorgänge in Nordschleswig genauer beobachtet hat, mußte längst darauf
gefaßt sein, daß die Negierung etwas vornehmen werde, was den bisher dort
befolgten Grundsätzen entspricht. Daß die Negierung so zwecklos strafen werde,
wie es jetzt geschehen ist, war freilich nicht vorauszusehen, aber nachdem die
Forderung, daß in Nordschleswig etwas geschehen müsse, oder, mit andern
Worten, daß an den trotzigen, verbissenen Dänen eine exemplarische Züchtigung
vorgenommen werden müsse, in der letzten Zeit mit besondern: Nachdruck er¬
hoben worden war, war nach allem Vorhergegangnen vorauszusehen, daß die
Negierung dieser Forderung in irgend einer Weise nachkommen werde. Die
Regierung und ihre Ratgeber in den nordschleswigischen Angelegenheiten waren
ja selbst enttäuscht und verstimmt, besonders seit den letzten Reichstagswahlen.
Und sie hatten Grund dazu. Denn der Ausfall der Wahlen hatte ihnen einen
schlimmen Strich durch die Rechnung gemacht.

Was in Nordschleswig vorgefallen ist? Sehr viel und sehr merkwürdiges.
Es sind vierunddreißig Jahre seit dem letzten Schleswig-holsteinischen Kriege
und schon mehr als dreißig Jahre seit der Annexion Schleswig-Holsteins ver¬
flossen- Das dänische Sprachgebiet ist während dieser Zeit bedeutend eingeengt
worden, weil die Sprachgrenze allmählich nach Norden vorrückt, durch eine
Bevölkerungsverschiebung, die sich seit Jahrzehnten vollzieht. Die größte Stadt
Schleswigs, die Hafen- und Handelsstadt Flensburg, früher ein fester Hort
des Dänentums, ist fast gänzlich deutsch geworden, was auch auf die Um¬
gegend Einfluß übt. Der dadurch wie durch sonstiges Vordringen des Deutsch¬
tums den Dünen erwachsene Verlust ist nicht unbedeutend, und dennoch hat
das so bedrängte Dänentum während dieses Zeitraums, besonders in dem
letzten Jahrzehnt, einen gewaltigen Aufschwung genommen. Im Jahre 1893
hatte die dänische Partei schon einen Stimmenzuwachs zu verzeichnen, und bei
der letzten Wahl einen nochmaligen sehr bedeutenden und auffälligen Zuwachs
gegen 1893. Das Dänentum hat also den ihm dnrch räumliche Einengung
entstandnen Verlust durch inneres Erstarken vollständig wett gemacht und noch
mehr dazu gewonnen- Während zu Anfang angenommen worden war, daß
sich die Dänen allmählich an die deutsche Herrschaft gewöhnen würden, ergiebt
sich also gerade das Gegenteil. Das dänische Programm übt besonders auf


Die Ausweisungen in Nordschleswig

Jetzt freilich wird es vielen klar, daß die Sache nicht unwichtig ist. Un¬
nütze Anstrengungen des patriotischen Eifers sind eine Kraftvergeudung, die
sich irgendwie rächen muß, und so hat sich auch in der letzten Zeit in Kreisen,
die etwas auf nationale Ehre halten, ein Gefühl der Beschämung geltend ge¬
macht; die Dänen sind zu klein, wir legen keine Ehre damit ein, daß wir sie
unsre Übermacht fühlen lassen, sagt mau sich. Diese Einsicht sollte aber dazu
führen, daß man in Zukunft auf die Leute, die sich rühme», für die Forde¬
rungen der nationalen Ehre ein besonders feines Verständnis zu haben, besser
aufpaßt.

Durch die Ausweisungsmaßregel ist der Bogen überspannt worden. Wer
aber die Vorgänge in Nordschleswig genauer beobachtet hat, mußte längst darauf
gefaßt sein, daß die Negierung etwas vornehmen werde, was den bisher dort
befolgten Grundsätzen entspricht. Daß die Negierung so zwecklos strafen werde,
wie es jetzt geschehen ist, war freilich nicht vorauszusehen, aber nachdem die
Forderung, daß in Nordschleswig etwas geschehen müsse, oder, mit andern
Worten, daß an den trotzigen, verbissenen Dänen eine exemplarische Züchtigung
vorgenommen werden müsse, in der letzten Zeit mit besondern: Nachdruck er¬
hoben worden war, war nach allem Vorhergegangnen vorauszusehen, daß die
Negierung dieser Forderung in irgend einer Weise nachkommen werde. Die
Regierung und ihre Ratgeber in den nordschleswigischen Angelegenheiten waren
ja selbst enttäuscht und verstimmt, besonders seit den letzten Reichstagswahlen.
Und sie hatten Grund dazu. Denn der Ausfall der Wahlen hatte ihnen einen
schlimmen Strich durch die Rechnung gemacht.

Was in Nordschleswig vorgefallen ist? Sehr viel und sehr merkwürdiges.
Es sind vierunddreißig Jahre seit dem letzten Schleswig-holsteinischen Kriege
und schon mehr als dreißig Jahre seit der Annexion Schleswig-Holsteins ver¬
flossen- Das dänische Sprachgebiet ist während dieser Zeit bedeutend eingeengt
worden, weil die Sprachgrenze allmählich nach Norden vorrückt, durch eine
Bevölkerungsverschiebung, die sich seit Jahrzehnten vollzieht. Die größte Stadt
Schleswigs, die Hafen- und Handelsstadt Flensburg, früher ein fester Hort
des Dänentums, ist fast gänzlich deutsch geworden, was auch auf die Um¬
gegend Einfluß übt. Der dadurch wie durch sonstiges Vordringen des Deutsch¬
tums den Dünen erwachsene Verlust ist nicht unbedeutend, und dennoch hat
das so bedrängte Dänentum während dieses Zeitraums, besonders in dem
letzten Jahrzehnt, einen gewaltigen Aufschwung genommen. Im Jahre 1893
hatte die dänische Partei schon einen Stimmenzuwachs zu verzeichnen, und bei
der letzten Wahl einen nochmaligen sehr bedeutenden und auffälligen Zuwachs
gegen 1893. Das Dänentum hat also den ihm dnrch räumliche Einengung
entstandnen Verlust durch inneres Erstarken vollständig wett gemacht und noch
mehr dazu gewonnen- Während zu Anfang angenommen worden war, daß
sich die Dänen allmählich an die deutsche Herrschaft gewöhnen würden, ergiebt
sich also gerade das Gegenteil. Das dänische Programm übt besonders auf


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[0621] Die Ausweisungen in Nordschleswig Jetzt freilich wird es vielen klar, daß die Sache nicht unwichtig ist. Un¬ nütze Anstrengungen des patriotischen Eifers sind eine Kraftvergeudung, die sich irgendwie rächen muß, und so hat sich auch in der letzten Zeit in Kreisen, die etwas auf nationale Ehre halten, ein Gefühl der Beschämung geltend ge¬ macht; die Dänen sind zu klein, wir legen keine Ehre damit ein, daß wir sie unsre Übermacht fühlen lassen, sagt mau sich. Diese Einsicht sollte aber dazu führen, daß man in Zukunft auf die Leute, die sich rühme», für die Forde¬ rungen der nationalen Ehre ein besonders feines Verständnis zu haben, besser aufpaßt. Durch die Ausweisungsmaßregel ist der Bogen überspannt worden. Wer aber die Vorgänge in Nordschleswig genauer beobachtet hat, mußte längst darauf gefaßt sein, daß die Negierung etwas vornehmen werde, was den bisher dort befolgten Grundsätzen entspricht. Daß die Negierung so zwecklos strafen werde, wie es jetzt geschehen ist, war freilich nicht vorauszusehen, aber nachdem die Forderung, daß in Nordschleswig etwas geschehen müsse, oder, mit andern Worten, daß an den trotzigen, verbissenen Dänen eine exemplarische Züchtigung vorgenommen werden müsse, in der letzten Zeit mit besondern: Nachdruck er¬ hoben worden war, war nach allem Vorhergegangnen vorauszusehen, daß die Negierung dieser Forderung in irgend einer Weise nachkommen werde. Die Regierung und ihre Ratgeber in den nordschleswigischen Angelegenheiten waren ja selbst enttäuscht und verstimmt, besonders seit den letzten Reichstagswahlen. Und sie hatten Grund dazu. Denn der Ausfall der Wahlen hatte ihnen einen schlimmen Strich durch die Rechnung gemacht. Was in Nordschleswig vorgefallen ist? Sehr viel und sehr merkwürdiges. Es sind vierunddreißig Jahre seit dem letzten Schleswig-holsteinischen Kriege und schon mehr als dreißig Jahre seit der Annexion Schleswig-Holsteins ver¬ flossen- Das dänische Sprachgebiet ist während dieser Zeit bedeutend eingeengt worden, weil die Sprachgrenze allmählich nach Norden vorrückt, durch eine Bevölkerungsverschiebung, die sich seit Jahrzehnten vollzieht. Die größte Stadt Schleswigs, die Hafen- und Handelsstadt Flensburg, früher ein fester Hort des Dänentums, ist fast gänzlich deutsch geworden, was auch auf die Um¬ gegend Einfluß übt. Der dadurch wie durch sonstiges Vordringen des Deutsch¬ tums den Dünen erwachsene Verlust ist nicht unbedeutend, und dennoch hat das so bedrängte Dänentum während dieses Zeitraums, besonders in dem letzten Jahrzehnt, einen gewaltigen Aufschwung genommen. Im Jahre 1893 hatte die dänische Partei schon einen Stimmenzuwachs zu verzeichnen, und bei der letzten Wahl einen nochmaligen sehr bedeutenden und auffälligen Zuwachs gegen 1893. Das Dänentum hat also den ihm dnrch räumliche Einengung entstandnen Verlust durch inneres Erstarken vollständig wett gemacht und noch mehr dazu gewonnen- Während zu Anfang angenommen worden war, daß sich die Dänen allmählich an die deutsche Herrschaft gewöhnen würden, ergiebt sich also gerade das Gegenteil. Das dänische Programm übt besonders auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/621>, abgerufen am 12.12.2024.