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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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August Strindbergs Inferno

die folgende längere Stelle sehr bezeichnend ist (S. 199 f.): "Die Initation
bringt einen Aufsatz von mir, der das gegenwärtige astronomische System
kritisirt. Einige Tage nach der Veröffentlichung stirbt Tisseraud, der Chef
des Pariser Observatoriums. In einem Anfall fröhlicher Laune stelle ich
diese beiden Thatsachen zusammen und erinnere mich außerdem daran, daß
Pasteur am Tage nach der Ausgabe von L^log. s^los-rum, gestorben ist. Mein
Freund, der Theosoph ^der unbekannte Freund von oben^, versteht keinen
Scherz, und da er gläubig wie kein andrer ist, ja vielleicht selbst eingeweihter
in die schwarze Magie als ich, läßt er nachdrücklich durchblicken, daß er mich
für einen Hexenmeister halte. Man stelle sich mein Entsetzen vor, als nach
dem letzten Brief unsrer Korrespondenz der berühmteste schwedische Astronom
an einem Schlagfall stirbt. Ich ängstige mich, und mit Recht. Der Hexerei
bezichtigt zu werden, ist ein Hauptprozeß, und "selbst nach seinem Tode wird
man der Strafe nicht entgehen." Schrecken ohne Ende! Im Laufe eines
Monats sterben nach einander fünf mehr oder weniger bekannte Astronomen."
Unwillkürlich fällt einem da eine frühere Stelle ein is. 175), wo die alte,
mit Svedenborgs Lehren recht vertraute Schwiegermutter des Dichters diesem
eröffnet, er büße anderswo vor seiner Geburt begangne Sünden; er müsse im
vorigen Leben ein großer Menschenschlächter gewesen sein und deshalb tausend¬
fältige Todesbangigkeit erleiden. Es scheint darnach fast, als ob Strindberg
-- unbeschadet seinen Leiden -- seine frühere Thätigkeit auf dieser Erde hin
und wieder gegen seinen Willen fortsetze. Und das im neunzehnten Jahr¬
hundert nach Christo!

Nach allen diesen ziemlich weitläufigen Proben können wir uns bei den:
letzten Teile des Buches kürzer fassen und wollen nur noch einige Hauptpunkte
und den Schluß betonen. Das Leiden und die Trübsale des Dichters werden
immer wieder teils durch geheime und geheimnisvolle Sünden, teils durch
"seinen Hochmut, seine Hybris verursacht, das einzige Laster, das die Götter
nicht verzeihen" (S. 115 u. a. a. O.). Dieser Gedanke, mit dem der Dichter
wohl auf sein früheres Übermenschentum hinweisen will, ist verwunderlich
heidnisch, und nach Heidentum schmeckt auch der Glaube an Dämonen, "die,
sobald wir die Unsterblichkeit zugestanden haben, nichts sind als Überlebende,
welche ihre Beziehungen zu den Lebendigen fortsetzen" (S. 228). Die Existenz
von Dämonen soll dann auf der letzten Seite noch nachträglich durch die Zeug¬
nisse des heiligen Augustin, Thomas von Aquino, des Papstes Johann XXII.
und Luthers mit großer konfessioneller und dogmatischer Weitherzigkeit bewiesen
werden. Schon vorher hat Strindberg aber den Weg angedeutet, den er
fürderhin zu gehen beabsichtigt. Er bemerkt nämlich S. 237 einem forschenden
Freunde, daß "der Weg des Kreuzes ihn zum Glauben seiner Väter (d. i. zum
Katholizismus) zurückzuführen scheine," was uns nach frühern Andeutungen
und allen mystischen Darlegungen auch gar nicht mehr verwunderlich dünkt.


August Strindbergs Inferno

die folgende längere Stelle sehr bezeichnend ist (S. 199 f.): „Die Initation
bringt einen Aufsatz von mir, der das gegenwärtige astronomische System
kritisirt. Einige Tage nach der Veröffentlichung stirbt Tisseraud, der Chef
des Pariser Observatoriums. In einem Anfall fröhlicher Laune stelle ich
diese beiden Thatsachen zusammen und erinnere mich außerdem daran, daß
Pasteur am Tage nach der Ausgabe von L^log. s^los-rum, gestorben ist. Mein
Freund, der Theosoph ^der unbekannte Freund von oben^, versteht keinen
Scherz, und da er gläubig wie kein andrer ist, ja vielleicht selbst eingeweihter
in die schwarze Magie als ich, läßt er nachdrücklich durchblicken, daß er mich
für einen Hexenmeister halte. Man stelle sich mein Entsetzen vor, als nach
dem letzten Brief unsrer Korrespondenz der berühmteste schwedische Astronom
an einem Schlagfall stirbt. Ich ängstige mich, und mit Recht. Der Hexerei
bezichtigt zu werden, ist ein Hauptprozeß, und »selbst nach seinem Tode wird
man der Strafe nicht entgehen.« Schrecken ohne Ende! Im Laufe eines
Monats sterben nach einander fünf mehr oder weniger bekannte Astronomen."
Unwillkürlich fällt einem da eine frühere Stelle ein is. 175), wo die alte,
mit Svedenborgs Lehren recht vertraute Schwiegermutter des Dichters diesem
eröffnet, er büße anderswo vor seiner Geburt begangne Sünden; er müsse im
vorigen Leben ein großer Menschenschlächter gewesen sein und deshalb tausend¬
fältige Todesbangigkeit erleiden. Es scheint darnach fast, als ob Strindberg
— unbeschadet seinen Leiden — seine frühere Thätigkeit auf dieser Erde hin
und wieder gegen seinen Willen fortsetze. Und das im neunzehnten Jahr¬
hundert nach Christo!

Nach allen diesen ziemlich weitläufigen Proben können wir uns bei den:
letzten Teile des Buches kürzer fassen und wollen nur noch einige Hauptpunkte
und den Schluß betonen. Das Leiden und die Trübsale des Dichters werden
immer wieder teils durch geheime und geheimnisvolle Sünden, teils durch
„seinen Hochmut, seine Hybris verursacht, das einzige Laster, das die Götter
nicht verzeihen" (S. 115 u. a. a. O.). Dieser Gedanke, mit dem der Dichter
wohl auf sein früheres Übermenschentum hinweisen will, ist verwunderlich
heidnisch, und nach Heidentum schmeckt auch der Glaube an Dämonen, „die,
sobald wir die Unsterblichkeit zugestanden haben, nichts sind als Überlebende,
welche ihre Beziehungen zu den Lebendigen fortsetzen" (S. 228). Die Existenz
von Dämonen soll dann auf der letzten Seite noch nachträglich durch die Zeug¬
nisse des heiligen Augustin, Thomas von Aquino, des Papstes Johann XXII.
und Luthers mit großer konfessioneller und dogmatischer Weitherzigkeit bewiesen
werden. Schon vorher hat Strindberg aber den Weg angedeutet, den er
fürderhin zu gehen beabsichtigt. Er bemerkt nämlich S. 237 einem forschenden
Freunde, daß „der Weg des Kreuzes ihn zum Glauben seiner Väter (d. i. zum
Katholizismus) zurückzuführen scheine," was uns nach frühern Andeutungen
und allen mystischen Darlegungen auch gar nicht mehr verwunderlich dünkt.


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[0599] August Strindbergs Inferno die folgende längere Stelle sehr bezeichnend ist (S. 199 f.): „Die Initation bringt einen Aufsatz von mir, der das gegenwärtige astronomische System kritisirt. Einige Tage nach der Veröffentlichung stirbt Tisseraud, der Chef des Pariser Observatoriums. In einem Anfall fröhlicher Laune stelle ich diese beiden Thatsachen zusammen und erinnere mich außerdem daran, daß Pasteur am Tage nach der Ausgabe von L^log. s^los-rum, gestorben ist. Mein Freund, der Theosoph ^der unbekannte Freund von oben^, versteht keinen Scherz, und da er gläubig wie kein andrer ist, ja vielleicht selbst eingeweihter in die schwarze Magie als ich, läßt er nachdrücklich durchblicken, daß er mich für einen Hexenmeister halte. Man stelle sich mein Entsetzen vor, als nach dem letzten Brief unsrer Korrespondenz der berühmteste schwedische Astronom an einem Schlagfall stirbt. Ich ängstige mich, und mit Recht. Der Hexerei bezichtigt zu werden, ist ein Hauptprozeß, und »selbst nach seinem Tode wird man der Strafe nicht entgehen.« Schrecken ohne Ende! Im Laufe eines Monats sterben nach einander fünf mehr oder weniger bekannte Astronomen." Unwillkürlich fällt einem da eine frühere Stelle ein is. 175), wo die alte, mit Svedenborgs Lehren recht vertraute Schwiegermutter des Dichters diesem eröffnet, er büße anderswo vor seiner Geburt begangne Sünden; er müsse im vorigen Leben ein großer Menschenschlächter gewesen sein und deshalb tausend¬ fältige Todesbangigkeit erleiden. Es scheint darnach fast, als ob Strindberg — unbeschadet seinen Leiden — seine frühere Thätigkeit auf dieser Erde hin und wieder gegen seinen Willen fortsetze. Und das im neunzehnten Jahr¬ hundert nach Christo! Nach allen diesen ziemlich weitläufigen Proben können wir uns bei den: letzten Teile des Buches kürzer fassen und wollen nur noch einige Hauptpunkte und den Schluß betonen. Das Leiden und die Trübsale des Dichters werden immer wieder teils durch geheime und geheimnisvolle Sünden, teils durch „seinen Hochmut, seine Hybris verursacht, das einzige Laster, das die Götter nicht verzeihen" (S. 115 u. a. a. O.). Dieser Gedanke, mit dem der Dichter wohl auf sein früheres Übermenschentum hinweisen will, ist verwunderlich heidnisch, und nach Heidentum schmeckt auch der Glaube an Dämonen, „die, sobald wir die Unsterblichkeit zugestanden haben, nichts sind als Überlebende, welche ihre Beziehungen zu den Lebendigen fortsetzen" (S. 228). Die Existenz von Dämonen soll dann auf der letzten Seite noch nachträglich durch die Zeug¬ nisse des heiligen Augustin, Thomas von Aquino, des Papstes Johann XXII. und Luthers mit großer konfessioneller und dogmatischer Weitherzigkeit bewiesen werden. Schon vorher hat Strindberg aber den Weg angedeutet, den er fürderhin zu gehen beabsichtigt. Er bemerkt nämlich S. 237 einem forschenden Freunde, daß „der Weg des Kreuzes ihn zum Glauben seiner Väter (d. i. zum Katholizismus) zurückzuführen scheine," was uns nach frühern Andeutungen und allen mystischen Darlegungen auch gar nicht mehr verwunderlich dünkt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/599>, abgerufen am 25.07.2024.